Book Review: The Culture of Control: Crime and Social Order in Contemporary Society

by Achim Keßler*

In seinem Buch „The Culture of Control“ untersucht der amerikanische Soziologe und Kriminologe David Garland den kulturellen und justiziellen Wandel in der Verbrechensbekämpfung am Beispiel von Großbritannien und den USA. Garland postuliert rapide Veränderungen innerhalb von Strafjustiz und Verbrechenskontrolle seit den 1970er Jahren. Privatgefängnisse, Überwachungskameras, bürgernahe Polizeiarbeit, hohe Gefangenenraten, längere Haftstrafen und Law and Order-Politik verweisen laut Garland auf zwei in westlichen Industrienationen heute charakteristische Formen der Strafrechtspflege: den kosten- und risikoorientierten Umgang mit Kriminalität einerseits und den gesellschaftlichen Ausschluss von Straftätern andererseits.

Um seine Thesen belegen zu können, zeichnet Garland zunächst die Kriminalpolitik und Kontrollkultur der Strafrechtsmoderne nach (sowie auch schon in seinem


* Der Rezensent studiert Kriminologie an der Universität Hamburg.

Keßler, Rezension zu Garland, The Culture of Control (BLJ 2012, 130)131

Werk „Punishment und Welfare1 geschehen), bevor er den Niedergang dieser als penal welfarism betitelten Ordnung beschreibt und das Aufkommen der bis heute vorherrschenden Strafjustiz der Spätmoderne thematisiert. Sowohl bei der Darstellung des penal welfarism als auch bei der Analyse der spätmodernen Verbrechenskontrollkultur konzentriert sich Garland auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Zusammenhänge, um den beschriebenen Wandel in Justiz und Kontrollverhalten zu erklären. Ziel seiner Studie ist es, nachzuvollziehen, wie und wodurch sich der Umgang mit Straftätern im als stellvertretend für den westlichen Raum in den Fokus genommenen angelsächsischen Raum in drei Jahrzehnten so signifikant verändern konnte.

Die Verbrechenskontrolle der Moderne

Garlands Darstellung des so genannten penal welfarism lässt sich wie folgt zusammenfassen: Bis in die 1970er Jahre hinein, so der Autor, waren die USA und Großbritannien einem wohlfahrtsstaalichen Strafen verpflichtet. Im Vordergrund stand das rehabilitierende Leitprinzip, nach dem Strafmaß und Strafhärte grundsätzlich an der Resozialisierung des Täters zu orientieren waren. Hauptattribute dieses Prinzips waren die individuelle Täterbehandlung und eine damit verbundene, kontinuierliche Professionalisierung im Umgang mit Straftätern (weniger Juristen als vielmehr Psychologen, Sozialarbeiter, Therapeuten, Suchtberater und Seelsorger hatten mit den Delinquenten zu tun). In der wissenschaftlichen Diskussion herrschte die damit korrespondierende Correctional Criminology vor, in welcher Kriminalität als Verhaltensresultat psychischer und gesellschaftlicher Ursachen verstanden wurde und die daher das Hauptaugenmerk auf ätiologische und behandlungsorientierte Forschung legte. Nach Meinung Garlands war es vor allem dem ökonomischen Wohlstand in Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem zweiten Weltkrieg und den damit verbundenen geringen Kriminalitätsraten zu verdanken, dass ein solch solidarisches, inkludierendes Gesellschaftsklima lange Zeit bestehen konnte.

Der Niedergang des penal welfarism

Die hier beschriebene Ordnung der Strafrechtsmoderne geriet jedoch nach Angaben des Autors in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in eine unverhofft schwere Krise. Die Ursachen ihres Niedergangs sieht Garland in den folgenden Entwicklungen:

Zunächst wurde von liberaler Seite die Konformitätspolitik des Behandelns und Sozialisierens hinterfragt. Der Therapier- und Behandlungswahn schieße über das Ziel der tatorientierten Verbrechensbekämpfung hinaus und führe zu einer unkritischen Verbreitung allgemein geltender Moralvorstellungen im Sinne einer dogmatischen Vereinheitlichung ethischer Denkstrukturen. In den Folgejahren entwickelte sich diese sozialliberale Kritik mehr und mehr zu einer marktliberalen Anschauung, nach der eine Behandlung von Verbrechern vor allen Dingen wirtschaftlich rentabel zu sein hatte. Garland sieht die Ursache dieser Entwicklung im Ende des ökonomischen Aufschwungs, da auf fast drei Jahrzehnte Wohlstand eine Zeit der Massenarbeitslosigkeit und steigender Staatsschulden folgte. Die Solidarität gegenüber Straftätern nahm wieder ab – für Delinquente Geld auszugeben erschien nun plötzlich als unökonomisch und zudem wenig erfolgversprechend.

Auf Seiten der Konservativen vermehrten sich indes Forderungen nach härteren Strafen und mehr sicherheitsorientierter Verbrechenskontrolle. Durch das Ausbleiben der erhofften sinkenden Rückfallquoten konnte der wohlfahrtsstaatliche Korrektionalismus und somit das Therapieren und Behandeln von Straftätern zunächst als wenig effektiv und schließlich als vergebliche Liebesmüh (nothing works) und unhaltbares Gutmenschentum abgeurteilt werden. Die Zunahme medialer Berichterstattungen von einzelnen besonders blutigen Kriminalfällen trug überdies maßgeblich zu einem wachsenden Gefühl innerhalb der Bevölkerung bei, einer ständigen Gefahr durch gewissenlose Triebverbrecher ausgesetzt zu sein. Zum ersten Mal seit gut einhundert Jahren sei das Vertrauen in die staatliche Kontrollkapazität erschüttert gewesen, glaubt Garland. War es im penal welfarism noch verpönt, harte Strafen zu fordern, so stießen letztere plötzlich auf breite Zustimmung innerhalb der spätmodernen Gesellschaft.

Die Verbrechenskontrolle der Spätmoderne

Die neue und von Garland als Strafrechtsspätmoderne bezeichnete Form der Verbrechenskontrolle zeichnet sich demnach vor allem durch zwei Phänomene aus:

Erstens durch einen ökonomisch-rationalen Denkstil in Politik und Wissenschaft, nach dem die vermeintliche Erkenntnis, durch Therapie und Ursachenforschung keine Verbesserung der Kriminalitätslage erzielen zu können, zu einem massiven Idealismusverlust und einer damit einhergehenden Rationalisierung und Formalisierung des Strafjustizsystems geführt hat. Die neue Erfolgsdefinition von Verbrechensbekämpfung besteht nach Garland hier nicht mehr in der Senkung von Kriminalitätsraten, sondern in der Reduzierung von Kosten im Prozess der Kriminalitätsbekämpfung. Da der Glaube an den Erfolg von Resozialisierung ohnehin erschüttert sei, gehe es der gegenwärtigen Kriminalpolitik nur noch um profitorientierte Effizienz- und Kostenkontrolle. Infolgedessen werden nach Garland minder schwere Verbrechen heruntergespielt und entkriminalisiert, sowie im Zuge einer Kommerzialisierung und Privatisierung des Kriminalitätskontrollsektors die allgemeine Bevölkerung mitresponsibilisiert (namentlich in Form von Nachbarschaftsverbänden und bürgernaher Polizeiarbeit).

Zweitens zeichnet sich laut Garland die spätmoderne Verbrechenskontrolle durch eine punitive(harte Strafen fordernde) Entwicklung in Bevölkerung und Politik aus, wonach Täter besonders schwerer Verbrechen (vor allem Gewalt- und Sexualstraftäter) kompromisslos weggesperrt werden. An die Stelle des Resozialisierungskonzepts kehre hier das Verwahrmodell mit intensiv überwachten Gefängnissen als Exklusions- und Kontrollinstitutionen zurück. Die Vorstellung sei: Je mehr Restriktionen gegenüber dem Täter, desto mehr Sicherheit für die Bevölkerung. Dem Gefängnis mit steigenden Insassenzahlen und abnehmenden Resozialisierungsbemühungen komme hierbei eine zentrale Bedeutung zu.

Im Zuge des überhöhten Sicherheitsbedürfnisses der Bevölkerung spielt nach Meinung Garlands auch das Opfer und


1 David Garland, Punishment und Welfare – A history of penal strategies(1985).

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dessen mediale Darstellung eine wichtige Rolle: Gegenüber dem Täter zeichne sich eine den Einzelfall kaum noch berücksichtigende Stereotypisierung und Dehumanisierung ab. Das Opfer, definiert als Interessenvertreter der geschädigten, rechtschaffenen Bevölkerung, erfahre indes zunehmende Aufmerksamkeit und genieße deutlich mehr Rechte im Strafjustizprozess als noch während der Zeit des penal welfarism der Fall war (in einigen Fällen wurden sogar neue oder veränderte Gesetze nach Opfern benannt: Megan’s Law, Sarah’s Law).

Aus Sicht von Garland lässt sich demzufolge eine einerseits ökonomisch risikoorientierte, andererseits punitiv sicherheitsbedachte Kultur der Verbrechenskontrolle erkennen. Aus der Correctional Criminology haben sich gleichzeitig eine Kriminologie des Alltags und eine Kriminologie der Anderen (Othering) entwickelt.

Während erstere versuche, durch die Regulation sozialer Abläufe und durch systemische Integration einer technologischen statt konsensualen Ordnung Gelegenheiten für Verbrechen zu verhindern (adaptive strategy), verbreite letztere die Vorstellung eines andersartigen und unverbesserlichen Kriminellen, der ohne Anspruch auf Mitgefühl aus der Gesellschaft ausgeschlossen und mehr oder weniger ungeachtet persönlicher Rechte kontrolliert und bestraft werden müsse (denial and acting out). Die resozialisationsgeleitete Kriminalpolitik der Moderne sei in beiden Fällen einer vehementen Konzentration auf Sicherheit und Sozialkontrolle gewichen. Indem das rehabilitierende Prinzip jedoch seinen Stellenwert eingebüßt habe, könnten intensivierte Kontrollen (namentlich in Form von elektronischen Fußfesseln, Überwachungskameras und Drogentests) im Sinne zukunfts- und risikoorientierter Präventivmaßnahmen ausgebaut und zum neuen Leitideal ausgerufen werden. Aus Sicht der Kriminologie des Alltags könne dadurch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens krimineller Handlungen minimiert werden, während Vertreter der Kriminologie der Anderen die „Kontrollwut“ aufgrund ihrer stigmatisierenden Wirkung auf den Täter und ihrer allgemeinen Erhöhung von Sicherheit durch Wegsperren (incapacitation) begrüßen.

Für Garland stehen diese beiden neuen Kriminologien hinsichtlich ihrer Kosten- und Nutzeneffizienz jedoch im Widerspruch: Sofern der punitive Ausschlussgedanke dem Motto „Wegsperren – koste es, was es wolle“ folgt, kollidiere er mit der streng ökonomischen Strategie des rational kalkulierenden Denkstils. Laut Garland versucht die Strafrechtspolitik den Ausweg aus diesem Dilemma in einem ständigen Hin- und Herspringen zu finden: Kriminalität würde demzufolge zwar als ein Teil des Alltags dargestellt (und ihr müsse man daher kosteneffizient begegnen), die in Brutalität und Perversität hervorstechenden Taten bestimmter Verbrecher benötigten jedoch eine konsequente Abschreckungspolitik in Form langer und harter Strafen, da solchen Gräueltätern rational nicht mehr beizukommen sei. Die Vorstellung eines nutzenmaximierenden Menschentyps, der sich bei falschen Anreizen und unzureichenden Kontrollen fast schon natürlicherweise kriminell verhält, würde somit gelegentlich ersetzt durch eine Vorstellung triebgesteuerter, irrational handelnder „Monster“, die als zu Feinden der Gesellschaft Hochstilisierte den Weg zu einer Punitivierung des Strafrechts ebnen (und denen im Übrigen auch nicht mehr mit fachlicher Expertise , sondern mit gesundem Menschenverstand zu begegnen sei).

Beurteilung

Insgesamt kann man sicherlich kritisieren, dass Garland ein (vielleicht zu) negatives Bild von der culture of control der Spätmoderne zeichnet. Seine Kritik am Aufkommen immer härterer und längerer Strafen lässt sich zwar sehr leicht teilen, da es nach wie vor keinen einzigen, wissenschaftlich-empirischen Beleg dafür gibt, dass straferhöhende Abschreckungspolitik die Kriminalitätsraten senke. Zumindest diskussionswürdig ist hingegen Garlands Ansicht, ein ökonomischer und risikoorientierter Umgang mit Kriminalität könne zu keiner Verbesserung der Kriminalitätslage beitragen. Immerhin sank beispielsweise in New York durch Maßnahmen wie der viel kritisierten three strikes-Regelung die Kriminalitätsrate nachweislich. Kostenorientierte und zugleich generalpräventive Kriminalpolitik ist demzufolge zwar moralisch nicht unproblematisch, eine mögliche Effizienz entsprechender Maßnahmen sollte jedoch nicht von vornherein bestritten, sondern besser offen diskutiert werden.

Auch fühlt sich Garland offensichtlich dem sozialliberalen Politikspektrum zugehörig, beklagt daher verständlicherweise den Niedergang der Correctional Criminology und betrachtet neben aller Richtigkeit seiner Argumentation vielleicht auch etwas voreingenommen die Alternativen.

Jedoch ist „The culture of control“ in mehrerer Hinsicht eine Besonderheit innerhalb der kriminologischen und rechtssoziologischen Fachliteratur: Als Einer von Wenigen analysiert Garland Strafe und Strafen in Abhängigkeit von kultureller und gesellschaftlicher Entwicklung und damit vielschichtiger und mehrdimensionaler als andere Autoren in vergleichbaren Studien. Sanktionen werden nicht nur als Mittel zur Aufrechterhaltung und Befolgung von Gesetzen, sondern auch als Kontrollinstrumente von Regierungen, als Symbole für Ideologien sowie als Durchsetzungsform unterschiedlicher Interessen betrachtet. Strafe ist Teil des ethisch-moralischen Diskurses wie er seit Jahrhunderten innerhalb der Philosophie und Strafrechtswissenschaft geführt wird, sie taucht aber auch in unserem Alltag, in den Medien, der Öffentlichkeit, als Teil politischer Rhetorik und in Geschichten und Erzählungen auf. Was Garland somit von vielen anderen Autoren unterscheidet, ist die Tatsache, dass er Strafe nicht mehr nur anhand ihrer instrumentellen Zweckmäßigkeit und am Maßstab von Effektivität und moralischer Rechtfertigung untersucht, sondern Verbrechenskontrolle als kulturell verankertes und somit als mitunter emotional aufgeladenes, in sich manchmal widersprüchliches, umstrittenes und wandelbares Phänomen identifiziert, das Ausdruck untereinander konkurrierender und variierender Sozialnormen ist.

Garlands Analyse zeichnet sich zudem durch große Interdisziplinarität aus, die es erlaubt, eine allumfassende und dennoch prägnante Gesamtschau auf die Verbrechenskontrolle der Spätmoderne zu werfen. Auf detaillierte Art und Weise wird die Verbindung zwischen freiheitlicher Fortschrittsgesellschaft und wohlfahrtsstaatlichen Strafroutinen herausgearbeitet und so erklärt, wie das Ende der ersteren zum Ende der letzteren führen konnte: Das Aufweichen traditioneller

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Autoritätsstrukturen, das Gleichheitsbestreben hinsichtlich der Geschlechter und Ethnien, die Anerkennung eines Wertepluralismus und das Ende altgedienter Rollenverteilungen – all dies waren Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates, und sie führten doch zugleich zur Schwächung informeller Sozialkontrollen und damit zu Unsicherheiten und Orientierungslosigkeit. So stellt Garland überzeugend dar, wie eine Politik entstehen konnte, die populistisch mit der steigenden Kriminalitätsfurcht der Menschen spielt und sich – statt professionellen Meinungen zu folgen – den Ängsten und Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung ergibt. Es gelingt ihm dabei, die (zumindest im angelsächsischen Raum) nicht wegzudiskutierende Renaissance harter Bestrafungen von Delinquenten darzulegen und mit ökonomischen und gesellschaftlichen Ursachen zu verbinden. Sein Buch wird somit zu einer äußerst facettenreichen Gegenwartsanalyse, die inhaltlich und stilistisch an große kriminologische Werke wie „Überwachen und Strafen– Die Geburt des Gefängnisses“ von Michel Foucault erinnert. Seit seiner Veröffentlichung ist „The Culture of Control“ in aller Munde und Grundlage einer je den intensiven Auseinandersetzung mit Strafverhalten, Strafbedürfnis und Strafkultur.

Gerade weil es auf eine Rhetorik des Empörens setzt und Garland mit dieser immer wieder seine eigene Position verdeutlicht, bietet es eine spannende Diskussionsgrundlage mit viel Raum zur theoretischen wie empirischen Fortführung der Thematik – und so wurde sich auch in Deutschland bereits vermehrt mit der Frage beschäftigt, ob der punitive turn, also eine Entwicklung hin zu immer höheren und härteren Strafforderungen und -anordnungen, auch in Deutschland erkennbar ist. Betrachtet man die Serie an Gesetzesänderungen und -neuformulierungen vor allem bezüglich der Gewalt- und Sexualstraftaten in der Bundesrepublik, so gibt es hierfür doch mindestens Indizien.