by Lisa Meister
A. Einleitung
In der Rechtsprechung und in der Literatur hat sich die Frage nach den Einwilligungskompetenzen bei juristischen Personen zu einem viel diskutierten Problemfeld entwickelt. Vor allem für die GmbH lässt sich von einer Flut unterschiedlicher Ansätze sprechen.1 In den letzten Jahren ist auch die AG in das Zentrum des juristischen Diskurses gerückt.2 Die Brisanz der Fragestellung, insbesondere bei den Kapitalgesellschaften, lässt sich damit begründen, dass die Ver(sch)wendung des Vermögens einer juristischen Person mit Zustimmung ihrer Organe sich in einem rechtspolitischen Spannungsfeld zwischen den Interessen der Anteilseigner, der Arbeitnehmer und der Gläubiger befindet, die nicht selten im Gegensatz zueinander stehen.3
Im Untreuekontext sieht sich der Rechtsanwender zudem mit einem sehr weit gefassten Tatbestand konfrontiert. So wirft das normative Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit die Grundsatzfrage auf, inwieweit das Strafrecht den Wertungen der anderen Rechtsbereiche, insbesondere des Gesellschaftsrechts, zu folgen hat und wann der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG und das ultima-ratio-Prinzip eine abweichende Auslegung erfordern. Die Auflösung des beschriebenen Spannungsfeldes unter Berücksichtigung der dogmatischen Eigenheiten des weitgefassten Untreuetatbestands und des Rechtsinstituts der Einwilligung wird als eine der größten Herausforderungen des modernen Wirtschaftsstrafrechts bezeichnet und ist gerade vor dem Hintergrund der jüngst aufgetretenen Unsicherheiten in der Rechtsprechung4 in Bezug auf die Einwilligungskompetenzen bei der Aktiengesellschaft hoch aktuell. Dieser Beitrag verfolgt das Ziel, die unterschiedlichen Ansätze in Literatur und Rechtsprechung zu den Voraussetzungen und Grenzen der Einwilligungskompetenzen bei der GmbH und AG aufzuzeigen und sie insbesondere mit Blick auf die Grundfragen des Untreuetatbestands und der Einwilligungsproblematik bei juristischen Personen zu bewerten.
B. Herleitung der Einwilligungskompetenzen
I. Einwilligungskompetenzen der Gesellschafter der GmbH
Für die Bestimmung der Einwilligungskompetenzen sind zwei Fragestellungen von grundsätzlicher Bedeutung: Zunächst ist zu klären, welchem Organ einer juristischen Person die Einwilligungskompetenz zuzuordnen ist. In einem zweiten Schritt kann die konkrete Ausgestaltung etwaiger Einwilligungskompetenzen näher bestimmt werden.
1. Zuordnung der Einwilligungskompetenzen
Die GmbH hat zwei notwendige Organe, die grds. als maßgebliche Entscheidungsträger in Bezug auf Vermögensdispositionen der GmbH in Betracht kommen, und zwar die Gesellschafterversammlung und den Geschäftsführer.5 Für die Herleitung der strafrechtlichen Zuständigkeit lässt sich einerseits auf die Kompetenzordnung abstellen, wobei als maßgebliches Kriterium für eine Willenszurechnung die Willensbildungskompetenz heranzuziehen wäre.6 Andererseits wird vertreten, dass die Dispositionsbefugnis auf der Grundlage einer faktisch-wirtschaftlichen Betrachtung auf die „wirtschaftlichen“ Inhaber des Vermögens der juristischen Person übergeht.7 Für die GmbH führen beide Ansätze zu der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung.8 Denn die in § 46 GmbHG nicht abschließend aufgezählten Kompetenzen der Gesellschafter, wie die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des Ergebnisses (§ 46 Nr. 1 GmbHG), die Bestellung und Abberufung sowie Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung (§ 46 Nr. 5, 6 GmbHG), in Kombination mit dem Weisungsrecht der Gesellschafter gegenüber dem Geschäftsführer aus § 37 Abs. 1 GmbHG und der Zuständigkeit für Satzungsänderungen, einschließlich der Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung gemäß §§ 53 ff. GmbHG, machen deutlich, dass die Gesellschafterversammlung das höchste Organ der GmbH ist. Es ergibt sich demnach für die GmbH eine eindeutige Organhierarchie, die den zentralen Unterschied zur AG darstellt.9 Auch im Rahmen einer faktisch-wirtschaftlichen Betrachtung ist die Finanzhoheit der Gesellschafter offenkundig und begründet insoweit ihren Status als „wirtschaftliche Eigentümer“ der Gesellschaft.10
2. Grenzen der Einwilligungskompetenzen im Untreuekontext
Bezüglich der Festlegung etwaiger Grenzen der so begründeten Einwilligungskompetenzen der Gesellschafter sind die verschiedenen Lösungsansätze, insbesondere in der Literatur, nahezu unüberschaubar geworden. Die heute vertretenen und für den aktuellen Diskurs relevanten Meinungsstränge lassen sich jedoch grds. auf zwei Ansätze reduzieren. Ausgangspunkt der Überlegungen soll die Entwicklung der strafrechtlichen Rechtsprechung sein (unter a.). Anschließend werden die beiden die aktuelle Diskussion beherrschenden Ansätze zueinander in Beziehung gesetzt und unter Bezugnahme auf die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben und deren Schutzrichtung bewertet (unter b.).
a) Entwicklung der Strafrechtsprechung
Das RG und in seinen Anfängen auch der BGH schlossen – unter dem von Schünemann nachträglich eingeführten Namen „strenge Körperschaftstheorie“11 – jede Dispositionsmög-
* Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School, Hamburg.
1 RG 1971, 353, 355; BGHSt 3, 32, 39; 35, 333, 336; Fischer, Kommentar zum StGB58, 2011, § 266 Rn. 93 ff.; Saliger, in: Satzger/Schmitt/Widmaier (Hrsg.), Kommentar zum StGB1, 2009, § 266 Rn. 86 ff.; Lichtenwimmer, Untreueschutz der GmbH gegen den übereinstimmenden Willen der Gesellschafter?, 2008, S. 169 ff.
2 Statt vieler Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 142; Hohn, in: FS Samson, 2010, S. 315 ff.
3 Siehe Hoffmann, Untreue undUnternehmensinteresse, 2009, S. 21.
4 Siehe nur BGHSt 50, 331 ff. („Mannesmann“) und BGHSt 52, 323 ff. („Siemens“).
5 Vgl. die Darstellung bei Grunewald, Gesellschaftsrecht8, 2011, F. III. und F. V.
6 Siehe nur Höf, Untreue im Konzern, 2006, S. 179; Kohlmann, in: FS Werner, 1984, S. 387, 403.
7 So Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT3, 2010, § 4 Rn. 212.
8 Vgl. statt vieler Fischer (Fn. 1), § 266 Rn. 93; Hoffmann (Fn. 3), S. 72 f.
9 So auch Rönnau, in: FS Amelung, 2009, S. 247, 257.
10 Tiedemann (Fn. 7), § 4 Rn. 212.
11 Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB11, 1998, Bd. VII, § 266 Rn. 125 c bb.
lichkeit der Gesellschafter bezüglich untreuerelevanter Vermögensverfügungen durch den Geschäftsführer aus, sodass jede Verfügung trotz Einwilligung der Gesellschafter als pflichtwidrig i.S.v. § 266 StGB eingestuft wurde.12 Selbst eine nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben beachtliche Einwilligung wurde hiernach als strafrechtlich irrelevant eingestuft.13 Mit Blick auf das ultima-ratio-Prinzips und die Einheit der Rechtsordnung ist dies ein untragbares Ergebnis. Der BGH gab diese Rechtsprechung dann auch zugunsten einer – in der Diktion Schünemanns14 – „eingeschränkten Körperschaftstheorie“ (scheinbar) auf.15 Nach dieser sollte eine Einwilligung immer dann strafrechtlich beachtlich sein, wenn sie sich im Rahmen der Grundsätze eines ordentlichen Kaufmanns bewegte und nicht gegen zwingende Vorschriften verstieß.16 Im Umkehrschluss war die Einwilligung der Gesellschafterversammlung nicht nur strafrechtlich unbeachtlich, wenn der Geschäftsführer gegen die zwingenden Vorschriften der Kapitalerhaltung verstieß, sondern auch dann, wenn beispielsweise gegen formelle Buchführungspflichten verstoßen wurde.17 Damit unterwarf der BGH letztlich auch die Gesellschafterversammlung der Bindung des § 43 GmbHG, obwohl die Gesellschafter diesem Verhaltensgebot gerade nicht unterliegen und nur an die Kapitalerhaltungsvorschriften gebunden sind. Die Treuepflicht des Geschäftsführers richtete sich also in Fällen untreuerelevanter Vermögensdispositionen, unabhängig von der Willensbildung der Gesellschafterversammlung, nach den gesetzlichen Vorgaben.18 Der Unterschied zur strengen Körperschaftstheorie war somit formaler Natur, denn eine Beschränkung der Einwilligungskompetenz auf gesellschaftsrechtlich ohnehin zulässige Vermögensdispositionen bedeutete i.E., auf eine strafrechtlich erhebliche Einwilligungskompetenz mit der Funktion des Tatbestandsausschlusses zu verzichten.19 Der BGH hat auch diese Rechtsprechung nunmehr aufgegeben und verfolgt seit der Entscheidung BGHSt 35, 333 ff.20 in ständiger Rechtsprechung21 die „eingeschränkte Gesellschaftertheorie“. Demnach kann der Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch die Einwilligung der Gesellschafter grds. die Pflichtwidrigkeit i.S.v. von § 266 StGB genommen werden. Diese im Grundsatz freie Dispositionsmöglichkeit der Gesellschafter soll jedoch dann beschränkt werden, wenn eine Vermögensdisposition des Geschäftsführers zur Unterbilanz führt, das heißt, gegen §§ 30 f. GmbHG verstößt (1), oder wenn die Existenz der Gesellschaft gefährdet wird (2).22
b) Eingeschränkte versus strenge Gesellschaftertheorie
Die eingeschränkte Gesellschaftertheorie des BGH hat auch in der Lehre zahlreiche Anhänger gefunden.23 Restriktiver wird von einigen indes allein auf das Gebot zur Erhaltung des Stammkapitals gemäß § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG abgestellt.24 Den ebenfalls stark in der Literatur vertretenen Gegenstrom bildet die „strenge Gesellschaftertheorie“.25 Den Vertretern der strengen Gesellschaftertheorie geht die durch die eingeschränkte Gesellschaftertheorie grds. anerkannte Dispositionsbefugnis der Gesellschafter nicht weit genug. Sie wollen auf eine Begrenzung der strafrechtlichen Einwilligungskompetenzen der Gesellschafter bezüglich des Gesellschaftsvermögens vollständig verzichten, sodass jede vorherige Zustimmung der Gesellschafter tatbestandsauschließende Wirkung im Rahmen von § 266 StGB entfaltet. Die strenge Gesellschaftertheorie gelangt zu dieser uneingeschränkten Dispositionsmöglichkeit der Gesellschafter, indem sie das Interesse der GmbH mit dem der Gesellschafter identifiziert und die Stellung der Gesellschafter als wirtschaftliche Eigentümer hervorhebt. Eine Untreue des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft soll gerade nicht vorliegen, wenn die Gesellschafter als oberstes Willensorgan einverständlich ihr – wirtschaftlich betrachtet – eigenes Vermögen schmälern. Vielmehr soll eine per se untreuerelevante Vermögensentnahme insoweit eine straflose Selbstschädigung darstellen.26
Zunächst ist festzuhalten, dass diese beiden grundlegenden Ansätze von der gleichen Prämisse ausgehen. Danach besitzen die Gesellschafter einer GmbH grds. eine strafrechtliche Einwilligungskompetenz bezüglich des Gesellschaftsvermögens, die ihrerseits nur durch solche gesellschaftsrechtlichen Vorschriften eingeschränkt werden kann, die dem Schutz des Rechtsguts des § 266 StGB dienen.27 Beide Ansichten gehen somit von einer untreuespezifischen, das heißt am Rechtsgut des § 266 StGB – dem Vermögen des Treugebers – orientierten, Bestimmung der Grenzen der Einwilligungskompetenzen aus. Diese untreuespezifische Betrachtung zieht ihren Vorteil gegenüber einem streng gesellschaftsakzessorischen Ansatz, nach dem jeder objektive Verstoß gegen das Gesellschaftsrecht automatisch zur Unwirksamkeit der Einwilligung führt, insbesondere daraus, dass sie dem ultima-ratio-Charakter des Strafrechts Rechnung trägt und eine unzulässige Rechtsgutsvertauschung verhindert. Die Differenzierung beider Ansätze ergibt sich demnach nicht aus einer unterschiedlichen Bestimmung der Grenzen der strafrechtlichen Einwilligungskompetenzen, sondern vielmehr aus der unterschiedlichen Einordnung der Schutzrichtung des gesellschaftsrechtlichen Kapitalerhaltungssystems. Während die Vertreter der strengen Gesellschaftertheorie davon ausgehen, dass die gesellschaftsrechtlichen Begrenzungen lediglich dem Gläubigerschutz – also nicht dem Rechtsgut des § 266 StGB – dienen,28 ordnen die Anhänger der eingeschränkten Gesellschaftstheorie den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben eine Schutzfunktion bezüglich des Vermögens der GmbH zu und beurteilen
12 RGSt 71, 353, 355 f.; BGHSt 3, 23, 25; 3, 32, 39 f.
13 Hierzu Fischer (Fn. 1), § 266 Rn. 93a; Hohn (Fn. 2), S. 315, 318.
14 Schünemann, in: LK (Fn. 11), § 266 Rn. 125 c bb.
15 BGHSt 34, 379 ff.
16 BGHSt 34, 379, 385.
17 Siehe nur BGHSt 34, 379 ff.
18 So auch Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht2, 2008, V. 2. Rn. 289.
19 Siehe Hohn (Fn. 2), S. 315, 319; Seier, in: Achenbach/Ransiek (Fn. 18), V. 2. Rn. 289.
20 Statt vieler Saliger, in: SSW (Fn. 1), § 266 Rn. 86; a. A. jedoch Hohn (Fn. 2), S. 315, 320, der ein gesichertes Bekenntnis des BGH zur eingeschränkten Gesellschaftertheorie erst in der Entscheidung BGH, NJW 2000, 154 sieht.
21 BGH, NJW 1997, 66, 68 f.; BGHSt 49, 147, 158; BGH, NJW 2009, 2225, 2227; BGH, NJW 2009, 3666 ff.
22 Siehe nur BGHSt 49, 147, 158.
23 Siehe nur Kindhäuser, in: Nomos Kommentar zum StGB3, 2010, Bd. II, § 266 Rn. 71; Schünemann, in: LK (Fn. 11), § 266 Rn. 125 c bb.
24 Statt vieler Dierlamm, in: Münchener Kommentar zum StGB1, 2006, Band IV, § 266 Rn. 136; Kaufmann, Organuntreue zum Nachteil von Kapitalgesellschaften, 1999, S. 125 ff.
25 Saliger, in: SSW (Fn. 1), § 266 Rn. 86; Kasiske, wistra 2005, 81, 85.
26 Deutlich Perron, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Kommentar zum StGB28, 2009, § 266 Rn. 21 b; Rönnau, (Fn. 9), S. 247, 260 f.
27 Siehe nur BGH, NJW 2000, 154, 155; vgl. auch Rönnau, (Fn. 9), S. 247, 253 (dortige Fn. 23).
28 Statt vieler Fischer (Fn. 1), § 266 Rn. 99; aus der älteren Literatur siehe nur Arloth, NStZ 1990, 570, 573 f.
den Gläubigerschutz als lediglich mittelbare Folge. Ein solcher mittelbarer Gläubigerschutz würde dem Schutzzweck des § 266 StGB nicht zuwiderlaufen und eine Strafbarkeit des Geschäftsführers wäre somit trotz der Zustimmung der Gesellschafter möglich.29 Dreh- und Angelpunkt der unterschiedlichen Bestimmung der Einwilligungskompetenzen ist somit die Einordnung der Kapitalerhaltungsvorschriften und der Existenzvernichtungshaftung und ihrer jeweiligen Schutzrichtungen.
aa) Gesellschaftsrechtliche Grenzen und ihre Schutzrichtung
(1) Kapitalerhaltung gemäß § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG
Nach § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG darf die GmbH ihr gebundenes Kapital nicht an die Gesellschafter auszahlen. Die Vorschrift statuiert somit ein generelles Auszahlungsverbot, das greift, wenn das Gesellschaftsvermögen unter den Betrag des in der Satzung bestimmten Stammkapitals fällt.30 § 30 GmbHG ist damit die zentrale Vorschrift des Kapitalerhaltungsrechts und besagt im Grunde nur eine Selbstverständlichkeit: Das Stammkapital, das durch die Einlagen der Gesellschafter entsteht und den Interessen der Gesellschaftsgläubiger dient, darf auch nach der Entstehung der GmbH nicht wieder an die Gesellschafter ausgezahlt werden. Somit ist Zweck des § 30 GmbHG, das Vermögen der Gesellschaft, das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlich ist, zugunsten der Gesellschaftsgläubiger zu schützen.31 An dieser Stelle ergibt sich das zentrale Problem für den strafrechtlichen Umgang mit dieser Regelung. Denn es besteht zwar auf der einen Seite kein Zweifel daran, dass das Ausschüttungsverbot im Ergebnis den Interessen der Gesellschaftsgläubiger dient, auf der anderen Seite ist die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG eine Rückzahlungspflicht der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft selbst, was tendenziell für einen nur mittelbaren Gläubigerschutz spräche.32 Die Entscheidung über die tatsächliche Schutzrichtung der Kapitalerhaltungsvorschriften hängt maßgeblich davon ab, ob man ein Eigeninteresse der Gesellschaft als solcher i.S.e. Bestandsinteresses, losgelöst von den Interessen der Gesellschafter, anerkennt. Denn nur dann lässt sich von einem nur mittelbaren Gläubigerschutz sprechen.33 Bevor diese zentrale Frage in den Blick genommen wird, soll jedoch zunächst die Existenzvernichtungshaftung als zweite Grenze der gesellschaftsrechtlichen Einwilligungskompetenzen der Gesellschafter erläutert werden.
(2) Existenzvernichtungshaftung
Nach dem Grundsatz des § 13 Abs. 2 GmbHG haftet für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur das Gesellschaftsvermögen. Eine gesellschaftsrechtliche Durchgriffshaftung lässt sich dennoch im Rahmen einer teleologischen Reduktion dieser Vorschrift gemäß dem Gedanken des venire contra factum proprium rechtfertigen. Denn wer in den Genuss der Haftungsbeschränkung der GmbH kommen möchte, muss sich auch der Vermögenstrennung als deren Voraussetzung unterwerfen.34 Der II. Zivilsenat des BGH hat in seinem Urteil zum Verfahrenskomplex „Bremer Vulkan“35 die Eigenhaftung der Gesellschafter in Anlehnung an die Existenzgefährdungsrechtsprechung der Strafsenate36 erstmals auf die Grundlage der Existenzvernichtungshaftung gestellt.37 Sie ergänzt das von den §§ 30 f. GmbHG vorgegebene Kapitalschutzsystem durch eine Schadensersatzpflicht der Gesellschafter und besagt im Kern, dass die Gesellschafter ihre Gesellschaft nicht durch den Entzug von Vermögenswerten in die Insolvenz treiben oder eine solche vertiefen dürfen.38 Dadurch soll verhindert werden, dass die Gläubiger der Gesellschaft keine oder keine volle Befriedigung ihrer Ansprüche erlangen.39 Ursprünglich war die zivilrechtliche Existenzvernichtungshaftung als Außenhaftung gegenüber den Gläubigern ausgestaltet. Es handelte sich mithin um eine Durchgriffshaftung, die subsidiär zu den §§ 30, 31 GmbHG angewendet wurde und den Gläubigern einen direkten Zugriff auf das Vermögen der Gesellschafter ermöglichte.40 In seiner „Trihotel“-Entscheidung41 hat der II. Zivilsenat des BGH die Haftung wegen existenzvernichtender Eingriffe der Gesellschafter jedoch auf eine neue Grundlage gestellt. Die Existenzvernichtungshaftung stellt nunmehr einen Unterfall der sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB dar, der an die missbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen Vermögens anknüpft und als schadensersatzrechtliche Innenhaftung der Gesellschaft selbst einen Anspruch gegen ihre Gesellschafter gewährt.42 Für die Beurteilung der Schutzrichtung der Existenzvernichtungshaftung geht es wiederum um die allgemeinere Frage, ob es – dem Gläubigerschutz vorgelagert – tatsächlich ein eigenständiges Schutzbedürfnis der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern geben kann, das den Vorzug der Anwendung des § 266 StGB gegenüber den §§ 283 ff. StGB zu rechtfertigen vermag.43 Zentraler Anknüpfungspunkt sowohl für die Einordnung der Schutzrichtung der Kapitalerhaltungsvorschriften als auch der Existenzvernichtungshaftung ist also die dogmatische Vorstellung über das „Wesen“ und ein etwaiges Eigeninteresse der GmbH. Im Kern muss demnach die Frage beantwortet werden, was das Gesellschaftsrecht mit der GmbH schaffen wollte: Eine bloße Methode oder ein rechtliches Geschöpf mit Eigenleben?44
bb) Bestehen eines gesellschaftsrechtlichen Eigeninteresses der GmbH
(1) Ausgestaltung der Kapitalerhaltungsvorschriften
Berücksichtigt man zunächst die Ausgestaltung der §§ 30 f. GmbHG, die im Falle eines Verstoßes gegen das Auszahlungsverbot einen Anspruch der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern begründen, liegt es nahe, von einem eigenen Interesse der Gesellschaft am Erhalt ihres Stammkapitals auszugehen. Denn in der Konstruktion der §§ 30 f.
29 Siehe nur BGH, NJW 2000, 154, 155 f.
30 Zu beachten sind jedoch die durch das MoMiG in S. 2 und S. 3 normierten Ausnahmeregelungen.
31 Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck (Hrsg.), Kommentar zum GmbHG19, 2010, § 30 Rn. 1; Wicke, Kommentar zum GmbHG2, 2011, § 30 Rn. 4.
32 Vgl. Kaufmann (Fn. 24), S. 82 f.
33 Siehe auch Rönnau (Fn. 9), S. 247, 253.
34 So Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 2010,§ 29 Rn. 26.
35 BGHZ 149, 10, 19.
36 Siehe Hohn, (Fn. 2), S. 315, 317; Radtke/Hoffmann, GA 2008, 535, 544.
37 Zuvor wurde eine Eigenhaftung der Gesellschafter in besonderen Fällen über eine analoge Anwendung der §§ 308 ff. AktG begründet.
38 Siehe nur Grunewald (Fn. 5), 2. F. Rn. 162.
39 Hierzu Raiser/Veil (Fn. 34), § 29 Rn. 30.
40 Siehe BGHZ 151, 181 ff. („KBV“); Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck (Fn. 31), § 13 Rn. 57.
41 BGHZ 173, 246 ff.
42 BGHZ 173, 246, 252 f.
43 Statt vieler Rönnau (Fn. 9), S. 247, 259 f.
44 Siehe Schanze, NZG 2007, 81, 84.
GmbHG stellt die Gesellschaft das Bindeglied zwischen den Gesellschaftern und den Gesellschaftsgläubigern dar, woraus einige schließen, dass ihre Interessen auch bei der Absicherung des Stammkapitals im Vordergrund stehen.45 Ebenso lässt sich aber vertreten, dass die Zwischenschaltung der GmbH lediglich eine notwendige Folge ihrer eigenen Rechtspersönlichkeit und Vermögensfähigkeit gemäß § 13 GmbHG ist, dies jedoch nichts daran ändert, dass Sinn und Zweck der §§ 30 f. GmbHG in erster Linie nur der Gläubigerschutz ist.46 Aus der Ausgestaltung bzw. dem Wortlaut der §§ 30 f. GmbHG lässt sich somit keine zwingende Aussage über ein vorgeschaltetes Eigeninteresse der Gesellschaft herleiten.
(2) Ausformung der Existenzvernichtungshaftung durch den II. Zivilsenat
Auch wenn die gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung zu der Rechtsfigur der Existenzvernichtungshaftung grds. keinerlei Bindungswirkung für die Strafgerichte entfaltet, bietet sie sich dennoch als Anhaltspunkt an, wenn man das Wesen der GmbH bzw. ein etwaiges Eigeninteresse bestimmten möchte. Denn ein Bezug zwischen Gesellschaftsrecht und Strafrecht ist gerade da weiterführend, wo sich eine enge Verzahnung der beiden Rechtsbereiche ergibt.47
In der Entscheidung des II. Zivilsenats im Verfahrenskomplex „Bremer Vulkan“ ist im Zusammenhang mit der Begründung einer Schadensersatzpflicht der Gesellschafter aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB die Rede von einem „Eigeninteresse der Gesellschaft an der Aufrechterhaltung ihrer Fähigkeiten, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen.“48 Diese Aussage des II. Zivilsenats wird von einigen Vertretern der eingeschränkten Gesellschaftertheorie so verstanden, als liege ihr die Vorstellung von einem Eigeninteresse der Gesellschaft an ihrem Fortbestand, unabhängig von den Gesellschaftern, zugrunde, das seinerseits die Anwendung des § 266 StGB rechtfertigen könne.49 In jüngeren Beiträgen der Befürworter eines Eigeninteresses wird insbesondere die „Trihotel“-Entscheidung des BGH50 angeführt. In der Umgestaltung der Existenzvernichtungshaftung von einer Außenhaftung zu einer Innenhaftung sehen Teile der Literatur das Bekenntnis des II. Zivilsenats zu einem unmittelbaren Schutz des Überlebensinteresses der GmbH, der seinerseits lediglich Raum für eine mittelbare, reflexartige Gläubigerschutzfunktion lasse.51
Unstreitig ist in diesem Zusammenhang, dass sich aus der Ausformung der Existenzvernichtungshaftung des II. Zivilsenats eine Tendenz zur Stärkung der Rechtspersönlichkeit der GmbH auch gegenüber ihren Gesellschaftern ableiten lässt.52 Fraglich bleibt jedoch, ob der II. Zivilsenat dadurch tatsächlich ein Eigenleben der GmbH anerkennen und dem Gläubigerschutz somit eine untergeordnete Rolle zuweisen wollte. Denn der BGH begründet die Sittenwidrigkeit des existenzvernichtenden Eingriffs gerade damit, dass dieser unter Missachtung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gläubiger erfolgt.53 Ebenso gut ließe sich dementsprechend aus der Entwicklung der Rechtsprechung eine Stärkung des Gläubigerschutzes ableiten.54 Man könnte in dem vom II. Zivilsenat immer wieder herangezogenen Überlebensinteresse der Gesellschaft also auch die gebündelten Gläubigerinteressen erblicken und das Gesellschaftsvermögen lediglich als Plattform für diesen Schutz einordnen.55
Eine solche Sichtweise findet Unterstützung in einer Anmerkung56 zu einer jüngst ergangenen Entscheidung des BGH57 von Goette, der bis Ende 2010 Vorsitzender des II. Zivilsenats des BGH war und somit maßgeblich an den hier aufgeführten Entscheidungen des II. Zivilsenats mitwirkte. Im Rahmen dieser Anmerkung bezeichnet Goette die Annahme, dass die GmbH eine von ihren Gesellschaftern unabhängige Existenz hat, als „Fehlvorstellung“.58 Er stellt weiterhin klar, „dass der Gesetzgeber die GmbH (lediglich) zur Verfügung gestellt hat, um den am Wirtschaftsleben teilnehmenden die Möglichkeit zu eröffnen, das Risiko zu begrenzen, für diese Teilnahme in unbeschränkter Höhe haftbar gemacht werden zu können.“59 Insoweit handelt es sich laut Goette bei der GmbH um eine „Veranstaltung ihrer Gesellschafter“60 , die ihre Berechtigung aus ihrer Funktion zur Haftungskanalisierung und -beschränkung ableitet.61 Solange die Interessen Dritter, insbesondere Gläubigerinteressen, nicht gefährdet werden, sollen die Gesellschafter mit „ihrem Geschöpf“ demnach nach Belieben verfahren können. Somit lässt sich die Rechtsprechung des II. Zivilsenats zu der Existenzvernichtungshaftung nicht für die Begründung eines Eigeninteresses heranziehen.
(3) Systematik der Kompetenzordnung
Berücksichtigt man zudem die Systematik der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung der GmbH, ergibt sich, dass für ein Eigeninteresse der GmbH neben den Gesellschafterinteressen kein Raum bleibt. Denn die Gesellschafterversammlung ist das höchste Organ der GmbH und ist als solches mit den „Zielvorgabe- und Weisungsbefugnissen“ ausgestattet. Die umfassende „Interessendefinitionsmacht“ der Gesellschafter vermittelt ihnen die Möglichkeit, die eigenen Interessen bis an die Grenze des Gläubigerschutzes zum Gesellschaftsinteresse zu erheben.62 In einem Spannungsverhältnis stehen demnach nicht die Interessen der Gesellschafter und ihrer GmbH, sondern die der Gesellschafter und der Gesellschaftsgläubiger. Der tiefere Sinn des Kapitalerhaltungssystems ist folglich allein der Gläubigerschutz und ein Eigeninteresse der GmbH ist weder in den Kapitalerhaltungsvorschriften noch in der Kompetenzordnung angelegt.
3. Fazit
Die Ausgestaltung des Kapitalerhaltungssystems und die Systematik der Kompetenzordnung zeigen demnach, dass –
45 Kaufmann (Fn. 24), S. 82 f.; Brammsen, DB 1989, 1609, 1612.
46 Fischer (Fn. 1), § 266 Rn. 99; Seier, in: Achenbach/Ransiek, (Fn. 18), V. 2. Rn. 292.
47 In diese Richtung auch Fleischer, NJW 2004, 2867, 2870.
48 BGZ 149, 10 f.
49 Kritisch gegenüber einem solchen Schluss Krause, JR 2006, 51, 54.
50 BGHZ 173, 246 ff.
51 So Hoffmann (Fn. 3), S. 164 ff.; Radtke/dies., GA 2008, 535, 544 ff.
52 Siehe Lutter, in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), Kommentar zum GmbHG17, 2009, § 13 Rn. 32 f.; Goette, DStR 2007, 1593, 1594.
53 Siehe BGHZ 173, 246, 252, 256 („Trihotel“); BGHZ 151, 181, 186 („KBV“).
54 Siehe Lutter, in: Lutter/Hommelhoff (Fn. 52), § 13 Rn. 32.
55 Siehe Schanze, NZG 2007, 81, 84.
56 Goette, DStR 2010, 64 f.
57 BGH, DStR 2010, 63 f.
58 Goette, DStR 2010, 64.
59 Goette, DStR 2010, 64.
60 Goette, DStR 2010, 64.
61 Goette, DStR 2010, 64.
62 So auch Rönnau (Fn. 9), S. 247, 261.
wenn man die Gläubigerinteressen von dem materiellen Eigeninteresse der Gesellschaft subtrahiert – kein Bestandsinteresse der Gesellschaft unabhängig von ihren Gesellschaftern übrig bleibt.63 Da die Kapitalerhaltung also lediglich den im Rahmen von § 266 StGB irrelevanten Gläubigerinteressen dient, verdient die strenge Gesellschaftertheorie den Vorzug und die Einwilligungskompetenzen der Gesellschafter sind bezüglich untreuerelevanter Vermögensdispositionen des Geschäftsführers unbeschränkt.
II. Einwilligungskompetenzen der Aktionäre der AG
1. Zuordnung der Einwilligungskompetenzen
Bereits die Zuordnung der strafrechtlichen Einwilligungskompetenzen zu einem der Organe der AG stellt sich als problematisch dar. Dies lässt sich primär auf die aktienrechtliche Organverfassung zurückführen, denn im Gegensatz zu den recht übersichtlichen Organisationsstrukturen der GmbH weist die AG ein ausdifferenziertes System der Gewaltenteilung und -verschränkung auf. Als Träger der Einwilligungskompetenz kommen grds. die Aktionäre, der Vorstand und der Aufsichtsrats in Betracht.64
Wenn man die Einwilligungskompetenzen aus der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung ableitet, lässt sich zunächst die folgende grundlegende Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche festhalten: Während der Aufsichtsrat eine nur mittelbar vermögensrelevante Überwachungsfunktion hat und somit für eine untreuerelevante Einwilligungskompetenz nur in den seltensten Fällen in Betracht kommt, stehen sowohl dem Vorstand als auch den Aktionären durch die Hauptversammlung vermögensrelevante Aufgabenbereiche in Form der Leitungsfunktion und der Willensbildungsfunktion zu.65 Die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Ausübung der Dispositionsbefugnis lässt sich jedoch nicht schon aus ihrer grundsätzlichen Willensbildungsfunktion bzw. einer etwaigen Position als „höchstes Organ“ heraus bestimmen. Denn der heutigen Ausgestaltung des Aktienrechts ist eine hierarchische Kompetenzordnung fremd. Die einzelnen Organe agieren in klar aufgeteilten Zuständigkeitsbereichen, ohne dass sich ein Machtgefälle zugunsten eines Organs feststellen ließe.66 Im Gegensatz zum Zuständigkeitsbereich der Gesellschafterversammlung der GmbH sind die Kompetenzen der Hauptversammlung auf die im Gesetz bzw. in der Satzung festgelegten Entscheidungen beschränkt und ihr Einfluss ist dementsprechend wesentlich geringer. Vor dem Hintergrund der Einwilligung in untreuerelevante Vermögensdispositionen sind vor allem die Entscheidungskompetenz bezüglich der Verwendung des Bilanzgewinns gemäß § 174 Abs. 1 S. 1 AktG, sowie die Zuständigkeit für Grundlagenentscheidungen, wie Satzungsänderungen gemäß § 179 ff. AktG oder die Auflösung der Aktiengesellschaft gemäß § 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG zu nennen.67 Zu berücksichtigen ist jedoch insbesondere, dass die Hauptversammlung grds. keine Möglichkeit hat, in die Geschäftsführungs- oder Verwaltungskompetenzen des Vorstands einzugreifen. Gemäß den §§ 119 Abs. 2, 111, Abs. 4, S. 3 und 4 AktG entscheidet sie vielmehr nur, wenn der Vorstand es verlangt. Das fehlende Weisungsrecht der Hauptversammlung gegenüber dem Vorstand stellt im Untreuekontext den entscheidenden Unterschied zur Gesellschafterversammlung der GmbH dar. Der Vorstand leitet also gemäß § 76 Abs. 1 AktG die Geschicke der AG eigenverantwortlich.68 Daraus schließen einige Vertreter der strafrechtlichen Literatur, dass dem Vorstand im Rahmen seines Geschäftsführungsbereichs auch die strafrechtliche Einwilligungskompetenz zukomme.69 In eine ähnliche Richtung ließen sich auch die Ausführungen des BGH im „Siemens-Verfahren“70 deuten. Denn der BGH stellte in dieser Entscheidung fest, dass keine wirksame Einwilligung der Treugeberin, welche die Pflichtwidrigkeit der Einrichtung von verdeckten Kassen hätte ausschließen können, vorlag und bezog sich dabei auf die fehlende Zustimmung des Zentralvorstands.71 Ob sich daraus jedoch schließen lässt, dass der BGH damit tatsächlich dem Vorstand als Leitungsorgan der AG die Einwilligungskompetenz über das Gesellschaftsvermögen zuordnen wollte, ist insbesondere insofern fraglich, als er in seinen Ausführungen ausschließlich auf Entscheidungen verwies, deren Gegenstand die Einwilligungskompetenz der Gesellschafterversammlung einer GmbH war.72 Das parallele Organ zu der Gesellschafterversammlung der GmbH wäre für die AG jedoch allenfalls die Hauptversammlung. Die untreuerelevante Einwilligungskompetenz beim Vorstand zu verorten, würde entweder bedeuten, eine Einwilligung des Vorstands in seine eigenen untreuerelevanten Vermögensdispositionen zu konstruieren73 oder – im Falle der untreuerelevanten Dispositionen durch leitende Angestellte – eine Einwilligungskompetenz des Vorstands anzunehmen, die wegen § 93 Abs. 1 S. 1 AktG jedoch ihrerseits auf den Bereich des gesellschaftsrechtlich Zulässigen begrenzt wäre.74 In beiden Situationen kann von einer tatsächlichen Einwilligung im strafrechtlichen Sinne nicht die Rede sein, denn im Bereich des gesellschaftsrechtlich Zulässigen ist eine tatbestandsauschließende Einwilligung überflüssig.75 Für die AG ist somit die Hauptversammlung das einzige Organ, das für die Ausübung der Dispositionsbefugnis in Betracht kommt.76
Eine faktisch-wirtschaftliche Zuordnung der Einwilligungskompetenzen sieht sich vor dieselben Probleme gestellt, denn der in vielen Bereichen fehlende Einfluss der Aktionäre steht einer wirtschaftlichen Identifikation mit der AG im Wege.77 Auch hier gilt jedoch das bereits Gesagte, wonach die Hauptversammlung das einzig denkbare Organ ist, das die Dispositionsbefugnis über das Vermögen der AG ausüben könnte.
2. Grenzen der Einwilligungskompetenzen im Untreuekontext
Während der BGH in Bezug auf die Einwilligungskompetenzen der Gesellschafter einer GmbH in ständiger Rechtsprechung die eingeschränkte Gesellschaftertheorie vertritt, lässt
63 Siehe Rönnau (Fn. 9), S. 247, 260.
64 Rönnau, StV 2009, 246, 247.
65 Siehe grundlegend Grunewald (Fn. 5),2. C. IV. – VI.
66 Göhmann, in: Henn/Frodermann/Jannott, Handbuch des Aktienrechts8, Kap. 9 Rn. 1; Rönnau (Fn. 9), S. 247, 257.
67 Statt vieler Hüffer, Kommentar zum AktG9, 2010,§ 119 Rn. 5 ff.
68 Busch (Fn.2), S. 153, Rönnau (Fn. 9), S. 247, 257.
69 So Zech, Untreue durch Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft, 2006, S. 107 ff.; Brammsen/Apel, WM 2010, 781, 786.
70 BGHSt 52, 323 ff.
71 Siehe BGHSt 52, 323, 335.
72 Siehe hierzu ausführlich Hohn (Fn. 2), S. 315, 325.
73 Hohn (Fn. 2), S. 315, 325; Rönnau (Fn. 9), S. 247, 258 (dortige Fn. 67).
74 So wohl BGHSt 52, 323, 335.
75 Siehe Hohn (Fn. 2), S. 325.
76 Statt vieler Busch, (Fn. 2), S. 152 ff.; Hoffmann (Fn. 3), S. 176.
77 Siehe Hoffmann (Fn. 3), S. 176 f.; Rönnau, (Fn. 9), S. 247, 258 f.
sich der Rechtsprechung zur AG noch keine klare Linie bezüglich etwaiger Einwilligungskompetenzen und ihrer Begrenzungen entnehmen. Beispielhaft für die Unsicherheiten in diesem Bereich ist die Entscheidung des BGH im „Mannesmann-Verfahren“78 . Der BGH bejahte zwar grds. die Einwilligungsmöglichkeit der Hauptversammlung, machte die Wirksamkeit der Einwilligung jedoch davon abhängig, dass diese nicht gegen Rechtsvorschriften verstoße.79 Welche Rechtsvorschriften gemeint sind, erläuterte der BGH jedoch nicht, so dass sich der Entscheidung letztlich keine Aussage über etwaige Beschränkungen der Einwilligungskompetenzen entnehmen lässt.80 Auch in der strafrechtlichen Literatur steht die Diskussion der Einwilligungskompetenzen unter Bezugnahme auf die Eigenheiten des Aktienrechts noch am Anfang.
a) a) Übertragung der Grundsätze der GmbH auf die AG
Einige Stimmen in der strafrechtlichen Literatur greifen für die AG auf die im Kontext der GmbH-Untreue entwickelten Grundsätze zurück, ohne sich mit der unterschiedlichen Ausgestaltung der Kompetenzordnung und des Kapitalschutzsystems näher zu befassen.81 Vor dem Hintergrund der eben aufgezeigten Unterschiede zwischen den Organisationsstrukturen von GmbH und AG und der unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten von Gesellschafterversammlung und Hauptversammlung vermag eine Übertragung ohne Berücksichtigung der Besonderheiten der AG jedoch nicht zu überzeugen. Zur Bestimmung der Grenzen der Einwilligungskompetenzen der Aktionäre bedarf es deshalb einer Auseinandersetzung mit den aktienrechtlichen Grenzen der Dispositionsmöglichkeiten und ihren Schutzrichtungen.
b) Aktienrechtliche Grenzen und ihre Schutzrichtung
aa) Kapitalbindung gemäß §§ 57 ff. AktG
§ 57 Abs. 1 und 3 AktG verbietet grds. jede offene Vermögenszuwendung an die Aktionäre. Die Aktionäre dürfen demnach lediglich im Rahmen eines ordnungsgemäßen Gewinnausschüttungsverfahren nach den §§ 59, 60, 174 AktG oder in einem der gesetzlich normierten Ausnahmefälle auf das Vermögen der AG zugreifen.82 In dieser strengen Kapitalbindung zeigt sich der für die Ausgestaltung des Kapitalschutzsystems maßgebliche Unterschied zwischen GmbH und AG. Denn während das GmbH-Recht den Gesellschaftern die freie Verfügung über das Gesellschaftsvermögen bis an die Grenze des Stammkapitals gestattet, haben die Aktionäre der AG grds. nur Zugriff auf den Bilanzgewinn. Im Falle eines Verstoßes gegen die starren Ausschüttungssperren greift § 62 AktG als Rückgewähranspruch der AG gegen die Aktionäre ein.83 Gemäß § 62 Abs. 2 S. 1 AktG kann der Rückgewähranspruch sogar von den Gesellschaftsgläubigern selbst verfolgt werden, wenn sie von der AG keine Befriedigung erlangen können. Zu berücksichtigen ist auch, dass § 62 AktG, anders als § 31 Abs. 2 GmbH, den Aktionär selbst dann zur Rückgewähr verpflichtet, wenn der entnommene Betrag zur Gläubigerbefriedigung nicht erforderlich ist.84 Daraus wird größtenteils geschlossen, dass der Zweck der Erhaltung des Grundkapitals i.S.d. §§ 57 ff. AktG über den Schutz der bloßen Gläubigerinteressen hinausgehen muss. Angeführt werden als weitere Schutzzwecke die Gleichbehandlung der Aktionäre gemäß § 53a AktG, die Sicherung der gesetzlichen Kompetenzverteilung und damit zusammenhängend die Gewährleistung eines vollständigen Gewinnausweises bzw. die Transparenz der Bilanzaufstellung.85 Andere gehen hingegen davon aus, dass auch im Aktienrecht primärer Zweck der Kapitalerhaltungsvorschriften der Gläubigerschutz ist und die anderen genannten Momente lediglich Schutzreflexe der starren Ausschüttungssperren darstellen.86 Jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Ausgestaltung der aktienrechtlichen Kapitalbindung sich gerade nicht mit dem bloßen Gläubigerschutz rechtfertigen lässt. Teile der gesellschaftsrechtlichen Literatur bezweifeln sogar, dass die genannten Schutzzwecke in ihrer Gesamtheit eine ausreichende Erklärung für das strenge Kapitalschutzsystem des Aktienrechts liefern können.87 Auch mit Blick auf die wirtschaftliche Bedeutung der Aktiengesellschaften als Unternehmen ist es folglich überzeugender, von verschiedenen Schutzzwecken auszugehen.
Diese strenge Kapitalbindung und der begrenzte Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung werfen in Bezug auf die Einwilligungskompetenzen die Frage auf, ob ein Eigeninteresse der AG besteht, das – vorbehaltlich einer Übertragung auf das Untreuestrafrecht – eine so weit gehende Begrenzung der strafrechtlichen Einwilligungskompetenzen der Hauptversammlung zur Folge haben kann, dass von einer Einwilligung im strafrechtlichen Sinne nicht mehr die Rede sein kann. Bevor darauf näher eingegangen wird, sollen zunächst weitere Anknüpfungspunkte aufgezeigt werden, die für die Bestimmung der Beschränkung der Einwilligungskompetenzen relevant werden können.
bb) Gesellschaftsrechtliche Unterteilung des Eigenkapitals
Eine maßgebliche Wertung für die Grenzen der Einwilligungskompetenzen der Hauptversammlung könnte die aktienrechtliche Unterteilung des Eigenkapitals in unterschiedliche Kapitalgruppen ergeben. Denn soweit die durch die Regelungen der §§ 57 ff. AktG gebundenen Kapitalgruppen diesem Schutz aus unterschiedlichen Gründen unterstellt werden, könnten sich daraus auch unterschiedliche Schlussfolgerungen für die strafrechtliche Begrenzung der Eiwilligungskompetenzen herleiten lassen.88 Auf gesellschaftsrechtlicher Ebene wird grds. zwischen dem Grundkapital, den Kapitalrücklagen, den Gewinnrücklagen, dem Gewinnvortrag und dem Jahresüberschuss unterschieden, wobei lediglich das Grundkapital, die Kapitalrücklagen und die Gewinnrücklagen der Bindung der §§ 57 ff. AktG unterstehen, während der Gewinnvortrag sowie der Jahresüberschuss zur Disposition der Hauptversammlung stehen.89 Die Gewinnrücklagen lassen sich ihrerseits in gesetzliche Rücklagen und andere Rücklagen aufteilen, wobei die anderen Rücklagen in gebundener und in freier Form bestehen.90 Unter in diesem Sinne freien
78 BGHSt 50, 331 ff.
79 BGHSt 50, 331, 342.
80 So auch Rönnau (Fn. 9), S. 247, 251; ähnlich Hohn (Fn. 3), S. 315, 324.
81 Kritisch bzgl. einer Übertragung insbesondere Busch (Fn. 2), S. 152 f.; Rönnau (Fn. 9), S. 247, 251.
82 Siehe Raiser/Veil (Fn. 34), § 19 Rn. 4; Hoffmann (Fn. 3), S. 114.
83 Raiser/Veil (Fn. 34),§ 19 Rn. 11.
84 Siehe Hoffmann (Fn. 3), S. 115; Brand, AG 2007, 681, 683.
85 Statt vieler Hüffer (Fn. 67), § 57, Rn. 1; v. Spannenberg, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), Kommentar zum AktG2, 2010, Bd. I, § 57 Rn. 4.
86 Siehe nur Fleischer, in: K. Schmidt/Lutter (Hrsg.), Kommentar zum AktG2, 2010, Bd. I, § 57 Rn. 3; Hölters, Kommentar zum AktG1, 2011,§ 57 Rn. 2.
87 Siehe nur v. Spannenberg, in: Spindler/Stilz (Fn. 85), § 57 Rn. 5.
88 Siehe hierzu Brand, AG 2007, 681, 685 ff.
89 Siehe nur Raiser/Veil (Fn. 34),§ 17 Rn. 1.
90 Hierzu nur Hüffer (Fn. 67), § 58 Rn. 5.
Rücklagen sind all diejenigen Rücklagen zu verstehen, die ohne gesetzlichen Zwang oder satzungsmäßige Anordnung verwendet, also grds. auch an die Aktionäre ausgeschüttet werden dürfen.91 Die Nichteinhaltung des für die Auflösung der freien Rücklagen vorgesehenen Verfahrens führt zu einem Verstoß gegen § 57 Abs. 1 AktG, der seinerseits eine Rückgewährpflicht gemäß § 62 Abs. 1 AktG auslöst.92 Nach überzeugender Ansicht hat diese Bindung der freien Rücklagen jedoch lediglich die Funktion, die Einhaltung der Zuständigkeitsverteilung bzw. die Transparenz der Bilanzaufstellung zu gewährleisten, denn eine Absicherung des Kapitals der AG lässt sich aufgrund der freien Verfügbarkeit dieser Rücklagen nicht annehmen.93
cc) Mindestkapitalausstattung
Ebenfalls von Bedeutung für eine Begrenzung der strafrechtlichen Einwilligungskompetenzen könnten die Regelungen über die Mindestkapitalausstattung der AG sein.94 Aus den §§ 222 ff. AktG ergibt sich die Kompetenz der Hauptversammlung zur Kapitalherabsetzung. Ihre Grenze findet diese Freiheit grds. in § 7 AktG, der den Mindestnennbetrag des Grundkapitals der AG auf 50.000 EUR festlegt.
c) Bestehen eines aktienrechtlichen Eigeninteresses der AG
Auch für die AG stellt sich dementsprechend die Frage, ob sich aus den aufgezeigten aktienrechtlichen Kapitalbindungsvorschriften oder der Systematik der Kompetenzordnung ein Eigeninteresse der AG ergibt, das seinerseits eine für das Untreuestrafrecht relevante Grenze der Einwilligungskompetenzen festlegt.
aa) Ausgestaltung der Kapitalbindungsvorschriften
Der Ausgestaltung der §§ 57 ff. AktG lässt sich unzweifelhaft entnehmen, dass der Gesetzgeber dem Schutz des Vermögens der AG entscheidende Bedeutung beigemessen hat. Das Kapitalschutzsystem der AG ist in diesem Sinne eindeutig auf die Rentabilität und den Fortbestand der AG ausgerichtet.95 Da die Kapitalbindung gemäß §§ 57 ff. AktG unterschiedliche Schutzfunktionen aufweist, lässt sich ein Eigeninteresse der AG nicht in Parallele zur Argumentation bei der GmbH ablehnen, deren Kapitalerhaltung gemäß §§ 30 ff. GmbHG nach überzeugender Ansicht nur den für § 266 StGB irrelevanten Gläubigerinteressen dient. Das hohe Schutzniveau, das die strenge Kapitalbindung bei der AG sicherstellt, lässt also zumindest Raum für ein entsprechendes Eigeninteresse.
bb) Systematik der Kompetenzordnung
Die Stimmen in der Literatur, die sich mit einem etwaigen Eigeninteresse der AG beschäftigen, leiten ihre Argumente für oder gegen das Bestehen eines solchen Eigeninteresses primär aus der Kompetenzordnung der AG ab. So wird gegen ein Eigeninteresse und damit für eine uneingeschränkte Einwilligungskompetenz der Hauptversammlung angeführt, die Aktionäre seien die wahren Eigentümer des Kapitals der AG, da sie die Vermögensbindung des Aktienrechts maßgeblich beeinflussen könnten.96 Vor dem Hintergrund der eingeschränkten Kompetenzen der Aktionäre, die sich grds. auf die Entscheidung über die Gewinnverteilung beschränken, vermag eine solche Ansicht nicht zu überzeugen.97 Vielmehr spricht die Tatsache, dass die Einflussmöglichkeiten in der AG gleichmäßig auf ihre Organe verteilt sind, für das gegenteilige Ergebnis. Während bezüglich der Kompetenzordnung der GmbH festgestellt wurde, dass die Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter – insbesondere aufgrund ihres Weisungsrechts – so bedeutsam sind, dass sie ihre Interessen letztlich zum Gesellschaftsinteresse erheben können und in dieser Freiheit lediglich durch die Sicherung der Gläubigerinteressen begrenzt sind, stellt sich das Spannungsfeld für die AG wesentlich komplexer da. Diese Komplexität spiegelt sich in den streng aufgeteilten Zuständigkeitsbereichen der Organe der AG wider und lässt sich vor allem damit begründen, dass der Gesetzgeber die AG als Rechtsform für große Wirtschaftsunternehmen ausgestaltet hat.98 Im Wirkungskreis der AG stehen sich somit die Interessen der Aktionäre, die der Arbeitnehmer und die der Öffentlichkeit gegenüber, ohne dass ein absolut vorrangiges Interesse innerhalb dieser Interessenpluralität ausgemacht werden könnte.99 Auch die Interessenvertretung ist demnach vielschichtig und wird durch die gleichmäßige Kompetenzverteilung auf die Hauptversammlung, den Vorstand und den Aufsichtsrat gesichert. Den Aktionären kommt folglich weder eine alleinige Interessendefinitionsmacht noch eine Letztentscheidungskompetenz zu.100 Vielmehr findet durch die drei Organe der AG eine gemeinsame Abwägung der Einzelinteressen statt, die ihrerseits voraussetzt, dass die AG nicht nur als bloße Plattform, auf der sich die verschiedenen Interessen gegenüberstehen, verstanden wird, sondern vielmehr als eigenständiges, übergeordnetes Moment.101 Die Systematik der Kompetenzordnung spricht somit für ein Eigeninteresse der AG.
d) Reichweite des Eigeninteresses der AG
Mit der Entscheidung für das Bestehen eines Eigeninteresses ist jedoch noch nichts über dessen Reichweite gesagt. Für die Bestimmung der Reichweite spielen die aktienrechtlichen Vorschriften eine maßgebliche Rolle, denn sie legen die Grenzen des gesellschaftsrechtlich Zulässigen fest und sind somit auch der Ausgangspunkt für die konkrete Ausgestaltung des Eigeninteresses.102 Die überwiegende Ansicht in der Literatur103 will für die Bestimmung der Reichweite des Eigeninteresses das gesamte der strengen Bindung der §§ 57 ff. AktG unterliegende Eigenkapital heranziehen, sodass für eine Einwilligungskompetenz der Hauptversammlung nur im Bereich der Gewinnverwendung Raum bliebe.
Demgegenüber vertreten Teile der Literatur,104 dass das aktienrechtliche Eigeninteresse auf die Erhaltung der gesetzlich
91 Hoffmann (Fn. 3), S. 116 (dortige Fn. 510); Brand, AG 2007, 681, 685.
92 Ausführlich zu den Verfahrensvoraussetzungen Brand, AG 2007, 681, 685 ff.
93 Brand, AG 2007, 861, 686 f.; Hoffmann (Fn. 3), S. 186.
94 Siehe hierzu Busch (Fn. 2), S. 167.
95 Siehe nur Busch (Fn. 2), S. 162 f.; Rönnau (Fn. 9), S. 247, 262.
96 So Dittrich, Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen, 2007, S. 227 f.
97 So auch Hoffmann (Fn. 3), S. 177; Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 130.
98 Raiser/Veil (Fn. 34),§ 9 Rn. 11; Jannott/Hagemann, in: Henn/Frodermann/Jannott (Fn. 66), Kap. 2 Rn. 18 ff.
99 Siehe Hüffer (Fn. 67),§ 76 Rn. 12a ff.; Busch (Fn. 2), S. 169; Rönnau (Fn. 9), S. 247, 261.
100 Siehe ausführlich Rönnau (Fn. 9), S. 247, 261.
101 So Rönnau (Fn. 9), S. 247, 261 f.; so i. E. auch Hoffmann (Fn. 3), S. 176 ff.; Kaufmann (Fn. 24), S. 149 ff.
102 Siehe nur Brand, AG 2007, 861, 683.
103 Statt vieler Kaufmann (Fn. 24), S. 149 ff.; Seier, in: Achenbach/Ransiek (Fn. 18), V. 2. Rn. 221 f.
104 So Busch (Fn. 2), S. 167; Hoffmann (Fn. 3), S. 188 f.
festgelegten Mindestgrundkapitals beschränkt sein müsse, da die Möglichkeit der Aktionäre, das Grundkapital der AG im Rahmen einer Kapitalherabsetzung gemäß § 222 ff. AktG bis an die Grenze des § 7 AktG herabzusetzen, zu berücksichtigen sei. Erst in diesem Bereich finde nämlich die Dispositionsfreiheit der Aktionäre ihre tatsächliche Grenze.105
Als vermittelnde Ansicht lässt sich in diesem Zusammenhang der Ansatz Brands einordnen. Er stimmt zwar grds. einer Anknüpfung des Eigeninteresses an die Kapitalbindung nach § 57 Abs. 1 AktG zu, differenziert jedoch weiter zwischen den einzelnen von § 57 AktG erfassten Kapitalgruppen.106 Es wurde bereits erläutert, dass die freien Rücklagen zwar der Bindung des § 57 Abs. 1 AktG unterstehen, jedoch nach ihrer Auflösung an die Aktionäre ausgezahlt werden können. Daraus, dass die Bindung der freien Rücklagen gemäß § 57 Abs. 1 AktG lediglich die Transparenz der Bilanzaufstellung bzw. die Einhaltung der Zuständigkeitsverteilung sicherstellen soll, zieht Brand den Schluss, dass die freien Rücklagen nicht vom Eigeninteresse erfasst seien und bejaht eine Einwilligungskompetenz der Aktionäre in diesem Bereich.107
Für die Bewertung der dargestellten Positionen ist maßgeblich, dass wiederum nur Regelungen, die den Schutz des Kapitals der AG als Rechtsgut des § 266 StGB bezwecken, den Inhalt des Eigeninteresses festlegen können.108 Diese grundsätzliche Voraussetzung spricht bereits gegen eine vollumfängliche Übertragung der Reichweite der Kapitalbindung der §§ 57 ff. AktG auf das Eigeninteresse der AG. Denn wie aufgezeigt schützt die Kapitalbindung der §§ 57 ff. AktG nicht in jedem Bereich tatsächlich das Vermögen der AG. Mit Blick auf den Zweck der Bindung der freien Rücklagen überzeugt folglich die Position Brands, denn soweit die Bindung der freien Rücklagen nicht dem Vermögensschutz der AG dient, lassen sich diese auch nicht dem Eigeninteresse der AG zuordnen.109
Zu fragen bleibt jedoch, ob sich eine darüber hinaus gehende Begrenzung des Eigeninteresses auf die Mindestkapitalausstattung mit den aktienrechtlichen Vorschriften vereinbaren lässt. Berücksichtigt man die gesetzliche Ausgestaltung der Maßnahmen zur Kapitalherabsetzung, stellt sich eine solche Eingrenzung als zu weit gehend heraus. Denn ein solcher Ansatz suggeriert, dass es den Aktionären vollkommen freistehe, die „Option“ der Kapitalherabsetzung nach ihrem Belieben auszuüben. Das formalisierte Verfahren der Kapitalherabsetzung, das in den §§ 222-240 AktG ausführlich geregelt ist, zeigt jedoch, dass das Gesetz elementare Hürden für eine Kapitalherabsetzung vorsieht110 und es sich bei der Kapitalherabsetzung gerade nicht um ein im Belieben der Aktionäre stehendes Verfahren handelt. Folglich verdient die vermittelnde Ansicht Brands den Vorzug. Das Eigeninteresse umfasst somit das durch die §§ 57 ff. AktG gebundene Kapital mit Ausnahme der freien Rücklagen.
e) Schutz des Eigeninteresses durch das (Untreue-)Strafrecht
Auch wenn folglich ein Eigeninteresse der AG besteht, das im Grundsatz mit der Schutzfunktion des § 266 StGB vereinbar ist, bleibt gesondert zu prüfen, ob gegen einen umfassenden strafrechtlichen Schutz dieses Eigeninteresses Einwände bestehen.111 Teile der Literatur sehen die Nichtanerkennung der Einwilligung der Aktionäre, die der strafrechtliche Schutz des Eigeninteresses zur Folge hätte, als problematisch an, da der AG dadurch Vermögensschutz gleichsam aufgedrängt werde.112 Diese Loslösung des gebundenen Vermögens von dessen Verschwendungsmöglichkeit führt dazu, dass im Kontext der AG-Untreue ein Individualrechtsgut, nämlich das Vermögen, anerkannt wird, für das es keine strafrechtliche Dispositionsbefugnis gibt. Dies hat ein Machtvakuum zur Folge, das nicht etwa – wie bei natürlichen geschäftsunfähigen Personen – den Ausnahmefall, sondern vielmehr den Regelfall darstellt.113 Derartige Einwilligungsschranken kann das Strafrecht grds. nur dann zulassen, wenn sie für den Schutz höherrangiger Interessen Dritter bzw. der Allgemeinheit unumgänglich sind.114 Ein solches Schutzbedürfnis ergibt sich jedoch bei der AG aus dem aktienrechtlichen Eigeninteresse an ihrem Bestand, das als übergeordnetes Moment die Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit vereint. Berücksichtigt man die zentrale wirtschaftliche Bedeutung der Aktiengesellschaften,115 sprechen mithin gute Gründe für eine solche Beschränkung der Einwilligungskompetenzen, die letztlich die logische Konsequenz der Gesellschaftsrechtsakzessorietät ist.116
3. Fazit
Aus strafrechtlicher Sicht sind die Einwilligungskompetenzen der Aktionäre der AG folglich auf die Gewinnverwendung und Verwendung der freien Rücklagen beschränkt. Bei genauer Betrachtung der Reichweite dieser Beschränkung wird jedoch klar, dass damit letztlich keinen Raum für eine tatsächliche strafrechtliche Einwilligungskompetenz der Aktionäre im Untreuekontext bleibt. Denn soweit der Vorstand Vermögensdispositionen im Bereich des Bilanzgewinns und der freien Rücklagen vornimmt, fehlt es bereits an der untreuespezifischen Pflichtverletzung,117 da die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften über die Gewinnverwendung und die Verwendung der freien Rücklagen gerade nicht den Schutz der Vermögensinteressen der AG bezwecken. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften wäre im Untreuekontext also ohnehin irrelevant und eine Einwilligung der Aktionäre gar nicht erst notwendig. Den Aktionären der AG kommen im Ergebnis somit grds. keine strafrechtlich relevanten Einwilligungskompetenzen zu.
C. Résumé
Als Ergebnis dieser Untersuchungen ist festzuhalten, dass die Organisationsstrukturen von GmbH und AG sowie etwaige gesellschaftsrechtliche Verfügungsverbote in Bezug auf das Vermögen die relevanten Anknüpfungspunkte sowohl für die Bestimmung des potentiellen Trägers der Einwilligungskompetenzen als auch für die Festlegung deren Reichweite sind.
105 Busch (Fn. 2), S. 167.
106 So Brand, AG 2007, 681, 685.
107 Brand, AG 2007, 681, 687 ff.
108 Siehe nur Hoffmann (Fn. 3), S. 183; Brand, AG 2007, 681 ff.
109 So auch Hoffmann (Fn. 3), S. 186; zurückhaltende Zustimmung auch bei Rönnau (Fn. 9), S. 247, 266 f.
110 Siehe nur Raiser/Veil (Fn. 34),§ 21 Rn. 1 ff.
111 Vgl. Rönnau (Fn. 9), S. 264.
112 Siehe nur Hohn (Fn. 2), S. 336.
113 Siehe Hohn (Fn. 2), S. 336 f.
114 Zusammenfassend Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, S. 583 ff.
115 Vgl. Raiser/Veil (Fn. 34),§ 5 Rn. 1 ff.
116 Siehe nur Radtke/Hoffmann, GA 2008, 535, 544.
117 Vgl. zu der Anforderungen an die Schutzrichtung der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften nur BGH, NJW 2011, 88 ff.; NJW 2011, 1747 ff.
Diese Anlehnung an die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben bedeutet jedoch nicht, dass das Strafrecht die gesellschaftsrechtlichen Wertungen einfach übernehmen kann oder muss. Vielmehr ist insbesondere hinsichtlich der Begrenzungen der Einwilligungskompetenzen gesondert zu prüfen, ob die durch das Gesellschaftsrecht vorgezeichneten Schranken auch für den strafrechtlichen Schutz des Vermögens der juristischen Person vor ihren eigenen Organen erforderlich sind.
Grds. gilt, dass je größer die gesellschaftsrechtlich manifestierten Einflussmöglichkeiten eines Organs auf die Vermögensdispositionen der juristischen Person sind, desto näher liegend ist es, auch für das Strafrecht eine uneingeschränkte Einwilligungskompetenz im Untreuekontext anzunehmen.
Während dies, insbesondere für GmbH, dazu führt, dass sich der Geschäftsführer grds. nicht gemäß § 266 StGB strafbar macht, wenn die erforderliche Mehrheit der Mitglieder- bzw. der Gesellschafterversammlung der vermögensschädigenden Disposition zugestimmt hat, bedeutet dies für den Vorstand einer AG, dass selbst eine Zustimmung der Gesamtheit der Aktionäre nicht zum Tatbestandsauschluss führt.
Auch wenn damit die Relevanz einer Einwilligung der Organe einer juristischen Person letztlich von der gewählten Rechtsform abhängig ist, ist dieses Ergebnis die schlichte Konsequenz der gesetzlichen Ausgestaltung der einzelnen juristischen Personen und entspricht zudem ihrer wirtschaftli chen Bedeutung. Denn die wichtigsten und umsatzstärksten Vermögensträger in Deutschland sind als börsennotierte Aktiengesellschaften organisierte Unternehmen, die einen im mensen Einfluss auf die Wirtschaft und insbesondere den Arbeitsmarkt haben.118 Zudem kennen sich die Aktionäre dieser Großunternehmen nur in den seltensten Fällen mit dem T agesgeschäft ihrer AG aus und sind demnach oftmals nicht in der Lage, das tatsächliche Risiko einer Investition einschätzen zu können. Betrachtet man hingegen die meist als GmbH organisierten mittelständischen Unternehmen, ergibt sich ein vollkommen anderes Bild. Die strafrechtliche Einwilligung als Instrument der Freiheitsbetätigung und der Interesse nwahrnehmung kommt damit einer juristischen Person nur in dem Maße zu, in dem sie es sinnvollerweise durch ihre Organe gebrauchen kann. Alles andere würde die gesellschaft srechtlichen Wertungen auf den Kopf stellen und in der Praxis zu untragbaren Ergebnissen führen.
118 Siehe nur Raiser/Veil (Fn. 34),§ 5 Rn. 1 ff.; Rönnau (Fn. 9), S. 247, 266.