Konflikt zwischen Pressefreiheit und Insiderrecht

Karolin Kreutzer*

Der Kapitalmarkt steht längst im öffentlichen Interesse und damit auch im Fokus der Medien.1 Der Finanz- und Wirtschaftsjournalismus gewinnt an Publikum, was v.a. daran liegen mag, dass sich vermehrt auch private Anleger auf dem Kapitalmarkt ausprobieren.2 Dabei sind die Systeme und Entwicklungen auf den Finanzmärkten hochkomplex und gerade für private Anleger schwer nachzuvollziehen. Dem daraus entstehenden Bedürfnis der leicht verständlichen und zusammengefassten Information als Grundlage für die eigene Urteilsbildung kommt die Presse nach. Bei den hierfür nötigen Recherchen kann es vorkommen, dass Wirtschaftsjournalisten mit sog. Insiderinformationen in Kontakt geraten.3

Zwischen dem die Information berührenden Insiderrecht und der den Journalisten und Journalismus schützenden Pressefreiheit kann dabei ein Spannungsverhältnis entstehen. Rechtlich hat sich dies in Art. 21 der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) niedergeschlagen, der intendiert das Marktmissbrauchsrecht mit der Pressefreiheit in Einklang zu bringen. Trotz der hohen Relevanz der Norm sind ihre Tiefen bisher wenig ausgetestet und folglich ihre tatsächliche Auswirkung in der Literatur höchst umstritten.4

Der Beitrag möchte den Konflikt daher näher beleuchten. Zunächst wird der Zielkonflikt dargestellt (B.), worauf eine Vorstellung der aktuellen rechtlichen Lösung in Art. 21 MAR folgt (C.). Die Norm wird in ihren Auswirkungen untersucht, wobei sich diese Arbeit auf das Offenlegungsverbot des Art. 10 Abs. 1 MAR fokussiert (D.). Im Anschluss wird die Wirkung des Art. 21 MAR in Hinblick auf Art. 10 Abs. 1 MAR bewertet und es werden alternative Lösungswege präsentiert (E.). Die Ergebnisse werden in einem Fazit zusammengefasst (F.).

A. Zielkonflikt zwischen Pressefreiheit und Insiderrecht

I. Ziel des Insiderrechts

„Die wertvollste Ware, die ich kenne, ist die Information“ sagt Bösewicht Gordon Gekko in dem Film „Wall Street“. Dies trifft v.a. auf den Kapitalmarkt zu. Wer von Informationen weiß, die präzise, kursrelevant und nicht öffentlich bekannt sind, kennt eine Insiderinformation i.S.d. Art. 7 MAR und könnte aus diesem Wissensvorsprung im Regelfall Geld machen.5 Allerdings verbietet das Insiderrecht die Offenlegung und Ausnutzung von Insiderinformationen in Art. 14 MAR. Tragender Gedanke des Verbots ist, dass eine informationelle Ungleichheit auf dem Kapitalmarkt zu ungerechtfertigten Vorteilen der Insider führen würde und Anleger das Vertrauen in die Integrität des Kapitalmarkts verlieren könnten.6 Ziel des Insiderrechts ist es derartige Entwicklungen zu verhindern und so zur Transparenz und Integrität der Kapitalmärkte beizutragen.7 Dabei ist die angestrebte informationelle Chancengleichheit oft nicht mit Geheimhaltung zu erreichen, weil es meist schon einen kleineren Kreis von Insidern gibt. Es muss daher oft die Flucht nach vorne angetreten werden und die Information öffentlich bekannt gemacht werden.8 Dies spiegelt sich auch in der sog. Ad-hoc-Publizität des Art. 17 Abs. 1 MAR wieder, der von Emittenten die unverzügliche Bekanntgabe von sie unmittelbar betreffenden Insiderinformation an die Öffentlichkeit fordert.

II. Ziel der Pressefreiheit

Legislative, Exekutive, Judikative und – die Medien.9 Der weit verbreitete Begriff der Medien als vierte Gewalt macht deutlich, wie wichtig sie in einer Welt sind, die immer mehr um Informationen kreist. Die Medien sollen Informationen aufgreifen, verarbeiten, sie kritisieren, diskutieren und so zur Meinungsbildung der Bürger beitragen sowie Partizipation im gesellschaftlichen Diskurs ermöglichen. Hierbei spielt insbesondere die Presse eine wichtige Rolle, womit europarechtlich im Kern periodisch erscheinende Druckschriften gemeint sind.10 So wurde die Presse vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zum öffentlichen Wachhund erkoren.11 Damit die Presse die an sie gerichteten Erwartungen als glaubwürdige Informationsquelle und Faktor für die Meinungsbildung erfüllen kann, wird sie sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene durch das Grundrecht der Pressefreiheit geschützt.12 Der Schutz ist auf beiden Ebenen dualistisch ausgestaltet und umfasst individuell die Freiheit aller Presseangehörigen, sowie überindividuell-objektiv die Gewährleistung der Meinungs- und Medienvielfalt.13 Letztliches Ziel der Pressefreiheit


* Die Autorin ist Studentin an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Zum öffentlichen Interesse an Insiderinformationen s. Flaig, Wirtschaftsjournalismus und Markt – Notwendigkeit und Ansätze einer Regulierung, 2009, S. 19f.; Klöhn, in: Kölner Kommentar zum WpHG2, 2014, WpHG § 14 Rn. 460.

2 Schröder, NJW 2009, 465, 467; Spindler, NZG 2004, 1138.

3 Kumpan/Schmidt, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechtskommentar5, 2020, MAR Art. 21 Rn. 1.

4 Zur Unklarheit der Konsequenzen des Art. 21 MAR: Buck-Heeb, in: Assmann/Schütze/Buck-Heeb (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts5, 2020, § 8 Rn. 282; Meyer, in: Meyer/Veil/Rönnau (Hrsg.), Handbuch zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 8 Rn. 54.

5 Statt vieler Klöhn, in: Klöhn (Hrsg.), Marktmissbrauchsverordnung, 2018, MAR Art. 7 Rn. 129.

6 Erwägungsgrund 23 MAR; zur informationellen Chancengleichheit als oberstes Prinzip des Insiderrechts s. Sturm, ZBB 2010, 20, 28.

7 Art. 1 MAR sowie Erwägungsgrund 2 und 24 MAR; Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 1 Rn. 6.

8 Schröder, in: Schröder/Sethe (Hrsg.), Kapitalmarktrecht und Pressefreiheit, 2011, 75, 81; Sturm, ZBB 2010, 20, 29.

9 Zum Begriff der Medien als vierte Gewalt: Rudolph, Erhalt von Vielfalt im Pressewesen, 2008, S. 2.

10 Cornils, in: BeckOK Informations- und Medienrecht29, 2020, EMRK Art. 10 Rn. 23.

11 EMGR NJW 2004, 2647 Rn. 63.

12 Zur Pressefreiheit als Teilausprägung der europäischen Medienfreiheit: Knecht, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Hrsg.), EU-Kommentar4, 2019, GrCh Art. 11 Rn. 8.

13 Bernsdorff, in: Meyer/Hölscheidt (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union5, 2019, GrCh Art. 11 Rn. 19.

Kreutzer, Konflikt zwischen Pressefreiheit und Insiderrecht , BLJ 2/2020, 123-130124

ist es, den Rahmen für eine freie, unabhängige und vielfältige Berichterstattung zu schaffen, die ihrerseits für die Meinungsbildung und Informierung der Bürger, sowie eine freiheitliche Demokratie von konstituierender Bedeutung ist.14

III. Zielkonflikt

Fraglich ist nun, inwieweit ein Zielkonflikt zwischen den aufgezeigten Zielen des Insiderrechts und der Pressefreiheit besteht. Auf den ersten Blick konvergieren die Interessen dahingehend, dass beide die Publikation von Informationen anstreben. Bei genauerem Hinsehen entstehen jedoch gerade bei der Veröffentlichung von Insiderinformation durch die Presse große Spannungen.

Denn wie der Gesetzgeber mit dem Offenlegungsverbot des Art. 10 Abs. 1 MAR und dem Ad-hoc-Verfahren des Art. 17 MAR zeigt, sollen Insiderinformationen Dritten nicht bekannt gemacht werden, ohne dass die breite Kapitalmarktöffentlichkeit zeitgleich die Möglichkeit zur Wahrnehmung hat.15 Diese Anforderung soll eine schleichende Verbreitung von Insiderinformationen verhindern und die informationelle Chancengleichheit aller Anleger wahren. Das Offenlegungsverbot kann aber mit der alltäglichen journalistischen Arbeit konfligieren, in der Insiderinformationen vor der Veröffentlichung an einzelne Presseangehörige gegeben und kollegial bearbeitet werden. Selbst die Veröffentlichung kann problematisch sein, wenn sie in regionalen Medien erfolgt und somit deutschlandweit nicht alle Anleger gleichzeitig von der Insiderinformation erfahren können.

B. Aktuelle Lösung des Zielkonflikts in Art. 21 MAR

Frage dieses Beitrags ist, ob Art. 21 MAR die aufgezeigten Konflikte zwischen dem Insiderrecht und der Pressefreiheit lösen kann. Art. 21 MAR ist Teil der 2016 in Kraft getretenen Marktmissbrauchsverordnung. Sie ersetzt die Marktmissbrauchsrichtlinie von 200316 und ist dieser in der Konzeption sehr ähnlich.17

I. Anwendungsbereich des Art. 21 MAR

Art. 21 MAR findet Anwendung, wenn für journalistische Zwecke oder andere Ausdrucksformen in den Medien Informationen offengelegt werden.18 Offenlegung ist i.S.d. Art. 10 MAR zu verstehen und bedeutet Dritten die Kenntnisnahme zu ermöglichen, ohne dass die Information dabei gem. Art. 7 Abs. 1 MAR öffentlich bekannt wird.19 Die Voraussetzung der Offenlegung für journalistische Zwecke richtet sich in ihrer Bedeutung nach Art. 11 GrCh,20 der seinerseits an Art. 10 EMRK angelehnt ist.21 Sachlich sind alle pressespezifischen Tätigkeiten von Beschaffung bis Verbreitung von Informationen,22 persönlich alle an der Herstellung und Verbreitung periodischer Presseerzeugnisse Beteiligten erfasst.23 Aus dem Anwendungsbereich der Norm werden gem. Art. 21 lit. a und lit. b MAR Offenlegungen zu eigennützigen und manipulativen Zwecken ausgenommen.24

II. Rechtsfolgen des Art. 21 MAR

Rechtsfolge des Art. 21 MAR ist, dass bei Beurteilung der Offenlegung nach Art. 10 MAR die Pressefreiheit sowie die journalistischen Berufs- und Standesregeln berücksichtigt werden müssen.

1. Berücksichtigung der Pressefreiheit

Die Auslegung und Anwendung von europäischen Sekundärrechtsakten wie der MAR muss stets in Einklang mit dem europäischen Primärrecht und somit auch der Grundrechtecharta stehen.25 Wenn Art. 21 MAR die Berücksichtigung der Pressefreiheit fordert, hat dies insofern nur klarstellenden Charakter.26

a) Inhalt und mögliche Beschränkungen der Pressefreiheit

Die zu berücksichtigende europäische Pressefreiheit ist in Art. 11 GrCh niedergelegt und schützt, wie beschrieben, die Freiheit der pressebezogenen Tätigkeiten aller Presseangehörigen von Beschaffung bis zur Verbreitung der Information.27 Überindividuell ist durch Art. 11 Abs. 2 GrCh die Pluralität der Presse als Grundlage der Meinungsvielfalt geschützt.28 Einen Eingriff in diesen Schutzbereich stellen alle das geschützte Verhalten erschwerenden Regelungen dar.29 Dabei dürfen Eingriffe gem. Art. 52 Abs. 3 GrCh i. V. m. Art. 10 Abs. 2 EMRK nur erfolgen, wenn sie gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind. Zusätzlich sind Einschränkungen der Pressefreiheit eng


14 Rudolph (Fn. 9), S. 2; Spindler, NZG 2004, 1138, 1140.

15 Meyer, in: Meyer/Veil/Rönnau (Fn. 4), § 8 Rn. 55.

16 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch).

17 Kumpan, in: Baumbach/Hopt (Hrsg.), Handelsgesetzbuch39, 2020, Vorbemerkung MAR Rn. 1; zur inhaltlichen Nähe des Mitteilungsverbots in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F. zu Art. 10 MAR: Kumpan/Schmidt, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 10 Rn. 2; aufgrund der Ähnlichkeit wird in dieser Arbeit auch die das frühere Recht kommentierende Literatur herangezogen.

18 Sie findet auch Anwendung bei der Verbreitung von Informationen und Empfehlungen i.S.v. Art. 12 Abs. 1 lit. c MAR und Art. 20 MAR. Der Beitrag konzentriert sich auf das Verhältnis von Art. 21 MAR zu Art. 10 MAR, da das Spannungsverhältnis zwischen Insiderrecht und Pressefreiheit hier besonders evident wird.

19 Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Hrsg.), Wertpapierhandelsrecht7, 2019, MAR Art. 21 Rn. 4; Klöhn/Büttner, WM 2016, 2241, 2242.

20 Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Fn. 19), MAR Art. 21 Rn. 2; Klöhn/Büttner, WM 2016, 2241, 2243.

21 Feise, Medienfreiheit und Medienvielfalt gemäß Art. 11 Abs. 2 der Europäischen Grundrechtecharta, 2006, S. 50; Augsberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Nomos Kommentar, Europäisches Unionsrecht7, 2015, EU-GrCharta Art. 11 Rn. 1f.

22 Jarass, in: Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union3, 2016, EMRK Art. 10 Rn. 18.

23 Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Fn. 19), MAR Art. 21 Rn. 5.

24 Zur gleichlautenden Benennung der Zwecke: Klöhn/Büttner, WM 2016, 2241, 2245.

25 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union69, 2020, AEUV Art. 288 Rn. 226.

26 Kumpan/Schmidt, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art 21 Rn. 3.

27 Siehe hierzu unter C.I.

28 Feise (Fn. 21), S. 100f.; Augsberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Fn. 21), GrCh Art. 11 Rn. 8.

29 Feise (Fn. 21), S. 144-147; Augsberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Fn. 21), GrCh Art. 11 Rn. 8.

Kreutzer, Konflikt zwischen Pressefreiheit und Insiderrecht , BLJ 2/2020, 123-130125

auszulegen und müssen im rechten Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehen.30

b) Abwägung

Sofern insiderrechtliche Regelungen pressespezifische Tätigkeiten erschweren und somit in den Schutzbereich eingreifen, müssen sie daher in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Die Pressefreiheit in Art. 11 GrCh macht keine konkreten Angaben zur Notwendigkeit insiderrechtlicher Beschränkungen. Daher ist die Rechtmäßigkeit durch eine Abwägung zwischen den drohenden Verlusten für die Pressefreiheit und für die Kapitalmarktintegrität zu ermitteln.31

Je nachdem welche Seite überwiegt, findet das Offenlegungsverbot des Art. 10 Abs. 1 MAR auf pressefreiheitlich geschützte Tätigkeiten Anwendung. Bei Überwiegen der Schäden für die Pressefreiheit kann Art. 10 Abs. 1 MAR nicht oder nur in grundrechtskonformer Modifizierung zum Einsatz kommen.32 Tatbestandlicher Aufhänger der Abwägung ist die Unrechtmäßigkeit der Offenlegung.33

2. Berücksichtigung der journalistischen Berufs- und Standesregeln

a) Allgemeines

Weiterhin sollen journalistische Berufs- und Standesregeln berücksichtigt werden. Art. 21 MAR eröffnet so die Möglichkeit der Einbeziehung nationalen Rechts.34 Der Begriff der journalistischen Berufs- und Standesregeln ist nicht definiert. Erfasst sind Vorschriften, die Verhaltenspflichten von Journalisten definieren und konkretisieren. Dabei kann es sich um staatliche Normen, aber auch um Regelungen ohne Gesetzesrang,35 wie etwa selbst gesetzte Verhaltenskodizes handeln.36

b) Landespressegesetze

In Deutschland unterliegt das Presserecht gem. Art. 70 Abs. 1 GG der Landeskompetenz, sodass es auf die Pressegesetze der Bundesländer ankommt. Den Pressegesetzen ist gemein, dass sie eine Wahrheits- und Sorgfaltspflicht festlegen.37 Informationen sind danach vor ihrer Verbreitung auf Richtigkeit, Inhalt und Herkunft zu überprüfen. Auch wird eine strafrechtliche Sonderhaftung der verantwortlichen Redakteure für den Fall begründet, dass mittels eines Druckwerks Straftaten begangen werden.38

c) Der Pressekodex des deutschen Presserats

Als heranzuziehender, selbstgesetzter Verhaltenskodex gilt v.a. der Pressekodex des Deutschen Presserats, der ethische Standards für den Journalismus festlegt.39 Auch hier stehen Wahrheits- und Sorgfaltspflichten an erster Stelle. Relevant für das Insiderrecht ist Ziffer 5.1, die eine Veröffentlichung als geheim bezeichneter Vorgänge erlaubt, wenn das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit das Geheimhaltungsinteresse überwiegt. Die in Ziffer 7.4 beschriebenen Regeln des Pressekodex zur Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung sind in den journalistischen Verhaltensgrundsätzen und Empfehlungen des deutschen Presserats zur Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung konkretisiert.40

C. Anwendung des Art. 21 MAR auf das Offenlegungsverbot des Art. 10 Abs. 1 MAR

Ob Art. 21 MAR mit seinen Rechtsfolgen wie intendiert das Spannungsverhältnis zwischen dem Insiderrecht und der Pressefreiheit lösen kann, wird nun beispielhaft am Offenlegungsverbot aus Art. 10 Abs. 1 MAR erörtert.

I. Verbot der unrechtmäßigen Offenlegung nach Art. 10 Abs. 1 MAR

Zunächst wird hierzu Art. 10 Abs. 1 MAR vorgestellt.

1. Ziel der Regelung

Ziel des Art. 10 Abs. 1 MAR ist es, den Kreis der Personen, die Kenntnis von einer Insiderinformation haben, so klein wie möglich zu halten. Denn mit wachsender Verbreitung der Insiderinformation wächst auch das ihr inhärente Risiko verbotener Insidergeschäfte.41

2. Tatbestand

Tatbestandlich muss eine unrechtmäßige Offenlegung vorliegen.

a) Offenlegung

Offenlegung bedeutet die Ermöglichung der Kenntnisnahme einer Insiderinformation durch einen anderen, ohne dass die Insiderinformation öffentlich bekannt i.S.d. Art. 7 Abs. 1 MAR wird.42 Eine Veröffentlichung von Insiderinformationen, welche dieselben öffentlich bekannt macht, ist daher tatbestandlich nicht vom Offenlegungsverbot umfasst.43 Denn in dem Moment, in dem alle Marktteilnehmer auf die Information zugreifen können, wird die Chancengleichheit hergestellt und die Information verliert ihren Status als Insiderinformation.


30 EuGH EuR 2001, 542 Rn. 40; Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 21 Rn. 46.

31 Zu den Abwägungsfaktoren s. Klöhn, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 1), WpHG § 14 Rn. 459f.; Kumpan/Schmidt, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 21 Rn. 22-25.

32 Klöhn/Büttner, WM 2016, 2241, 2247; Kumpan/Schmidt, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 21 Rn. 22.

33 Kumpan/Schmidt, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 21 Rn. 30.

34 Rönnau/Wegner, in: Meyer/Veil/Rönnau (Fn. 4), § 28 Rn. 49.

35 Insofern kommt zu einer sog. „Erhärtung weichen Rechts“, s. Klöhn/Büttner, WM 2016, 2241, 2242.

36 Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 21 Rn. 50.

37 Meist in § 6 LPG geregelt, s. z.B. § 6 Hamburgisches Pressegesetz; Klöhn/Büttner, WM 2016, 2241, 2246.

38 Siehe hierzu bspw. § 19 Hamburgisches Pressegesetz.

39 Klöhn/Büttner, WM 2016, 2241, 2246;

abrufbar unter: https://www.presserat.de/pressekodex.html.

40 Abrufbar unter: https://www.presserat.de/downloads.html, Finanzberichterstattung.

41 EuGH EuZW 2006, 25 Rn. 36; Kumpan, in: Baumbach/Hopt (Fn. 17), MAR Art. 10 Rn. 1.

42 Koller, in: Assmann/Schneider/Mülbert (Fn. 19), MAR Art. 21 Rn. 4; Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 10 Rn. 11.

43 Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 10 Rn. 20; Klöhn, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 1), WpHG § 14 Rn. 454.

Kreutzer, Konflikt zwischen Pressefreiheit und Insiderrecht , BLJ 2/2020, 123-130126

Entscheidende Grenze zwischen verbotener Offenlegung und Veröffentlichung ist somit die Herstellung der öffentlichen Bekanntheit einer Information. Gerade diese ist aber in der MAR nicht definiert und schwer zu fassen. Um dem Telos der informationellen Chancengleichheit gerecht zu werden, sollte aber ein möglichst breites Publikum erreicht werden.44 In der Literatur wird daher größtenteils die Zugänglichmachung zum sog. breiten Anlegerpublikum gefordert,45 das als Gesamtheit aller nach Informationen suchender Anleger am Kapitalmarkt definiert wird.46 Dabei reicht für die Veröffentlichung die Möglichkeit zur Kenntnisnahme aus – auf eine tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an.47 Auch die Möglichkeit zur Kenntnisnahme sollte aber i.S.d. Chancengleichheit für alle Anleger zeitgleich entstehen.48

b) Unrechtmäßigkeit

Die Offenlegung muss zudem unrechtmäßig erfolgen.49 Ausnahmsweise ist sie das gem. Art. 10 Abs. 1 MAR nicht, wenn sie im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben erfolgt. Was sich hinter diesen „normalen“ Tätigkeiten verbirgt, ist in der MAR nicht geregelt. Dahinter steht wohl eine Abwägung zwischen dem Offenlegungsinteresse und dem Informationseindämmungsinteresse des Marktes.50 Diese erfolgt durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in vier Schritten: die Offenlegung muss einen legitimen Zweck verfolgen und zum Erreichen dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein.51 Kontur wird der Erforderlichkeit52 durch eine Entscheidung des EuGH gegeben, der zur wortgleichen Vorgängerregelung des Art. 3 lit. a Marktmissbrauchsrichtlinie von 2003 entschied, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Weitergabe und der Ausübung des Berufs bestehen muss und die Weitergabe für die Ausübung des Berufs unerlässlich sein muss.53 Die Dogmatik der Grøngaard-und-Bang-Entscheidung wird auf Art. 10 Abs. 1 MAR entsprechend angewendet.54 Die Offenlegung ist somit ausnahmsweise rechtmäßig nach Art. 10 Abs. 1 MAR, wenn sie in engem Bezug zum Beruf erfolgt und für die Ausübung desselben unerlässlich und verhältnismäßig ist.

II. Redaktionsinterne Offenlegung

Fraglich ist nun, ob der Tatbestand des Art. 10 Abs. 1 MAR bei redaktionsinternen Weitergaben von Insiderinformationen erfüllt ist.

1. Überblick

In der alltäglichen Recherche- und Redaktionsarbeit gilt vor der Veröffentlichung von Presseerzeugnissen aus Gründen der Qualitätssicherung meist das Vier-Augen-Prinzip.55 Dabei kann es etwa bei der Besprechung mit dem Chefredakteur zu einer redaktionsinternen Offenlegung von Insiderinformationen i.S.d. Art. 10 Abs. 1 MAR kommen.56 Gleichzeitig findet diese Offenlegung für journalistische Zwecke statt und unterfällt somit Art. 21 MAR. Bei der Bewertung der Unrechtmäßigkeit der Offenlegung sind somit die Pressefreiheit sowie die journalistischen Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen.57

2. Zu den verschiedenen Arten redaktionsinterner Offenlegungen

Es ist zwischen den verschiedenen Arten redaktionsinterner Offenlegungen zu differenzieren.58 Mit Blick auf die strafrechtliche Haftung der verantwortlichen Redakteure für den Inhalt der Presseerzeugnisse sollte zumindest die Offenlegung an den Chefredakteur zu den verhältnismäßigen Offenlegungen zählen.59 Auch bei der Besprechung mit Justiziaren und außenstehenden Anwälten ist die Offenlegung unerlässlich, wenn sie für eine umfassende Beratung notwendig ist.60

Schwieriger zu bewerten ist die Rechtmäßigkeit der Offenlegung gegenüber Fachkollegen. Man könnte sie als nicht erforderlich einstufen, wenn man annimmt, dass alle Besprechungen im Rahmen der Offenlegung gegenüber dem Chefredakteur stattfinden können.61 Eine solche Annahme würde aber die elementare Bedeutung der ungehinderten Kommunikation innerhalb einer Redaktion verkennen.62 So könnten etwa zusammenarbeitende Journalisten ihre Informationen nicht miteinander teilen und bewerten, was auch den Mut zur selbstbewussten Recherche beeinträchtigen dürfte.63 Auch die als Berufs- und Standesregel zu berücksichtigende Empfehlung des Deutschen Presserats setzt insofern voraus, dass Insiderinformationen denjenigen Journalisten zugänglich sein müssen, die sie journalistisch bearbeiten. Darüber hinaus sollte aber auch nach Ansicht


44 Kumpan/Misterek, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 7 Rn. 100.

45 Buck-Heeb, in: Assmann/Schütze/Buck-Heeb (Fn. 4), § 8 Rn. 91; Klöhn, ZHR 2016, 707, 719; Kumpan, DB 2016, 2039, 2042; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch5, 2017, § 107 Rn. 52; a.A. Trüg, in: Leitner/Rosenau (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2017, WpHG § 38 Rn. 129.

46 Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 7 Rn. 126 und 132.

47 Trüg, in: Leitner/Rosenau (Fn. 45), WpHG § 38 Rn. 129.

48 Kumpan/Misterek, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 7 Rn. 102.

49 Zur Unrechtmäßigkeit als Tatbestandsmerkmal: Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 45), § 107 Rn. 104.

50 Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 10 Rn. 43; Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 10 Rn. 27.

51 Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 10 Rn. 44; Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 10 Rn. 28.

52 Zur Einordnung in den Prüfungsschritt der Erforderlichkeit: Tissen, NZG 2015, 1254, 1255f.

53 EuGH EuZW 2006, 25, Rn. 34, 48; der damalige Begriff der Weitergabe entspricht der heutigen Offenlegung, s. Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 10 Rn. 11.

54 Buck-Heeb, in: Assmann/Schütze/Buck-Heeb (Fn. 4), § 8 Rn. 244; Poelzig, NZG 2016, 528, 534.

55 Germann, in: Schröder/Sethe (Hrsg.), Kapitalmarktrecht und Pressefreiheit, 2011, 42, 60.

56 Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 10 Rn. 91.

57 Zur Unrechtmäßigkeit als Aufhänger für die Einbeziehung des Art. 21 MAR s. Fn. 33.

58 Unter Hinweis auf das Redaktionsgeheimnis für die Rechtmäßigkeit aller redaktionsinternen Offenlegungen s. Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 10 Rn. 91.

59 Schröder, NJW 2009, 465, 467f.; Sturm, ZBB 2010, 20, 31.

60 Schröder (Fn. 8), 75, 86; Sturm, ZBB 2010, 20, 31.

61 So Sturm, ZBB 2010, 20, 31f.

62 Zur elementaren Bedeutung ungehinderter Kommunikation: Germann (Fn. 55), 42, 62; zur Zulässigkeit der Offenlegung an Fachkollegen: Schröder, NJW 2009, 465, 468.

63 Zur Entmutigung aufgrund der Unsicherheit strafrechtlicher Konsequenzen redaktionsinterner Offenlegungen:. Schröder (Fn. 8), 75, 85.

Kreutzer, Konflikt zwischen Pressefreiheit und Insiderrecht , BLJ 2/2020, 123-130127

des Presserats keine Offenlegung erfolgen.64 Danach würde etwa eine Offenlegung im Rahmen einer Redaktionskonferenz mit Kollegen sachfremder Gebiete als unrechtmäßige Offenlegung gelten.65 Dieser Konzeption ist zu folgen, da sie die Pressefreiheit i.S.d. Art. 21 MAR dort durchsetzt, wo es für eine qualitativ hochwertige Presse unbedingt notwendig ist und gleichzeitig das Offenlegungsverbot i.S.d. Unerlässlichkeit direkt an die Grenze dieser Notwendigkeit setzt.

3. Ergebnis

Zusammenfassend ist die redaktionsinterne Offenlegung als rechtmäßig i.S.d. Art. 10 Abs. 1 MAR einzustufen, wenn sie für eine funktionierende und qualitätssichernde Zusammenarbeit innerhalb der Redaktion unbedingt notwendig ist. Dies trifft auf Offenlegungen gegenüber den Chefredakteuren, Justiziaren und Anwälten sowie den die Information journalistisch bearbeitenden Kollegen zu. Über diesen engen Kreis der aus pressefreiheitlicher Sicht unerlässlichen Offenlegungen hinaus muss der redaktionsinterne Informationsfluss aber hinter dem Offenlegungsverbot des Art. 10 Abs. 1 MAR zurücktreten. So werden die pressefreiheitlichen und insiderrechtlichen Ziele in den schonendsten Ausgleich gebracht.

III. Offenlegung durch die Medien

Nach der redaktionsinternen Bearbeitung von Insiderinformationen werden diese in den jeweiligen Presseerzeugnissen publiziert. Auch hier können Art. 10 Abs. 1 MAR und Art. 21 MAR gleichzeitig berührt sein. Hierbei ist zwischen überregionalen, verbreiteten Presseerzeugnissen (1.) und regionalen Presseerzeugnissen sowie Fachzeitschriften (2.) zu differenzieren.

1. Überregionale und verbreitete Presseerzeugnisse

Wenn eine Insiderinformation durch überregionale, verbreitete Presseerzeugnisse veröffentlicht wird, erhält dadurch das breite Anlegerpublikum zeitgleich die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Nach obiger Definition66 wird die Insiderinformation somit öffentlich bekannt i.S.d. Art. 7 Abs. 1 MAR.

a) Ansichten in der Literatur

Während einige Stimmen in der Literatur deshalb tatbestandlich schon keine Offenlegung i.S.d. Art. 10 Abs. 1 MAR vorliegen sehen,67 tendieren andere zur Annahme einer rechtmäßigen Offenlegung.68 Dies wird zu Recht damit begründet, dass bei gleichzeitiger Ermöglichung der Kenntnisnahme durch das breite Anlegerpublikum das Ziel der informationellen Chancengleichheit gewahrt ist.69 Beide Ansichten lehnen somit die Verwirklichung des Art. 10 Abs. 1 MAR ab. Trotzdem ist festzuhalten, dass die erste Ansicht stringenter ist. In der verwirklichten Herstellung der breiten Kapitalmarktöffentlichkeit liegt definitionsgemäß schon keine Offenlegung, sondern eine Veröffentlichung.

Die Gegenansicht sieht den Tatbestand einer unrechtmäßigen Offenlegung erfüllt. Die öffentliche Bekanntmachung von Insiderinformationen sei nur über den Weg der Ad-hoc-Mitteilung gem. Art. 17 MAR möglich70 und zulässig.71 Nur so lasse sich die informationelle Chancengleichheit wahren.72 Auch könnte eine Veröffentlichung durch Journalisten das Recht des Emittenten auf vorübergehende Geheimhaltung der Insiderinformation aus Art. 17 Abs. 4 MAR verletzen.73

b) Stellungnahme

Der Gegenansicht ist nicht zu folgen. Zunächst bleibt unklar, weshalb eine Veröffentlichung über ein Medium, dass dem breiten Anlegerpublikum zeitgleich die Möglichkeit der Kenntnisnahme einräumt, gegen die informationelle Chancengleichheit verstoßen sollte. Vielmehr ist eine Veröffentlichung auch aus Sicht des Kapitalmarkts wünschenswert, um eine länger anhaltende Informationsungleichheit zu verhindern.74 Dies gilt in den hier diskutierten Fällen umso mehr, da die Insiderinformation schon in externe journalistische Kreise geraten ist und somit die Vertraulichkeit der Insiderinformation nicht mehr gewährleistet ist.75 Gem. Art. 17 Abs. 4 lit. c MAR muss aber gerade diese Geheimhaltung der betreffenden Insiderinformation gesichert sein, damit der Emittent überhaupt ein Recht auf vorübergehende Geheimhaltung haben kann. Eine Veröffentlichung durch die Presse kann somit gar nicht mit dem Recht des Emittenten auf Geheimhaltung aus Art. 17 Abs. 4 MAR kollidieren.76

Weiterhin berücksichtigt die Gegenansicht die Presse nicht, die bei ihrem Verständnis Insiderinformationen überhaupt nicht veröffentlichen könnte.77 Denn das ihrer Ansicht nach einzig zulässige Veröffentlichungsverfahren nach Art. 17 MAR steht nur Emittenten offen.78 Ein derartiges Veröffentlichungsverbot von im öffentlichen Interesse


64 Siehe in „Journalistische Verhaltensgrundsätze und Empfehlungen des Deutschen Presserats zur Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung“ unter III 1 lit. b, S. 12; abrufbar unter: s. Fn. 40.

65 So auch Schröder, NJW 2009, 465, 468; Sturm, ZBB 2010, 20, 31.

66 Siehe D.I.2.a).

67 Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 10 Rn. 210; Klöhn, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 1), WpHG § 14 Rn. 454; Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 10 Rn. 92; wohl auch Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 45), § 107 Rn. 109.

68 Bergmann/Löffler, in: Schröder/Sethe (Hrsg.), Kapitalmarktrecht und Pressefreiheit, 2011, 95; Klintworth, Investigativer Journalismus im Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit und Strafrecht, 2014, S. 210; Meyer, in: Meyer/Veil/Rönnau (Fn. 4), § 8 Rn. 55.

69 Cloppenburg/Kruse, WM 2007, 1109, 1114.

70 Büche, Die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität als Baustein eines integeren Finanzmarkts, 2005, S. 190; Sethe, ZBB 2006, 243, 252f.; a.A. Schneider, NZG 2005, 702, 703-705; Hopt/Kumpan, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 45), § 107 Rn. 53.

71 Büche (Fn. 70), S. 190; Assmann, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz6, 2012, WpHG § 14 Rn. 102; sehr streng: Hilgendorf, in: Park (Hrsg.), Kapitalmarktstrafrecht3, 2013, Teil 3 Kap. 3 D. WpHG § 14 Rn. 178; Sethe, ZBB 2006, 243, 253.

72 Assmann, in: Assmann/Schneider (Fn. 71), WpHG § 14 Rn. 102; Sethe, ZBB 2006, 243, 252.

73 Hilgendorf, in: Park (Fn. 71), Teil 3 Kapitel 3 D. WpHG § 14 Rn. 178; sogar Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB fordernd: Assmann, in:Assmann/Schneider (Fn. 71), WpHG § 14 Rn. 102 (dortige Fn. 2).

74 Bergmann/Löffler (Fn. 68), 95, 97; Klintworth (Fn. 68), S. 210.

75 Klintworth (Fn. 68), S. 210; Sturm, ZBB 2010, 20, 29.

76 Schröder, NJW 2009, 465, 467; Sturm, ZBB 2010, 20, 28.

77 Cloppenburg/Kruse, WM 2007, 1109, 1114; Klöhn, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 1), WpHG § 14 Rn. 455.

78 Kumpan, in: Baumbach/Hopt (Fn. 17), MAR Art. 17 Rn. 2.

Kreutzer, Konflikt zwischen Pressefreiheit und Insiderrecht , BLJ 2/2020, 123-130128

stehenden Insiderinformationen würde stark in die Pressefreiheit eingreifen und ultimativ die Entwertung traditioneller Recherche im Umgang mit börsennotierten Unternehmen bedeuten.79 Dabei ist der Eingriff schon nicht erforderlich, um das insiderrechtliche Ziel der informationellen Chancengleichheit zu erreichen.80

c) Zwischenergebnis

Eine Veröffentlichung von Insiderinformationen durch Presseerzeugnisse, welche die Insiderinformation dem breiten Anlegerpublikum zugänglich machen, stellt keine Offenlegung dar und verstößt somit nicht gegen Art. 10 Abs. 1 MAR. Sie ist sowohl aus pressefreiheitlicher als auch insiderrechtlicher Sicht wünschenswert.

2. Regionale Presseerzeugnisse und Fachzeitschriften

a) Qualifizierung als Offenlegung

Heikler wird es bei der erstmaligen Publikation von Insiderinformationen in regionalen Presseerzeugnissen und börsenfernen Fachzeitschriften.81 Denn mit der Publikation in einem solchem Medium wird die Möglichkeit zur Kenntnisnahme durch das breite Anlegerpublikum nicht eröffnet.82 Die Insiderinformation wird nicht direkt öffentlich bekannt i.S.d. Art. 7 Abs. 1 MAR. Anders als bei überregionalen Presseerzeugnissen liegt somit keine Veröffentlichung, sondern eine Offenlegung nach Art. 10 Abs. 1 MAR vor.83

Derartige Offenlegungen sind problematisch, da sie dem insiderrechtlichen Ziel der informationellen Chancengleichheit zuwiderlaufen, indem sie Anleger im jeweiligen Verbreitungsgebiet des Presseerzeugnisses privilegieren.84 Andererseits finden auch Publikationen in regionalen Presseerzeugnissen zu journalistischen Zwecken statt und sind somit gleichermaßen durch Art. 21 MAR geschützt.85

b) Konsequenzen in der Literatur

„Verbote, Insiderinformationen zu verwenden, dürfen grundsätzlich nicht die journalistische Freiheit einschränken. Insiderinformationen dürfen […] insbesondere in der Presse veröffentlicht werden.“86

Diese vorbehaltslose Ausführung des Deutschen Presserats überrascht angesichts der sehr kontroversen Diskussion der Literatur über die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung von Insiderinformationen in Regionalmedien. Im Wesentlichen ist hierbei zwischen drei verschiedenen Ansichten zu unterscheiden.

aa) Generelle Unrechtmäßigkeit der Publikation

Die erste, schon erläuterte Ansicht, findet Publikationen abseits des Ad-hoc-Verfahrens nach Art. 17 MAR unzulässig. Folglich würden auch Veröffentlichungen in der regionalen Presse unrechtmäßige Offenlegungen gem. Art. 10 Abs. 1 MAR darstellen.87

bb) Rechtmäßigkeit bei gleichzeitiger Herstellung der Kapitalmarktöffentlichkeit

Dieses unbedingte Veröffentlichungsverbot wird von Vertretern der zweiten Ansicht zu Recht als nicht erforderliche Einschränkung der Pressefreiheit regionaler Medien gesehen.88 Auch sie werten eine Offenlegung durch Lokalmedien ohne Herstellung der Kapitalmarktöffentlichkeit als unrechtmäßig, ziehen aber andere Konsequenzen. So sei dem insiderrechtlichen Ziel der informationellen Chancengleichheit schon gedient, wenn die Offenlegung regionaler Medien unter die Bedingung der gleichzeitigen Herstellung der Kapitalmarktöffentlichkeit gestellt wird.89 Eine Offenlegung ist daher je nach Autor rechtmäßig, wenn zeitgleich zur Veröffentlichung eine Ad-hoc-Mitteilung des Emittenten oder eine Berichterstattung in einem die Kapitalmarktöffentlichkeit herstellenden Publikationsorgan ergeht.90 Bei Einhaltung dieser Bedingung könnte die regionale Presse Insiderinformationen weiterhin veröffentlichen.91 Gleichzeitig müsse durch diesen Kompromiss das kapitalmarktrechtliche Interesse der Informationsgleichheit nicht restlos zurücktreten.92

cc) Generelle Rechtmäßigkeit der Publikation

Die dritte Ansicht kommt zu dem Schluss, dass Offenlegungen der Regionalmedien auch ohne gleichzeitige Herstellung der Kapitalmarktöffentlichkeit meist rechtmäßig sind.93 Die Pressefreiheit der lokalen Medien sei schon durch die Bedingung der gleichzeitigen Herstellung der Öffentlichkeit zu stark belastet. Denn durch die hierfür verlangte gleichzeitige Veröffentlichung in einem überregionalen Medium wären exklusive Veröffentlichungen von Insiderinformationen in regionalen Medien nicht möglich. Gerade diese stoßen aber auf großes öffentliches Interesse und schaffen berufliche Anerkennung.94 Letztendlich würde es zu einer Monopolisierung bestimmter Berichterstattungen zugunsten großer Verlage und Medien kommen. Diese Benachteiligung regionaler Medien sei nicht mit Art. 11 GrCh vereinbar, der im Kernbereich nicht nur Veröffentlichungen, sondern auch die Wahl


79 Schröder, NJW 2009, 465, 466f.; Sturm, ZBB 2010, 20, 30.

80 Cloppenburg/Kruse, WM 2007, 1109, 1114; Germann (Fn. 55), 42, 58.

81 Zur Vereinfachung werden im Folgenden nur die Regionalmedien genannt.

82 Meyer, in: Meyer/Veil/Rönnau (Fn. 4), § 8 Rn. 56; Sturm, ZBB 2010, 20, 30.

83 Statt aller Bergmann/Löffler (Fn. 68), 95, 98; Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 10 Rn. 212.

84 Assmann, in: Assmann/Schneider (Fn. 71), WpHG § 14 Rn. 102; Mennicke, in: Fuchs (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz2, 2016, WpHG § 14 Rn. 271.

85 Klöhn, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 1), WpHG § 14 Rn. 456.

86 Siehe „Journalistische Verhaltensgrundsätze und Empfehlungen des Deutschen Presserats zur Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung“ unter I., S. 4, abrufbar unter: s. Fn. 40.

87 Assmann, in: Assmann/Schneider (Fn. 71), § 14 Rn. 102; Hilgendorf, in: Park (Fn. 71), Teil 3 Kapitel 3 D. WpHG § 14 Rn. 178; Sethe, ZBB 2006, 243, 252f.

88 Germann (Fn. 55), 42, 57f.; Klintworth (Fn. 68), S. 210.

89 Die Herstellung der Kapitalmarktöffentlichkeit fordernd: Kumpan, in: Baumbach/Hopt (Fn. 17), MAR Art. 10 Rn. 3; Bergmann/Löffler (Fn. 68), 95, 104; Mennicke, in: Fuchs (Fn. 84), WpHG § 14 Rn. 271; Flaig (Fn. 1), S. 170; Germann (Fn. 55), 42, 57; Meyer, in: Meyer/Veil/Rönnau (Fn. 4), § 8 Rn. 57.

90 Vorschlag der Ad-hoc-Mitteilung: Bergmann/Löffler (Fn. 68), 95, 104-109; Vorschlag gleichzeitiger Veröffentlichung in einem größeren Medium: Sturm, ZBB 2010, 20, 31.

91 Flaig (Fn. 1), S. 170.

92 Germann (Fn. 55), 42, 59; Meyer, in: Meyer/Veil/Rönnau (Fn. 4), § 8 Rn. 57.

93 Cloppenburg/Kruse, WM 2007, 1109, 1114f.; Eichele, WM 1997, 501, 509; Klintworth (Fn. 68), S. 210; Klöhn/Büttner, WM 2016, 2241, 2248; Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 10 Rn. 216; Schröder (Fn. 8), 75, 80.

94 Zur Problematik der exklusiven Berichterstattung: Schröder (Fn. 8), 75, 82; zum öffentlichen Interesse an Insiderinformationen s. Fn. 1.

Kreutzer, Konflikt zwischen Pressefreiheit und Insiderrecht , BLJ 2/2020, 123-130129

der Veröffentlichungsform schützt.95 Auf der anderen Seite der Abwägung steht das kapitalmarktrechtliche Ziel der Informationsgleichheit. Dieses Interesse würde jedoch gar nicht bzw. nur sehr gering beeinträchtigt werden. Denn wenn die Information schon an externe Journalisten geraten ist, sei auch aus insiderrechtlicher Sicht eine nur regionale Veröffentlichung der Information wünschenswerter als eine sonst zu befürchtende schleichende Verbreitung.96 Dies müsse umso mehr zutreffen, da auch regional veröffentlichte Informationen aufgrund der heutzutage raschen Multiplikation von Nachrichten schnell auch der breiten Kapitalmarktöffentlichkeit bekannt sein dürften.97

c) Stellungnahme

Tatsächlich liegt bei der Veröffentlichung von Insiderinformationen in Regionalmedien, anders als bei überregionalen, definitionsgemäß eine Offenlegung i.S.d. Art. 10 Abs. 1 MAR vor. Darüber, ob ein Verstoß gegen die Norm vorliegt, entscheidet somit das Tatbestandsmerkmal der Unrechtmäßigkeit.98

aa) Legitimer Zweck, Geeignetheit und Erforderlichkeit der Offenlegung

Mit der Veröffentlichung von (Insider-)Informationen übt die Presse ihre Rolle als öffentlicher Wachhund aus, informiert die Bürger und trägt zur Meinungsbildung bei. Gerade dieser verfolgte Zweck ist durch die Pressefreiheit grundrechtlich gesichert und somit legitim. Die Veröffentlichung ist zur Informierung und Meinungsbildung der Bürger auch geeignet. Erforderlich wäre sie nach der Grøngaard-und-Bang-Entscheidung dann, wenn sie im engen Bezug zum Beruf erfolgt und unerlässlich ist. Die Offenlegung von Insiderinformationen steht grundsätzlich in engem Bezug zur journalistischen Tätigkeit. Unerlässlich wäre sie, wenn die Ausübung des Berufs ohne die Offenlegung undenkbar erschiene.99 Hieran könnte man zweifeln, da die Presse auch abseits von Insiderinformationen vieles veröffentlichen kann. Allerdings stehen der Kapitalmarkt und damit auch ihn betreffende Insiderinformationen immer mehr im öffentlichen Interesse. Der fundamentale journalistische Berufszweck der Verbreitung von Informationen wäre somit in einem Bereich abgeschnitten, in dem ein hohes Interesse besteht. Die Offenlegung von Insiderinformationen ist somit regelmäßig unerlässlich für den Journalistenberuf.

bb) Angemessenheit der Offenlegung

Entscheidend ist damit die Angemessenheit, in der eine Abwägung zwischen dem Offenlegungsinteresse der Presse und dem Interesse des Kapitalmarkts auf informationelle Chancengleichheit erfolgt.

Die erste Ansicht, die ein unbedingtes Veröffentlichungsverbot fordert, ist abzulehnen, da sie einseitig kapitalmarktrechtliche Ziele beachtet und diese nicht mit pressefreiheitlichen Faktoren abwägt. Auf den ersten Blick scheint die zweite Ansicht eine solche Abwägung stattfinden zu lassen. Allerdings knüpft sie die Rechtmäßigkeit daran, dass die Kapitalmarktöffentlichkeit hergestellt wird und fordert somit implizit, dass nach der hier vertretenen Definition schon keine Offenlegung vorliegt. Das Tatbestandsmerkmal der Unrechtmäßigkeit, über das die Presse gem. Art. 21 MAR privilegiert werden soll, indem bestimmte Offenlegungen rechtmäßig sein können, geht somit in dem Merkmal der Offenlegung auf und es findet keine Abwägung statt. Beachtlich ist zudem, dass die Bedingung der Herstellung der Kapitalmarktöffentlichkeit regionale Medien gegenüber überregionalen einseitig belastet und somit stark benachteiligt. Sie führt dazu, dass wenn etwa der Spiegel und die Braunschweiger Zeitung Insiderinformationen publizieren, dieses exakt gleiche Verhalten für den Spiegel zulässig ist, während es für die Braunschweiger Zeitung sogar eine Straftat darstellen kann. Eine solche zweistufige Gewährleistung der Pressefreiheit ist bedenklich, will die Pressefreiheit in ihrem Kern alle Veröffentlichungswege gleichermaßen schützen und so die in Art. 11 Abs. 2 GrCh betonte Pressevielfalt erhalten. Sie dürfte zudem in Hinblick auf das allgemeine Gleichheitsgebot aus Art. 20 GrCh problematisch sein. Auch die zweite Ansicht ist somit abzulehnen.

Fraglich ist, ob der dritten Ansicht zu folgen ist, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Offenlegung meist rechtmäßig ist. Hier ist eine Abwägung vorzunehmen.100 Wie beschrieben besteht an Insiderinformationen ein großes öffentliches Interesse, obwohl dies freilich mit Aktualität, Relevanz und Verlässlichkeit der Information variieren kann. Damit einher geht auch eine hohe Bedeutung der Offenlegung für Regionalmedien. Ein Offenlegungsverbot würde daher meist einen schweren Verlust für die ihrerseits gewichtige Pressefreiheit und -vielfalt bedeuten. Auf der anderen Seite steht der drohende Verlust für die Kapitalmarktintegrität. Eine Offenlegung in Regionalmedien privilegiert die Anleger im jeweiligen Verbreitungskreis des Presseerzeugnisses und läuft somit dem Ziel der Chancengleichheit zuwider. Die Beeinträchtigung wiegt allerdings nicht allzu schwer. Wenn externe Journalisten die Information kennen, besteht eine Informationsungleichheit, die aus insiderrechtlicher Perspektive schnellstmöglich beseitigt werden sollte. Genau hierzu führt eine Offenlegung in regionalen Medien, die oft mit einer raschen Verbreitung in modernen Kommunikationsmitteln verbunden ist. Nicht wünschenswert ist lediglich die zwischenzeitliche regionale Privilegierung der Anleger. Regelmäßig wird die hohe Beeinträchtigung der Pressefreiheit diese kurzweilige Beeinträchtigung insiderrechtlicher Interessen aber überwiegen und die Offenlegung rechtmäßig i.S.d. Art. 10 Abs. 1 MAR sein. Der dritten Ansicht ist zu folgen.


95 Klöhn/Büttner, WM 2016, 2241, 2248; Klöhn, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 1), WpHG § 14 Rn. 458.

96 Klintworth (Fn. 68), S. 210; Klöhn, in: Klöhn (Fn. 5), MAR Art. 10 Rn. 216; Schröder, NJW 2009, 465, 466.

97 Klöhn, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 1), WpHG § 14 Rn. 460; Sturm, ZBB 2010, 20, 31.

98 Zum Prüfungsmaßstab s. D.I.2.b).

99 Zur Definition der Unerlässlichkeit: Kumpan/Grütze, in: Schwark/Zimmer (Fn. 3), MAR Art. 10 Rn. 36.

100 Zu den Abwägungsfaktoren s. Fn. 31.

Kreutzer, Konflikt zwischen Pressefreiheit und Insiderrecht , BLJ 2/2020, 123-130130

3. Ergebnis

Die Veröffentlichung in überregionalen Medien ist keine Offenlegung und fällt somit nicht unter das Verbot in Art. 10 Abs. 1 MAR. Um aus der Pressefreiheit keine Zwei-Stufen-Freiheit zu machen und die Pressevielfalt nicht zu gefährden, sollte auch regionalen Medien ohne Einschränkungen eine Veröffentlichung möglich sein. Die Einschränkung der insiderrechtlichen Ziele wiegt nicht so schwer, wie der ansonsten entstehende Verlust für die Pressefreiheit.

D. Bewertung des Art. 21 MAR und Verbesserungsvorschläge

I. Bewertung des Art. 21 MAR

Art. 21 MAR ist eine relativ neue Regelung, zu der es noch keine einschlägige Rechtsprechung gibt. Daher ist jeweils eine breite Spanne von Ergebnissen vertretbar, wie auch die Kontroverse in der Literatur veranschaulicht. Vorteilhaft hieran ist, dass jeweils eine Auslegung möglich ist, welche die pressefreiheitlichen und die insiderrechtlichen Ziele in den schonendsten Ausgleich bringt.

Andererseits schaffen gerade die weiten Auslegungsmöglichkeiten große Rechtsunsicherheit. Dies gilt besonders, da Art. 21 MAR schon keine genauen Anordnungen bzgl. der Auflösung des Zielkonflikts trifft, sondern lediglich eine Abwägung fordert, die mangels (gefestigter) Rechtsprechung noch keine Kontur erfahren hat. Ob gegen das Verbot aus Art. 10 Abs. 1 MAR verstoßen wird hängt somit vom Normverständnis des jeweiligen Fachgerichts ab. Eine derartige Unvorhersehbarkeit der Entscheidung dürfte zu Unsicherheiten der Journalisten in der alltäglichen Wirtschaftsberichterstattung und somit zu weniger mutigen Berichterstattungen bis hin zu Selbstzensuren führen.101

II. Verbesserungsvorschläge

Um bestehende Unsicherheiten zu beseitigen, sollte Art. 21 MAR genauere Maßstäbe bilden. Ein möglicher Lösungsansatz wäre etwa Offenlegungen zum Zweck der Veröffentlichung sowie Veröffentlichungen durch die Presse gänzlich aus dem Tatbestand des Art. 10 Abs. 1 MAR auszunehmen. Eine solche Ausnahme würde Rechtssicherheit schaffen und wäre mit Blick auf die relativ geringe Beeinträchtigung insiderrechtlicher Ziele vertretbar.102 Um auch das Ziel der informationellen Chancengleichheit vollständig zu gewährleisten, wäre zudem ein dem Art. 17 MAR vergleichbares Veröffentlichungssystem für die Presse denkbar.103 Möglich wäre die Schaffung einer Plattform, auf der alle Journalisten zeitgleich zur Veröffentlichung die jeweiligen Insiderinformationen bzw. den Artikel einstellen. Diese an die zweite Ansicht angelehnte Lösung würde den Anlegern in übersichtlicher Weise die zeitgleiche Chance zur Wahrnehmung der Information geben. Gleichzeitig würden alle Journalisten verpflichtet. Die Benachteiligung regionaler Medien und damit die Gefährdung der Pressevielfalt würden entfallen.

E. Fazit

Die Ziele der Pressefreiheit und des Insiderrechts treffen aufgrund der steigenden Bedeutung des Kapitalmarkts für die Öffentlichkeit immer häufiger aufeinander. Konflikte gibt es dort, wo das Insiderrecht den Presseangehörigen Vorgaben macht und so den von der Pressefreiheit geschützten freien Informationsfluss berührt. Der Zielkonflikt wird in Art. 21 MAR gelöst, der vorgibt, dass die Pressefreiheit und journalistische Berufs- und Standesregeln bei der Offenlegung von Insiderinformation berücksichtigt werden müssen. Dies führt auf eine Abwägung zwischen der Pressefreiheit und der Kapitalmarktintegrität hinaus.

Die Auswirkungen des Art. 21 MAR auf das Offenlegungsverbot des Art. 10 Abs. 1 MAR werden sehr kontrovers diskutiert. Weitestgehende Einigkeit besteht bei redaktionsinternen Offenlegungen, die nur gegenüber fachfremden Kollegen als unrechtmäßig angesehen werden sollten. Bei der Offenlegung durch die Presse besteht hingegen Rechtsunsicherheit. Vertreten werden unbedingte Veröffentlichungsverbote, die Bedingung der Herstellung der Kapitalmarktöffentlichkeit und die generelle Zulässigkeit. Mit Blick auf die konstitutionelle Bedeutung der freien Presse sowie der Pressevielfalt und der relativ geringen Beeinträchtigung insiderrechtlicher Belange ist eine generelle Zulässigkeit zu fordern. Die Diskussionen zeigen, dass Art. 21 MAR genaue Maßstäbe fehlen, die sicher durch das Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit und Insiderrecht navigieren. Dabei könnten die Ziele größtenteils nebeneinander gewährleistet werden. Zu denken wäre an die ausdrückliche Ausnahme aus dem Anwendungsbereich des Art. 10 Abs. 1 MAR oder eine dem Art. 17 MAR vergleichbare Vorschrift für Journalisten. Diese Änderungen würden dem investigativen Wirtschaftsjournalismus klare Antworten geben.


101 Zur Rechtsunsicherheit der Regelung und verfassungsrechtlichen Bedenken: Klintworth (Fn. 68), S. 210f.

102 Diese Lösung vertretend: Klintworth (Fn. 68), S. 211.

103 Zu dieser Idee: Germann (Fn. 55), 42, 60.