Simon Rösler*
A. Einführung
Der Käufer eines Unternehmens möchte für den gezahlten Kaufpreis eine werthaltige Gegenleistung erhalten. Dabei stellen Vertragsverhandlung und vorherige Untersuchung des Unternehmens (Due Diligence) zwar wichtige Instrumente zur Risikominimierung dar, können ihn jedoch nicht vollends absichern. Vielmehr kommt einem Haftungssystem beim Unternehmenskauf überragende Bedeutung zu.1 Steht im Rahmen eines M&A-Prozesses das schwer quantifizierbare Risiko im Raum, das Unternehmen könnte nach dem Closing wegen eines noch dem Verkäufer zurechenbaren Verhaltens von außen in Anspruch genommen werden, verpflichtet sich dieser oft unter Abbedingung des gesetzlichen Mängelgewährleistungsrechts, den Käufer von entsprechenden Drittverbindlichkeiten „freizustellen“.2 Die in der anglo-amerikanisch geprägten Transaktionssprache als „contractual indemnities“ bezeichneten Freistellungsvereinbarungen zählen zu den „schillerndsten Klauseln internationaler Wirtschaftsverträge“.3 Nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, warum in der Praxis von den Parteien auf solche Klauseln zurückgegriffen wird und was sie beinhalten.
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Beantwortung dieser Fragen und der Einordnung von Freistellungsklauseln im Kontext des Unternehmenskaufs. Dafür wird zunächst eine Absicherung des Unternehmenskäufers vor unerkannten Drittverbindlichkeiten über das BGB-Mängelgewährleistungsrecht untersucht (B.). Dem wird ein Schutz durch vertragliche Freistellungsansprüche gegenübergestellt (C.). Die Bestimmung des inhaltlichen Umfangs einer Freistellungsverpflichtung unter kritischer Rezeption der ständigen Rechtsprechung des BGH (C. IV.) steht dabei im Mittelpunkt der Arbeit. Abschließend werden beide Haftungssysteme hinsichtlich der Intensität des Käuferschutzes miteinander verglichen (D.).4 Basierend auf dem Untersuchungsergebnis erfolgt eine konkrete Handlungsempfehlung (E.).
B. BGB-Mängelgewährleistungsrecht
Um zu erklären, warum in der Kautelarjurisprudenz bei im Raum stehenden Drittverbindlichkeiten des Unternehmens häufig auf vertragliche Freistellungsklauseln zurückgegriffen wird, soll zunächst eine hypothetische Abwicklung solcher Fälle über das in weiten Teilen dispositive BGB-Mängelgewährleistungsrecht skizziert werden.5 Dabei ist zu untersuchen, ob der vielfach geäußerten Diagnose, die gesetzlichen Haftungsregelungen seien sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite für einen komplexen Unternehmenskauf unzulänglich und unpraktikabel,6 im konkreten Fall zuzustimmen ist.
I. Anwendbarkeit
Die Anwendbarkeit des gesetzlichen Mängelgewährleistungsrechts auf den Unternehmenskauf war vor der Schuldrechtsreform hoch umstritten, ist mit Schaffung des § 453 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB inzwischen jedoch von großen Teilen der Literatur anerkannt und wird von der Rechtsprechung ohne Problematisierung vorausgesetzt.7 Weil § 453 Abs. 1 S. 1 BGB die Vorschriften des Sachkaufs für entsprechend anwendbar erklärt, ist „Einfallstor“ aller Gewährleistungsrechte des Käufers ein Mangel des Unternehmens (§§ 437, 434, 435 BGB).
II. Drittverbindlichkeiten als Mangel
Erhebliche Schwierigkeiten bereitet zunächst die Frage, inwiefern Drittverbindlichkeiten des Unternehmens überhaupt einen Mangel des Kaufgegenstands begründen können. Für die Beantwortung ist eine Unterscheidung zwischen den zwei Übertragungsmodi (Asset Deal und Share Deal) angezeigt, weil sich der Übergang von Forderungen Dritter in die Sphäre des Käufers jeweils stark unterscheidet.
1. Asset Deal
Bei einem Asset Deal erwirbt der Käufer bei genauer Betrachtung lediglich einzelne, konkrete Vermögensgegenstände des Unternehmens. Vertragliche Verpflichtungen gegenüber Dritten gehen im Ausgangspunkt nur insoweit nach §§ 414, 415 BGB über, als die Parteien bei Vertragsschluss unter Einschluss des Gläubigers eine konkrete Vereinbarung treffen. Andernfalls läge ein Vertrag zulasten Dritter vor.8 Gesetzlich vorgesehene (Mit-)Haftungstatbestände schaffen für den Käufer daneben jedoch erhebliche Risiken: So können nach dem Grundsatz der Erwerberhaftung (§ 25 Abs. 1 S. 1 HGB) und einer Reihe spezialgesetzlicher Tatbestände (§§ 75 AO, 613a BGB, 4 BBodSchG) umfangreiche Verbindlichkeiten ohne Kenntnis und Billigung auf ihn übergehen.9 Aus seiner Perspektive stellt sich die Frage, ob solch ungewollt übergegangene Verbindlichkeiten als Rechts- oder Sachmangel (§§ 434, 435 BGB) des Assets eine Haftung des Verkäufers auslösen.
* Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg.
1 Meyer-Sparenberg, in: Meyer-Sparenberg/Jäckle (Hrsg.), Beck’sches M&A-Handbuch2, 2022, § 47 Rn. 1.
2 Jaques, in: Ettinger/Jaques (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Unternehmenskauf im Mittelstand3, 2021, Abschn. D, Rn. 591; Schütt, NJW 2016, 980; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014.
3 Beck, Die Umwandlung des Befreiungsanspruchs, 2021, S. 45; Mayer, ZfPW 2015, 226, 227; Ostendorf, JZ 2013, 654.
4 Auf das in der Praxis verbreitete Institut der vertraglichen Garantien (vgl. nur Meyer-Sparenberg (Fn. 1), § 47 Rn. 7) geht diese Arbeit aus Platzgründen nicht gesondert ein.
5 Zu den Grenzen Meyer-Sparenberg (Fn. 1), § 47 Rn. 73; Weber, in: Hölters (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskauf10, 2022, Rn. 9.285.
6 Wilhelmi, in: BeckOGKBGB, Stand: 1.4.2023, § 453 Rn. 588; Hilgard, BB 2016, 1218, 1220; Korch, JuS 2018, 521, 525 f.; Weber (Fn. 5), Rn. 9.283.
7 BGH, NJW 2019, 145; OLG Köln, ZIP 2009, 2063, 2064; OLG Karlsruhe, VersR 2020, 422, 423; Thiessen, in: Münchener Kommentar zum HGB5, 2021, Anh. § 25 Rn. 58 ff.; Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 595; Bisle, DStR 2013, 364; BT-Drs. 14/6040, S. 242; a.A. Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 124; Huber, AcP 202 (2002), 179 ff.
8 Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3015.
9 Jaques (Fn. 2), Abschn. D, Rn. 261 ff.; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3015.
a) Rechtsmangel (§§ 435, 453 Abs. 1 BGB)
Ein Rechtsmangel liegt nach allgemeiner Definition vor, wenn von Dritten aufgrund eines privaten oder öffentlichen Rechts das Eigentum, der Besitz oder der unbeschränkte Gebrauch des Kaufgegenstands beeinträchtigt werden kann.10 Unstreitig sind deshalb z.B. öffentlich-rechtliche Verbote, nach § 25 Abs. 1 S. 1 HGB übergegangene schuldrechtliche Unterlassungspflichten oder Patente Dritter Rechtsmängel des Unternehmens i.S.v. §§ 435, 453 Abs. 1 BGB, soweit sie dem gewinnerzielenden Geschäftsbetrieb entgegenstehen.11
Ob Verbindlichkeiten, die unvorhergesehen durch gesetzliche Haftungstatbestände auf den Erwerber übergehen, den Betrieb des Unternehmens aber nicht unmittelbar beeinträchtigen, ebenfalls als Rechtsmängel zu qualifizieren sind, ist dagegen umstritten. Nach einigen Stimmen in der Literatur müsse Beachtung finden, dass die unter § 25 Abs. 1 S. 1 HGB fallenden Verbindlichkeiten einen engen Bezug zum Unternehmen als Kaufgegenstand haben, auch wenn bei einem Asset Deal nicht das Unternehmen, sondern der Käufer als Unternehmensträger Schuldner der Forderungen wird.12 § 25 Abs. 1 S. 1 HGB lasse sich der Rechtsgedanke entnehmen, dass die unter die Norm fallenden Verbindlichkeiten bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen (insb. Firmenfortführung) kontinuierlich an die Unternehmensträgerschaft gebunden sind.13 Auch bestehe bei Nichterfüllung stets die Gefahr der Vollstreckung in das Unternehmensvermögen.14 Noch zu § 434 BGB a.F. (Rechtsmängelhaftung) formulierte Baur im Einklang mit der bis heute herrschenden Meinung dagegen, die Geltendmachung bisher unbekannter Forderungen durch Dritte führe nicht zu einer rechtlichen, sondern einer bloß faktischen Beeinträchtigung der unternehmerischen Gewinnerzielung, und sei deshalb nicht von der Rechtsmängelhaftung umfasst.15
b) Sachmangel (§§ 434, 453 Abs. 1 BGB)
Ob unerkannt auf den Käufer übergegangenen Verbindlichkeiten einen Sachmangel begründen, hängt entscheidend davon ab, wie weit der Kreis der relevanten Umstände gefasst wird, die einen solchen begründen können. Insbesondere muss geklärt werden, ob die Beschaffenheit des Kaufgegenstands (vgl. § 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB) auf körperliche Eigenschaften beschränkt ist.
Unter Bezugnahme auf die alte Rechtsprechung zu § 459 Abs. 2 BGB a.F. wollen einige Autoren weiterhin nur körperliche Eigenschaften der Sache und ihr auf Dauer anhaftende Umstände tatsächlicher, wirtschaftlicher oder rechtlicher Art dem Beschaffenheitsbegriff unterwerfen.16 Die Nichtübereinstimmung des Unternehmens mit Bilanzangaben wurde in der Rechtsprechung und Literatur lange nicht als Fehler gewertet, weil wirtschaftliche Begebenheiten nicht als Beschaffenheit der Kaufsache angesehen wurden und von einer Vielzahl externer Faktoren abhängig sein sollten.17 Der restriktiven Anwendung der §§ 459 ff. BGB a.F. lag letztlich der pragmatische und ergebnisorientierte Gedanke zugrunde, die gesetzliche Haftung beim Unternehmenskauf dem flexibleren und interessengerechten Institut der verschuldensabhängigen culpa in contrahendo weichen zu lassen.18
Nach heutigem Verständnis erscheint diese Beschränkung des Beschaffenheitsbegriffs indes nicht mehr tragbar.19 Die Begründung des Gesetzentwurfs zur Schuldrechtmodernisierung verhält sich zwar nicht direkt zu der Frage, stellt aber klar, dass die Gründe des BGH, die Haftung des Verkäufers nach den Vorschriften über das Verschulden bei Vertragsanbahnung zu beurteilen, mit der Neufassung von §§ 434, 453 Abs. 1 BGB weithin entfallen seien.20
In der Literatur wird deshalb vielfach dafür plädiert, „unbekannte“, nicht ausgewiesene Verbindlichkeiten gegenüber Dritten, die erst im Anschluss an die Übernahme des Unternehmens auftauchen, für die aber der Käufer wegen gesetzlicher Haftungstatbestände (s.o.) einstehen muss, als Substanzmangel zu berücksichtigen.21
Unabhängig davon, ob man sich dieser Meinung anschließt, bleibt im Einzelfall freilich die Subsumtion einer solchen Drittforderung unter § 434 Abs. 2 und 3 BGB problematisch. Unentdeckte Schulden führen, wenn sie nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Bilanzierung hätten aufgeführt werden müssen, verschuldensunabhängig zur Unrichtigkeit und Mangelhaftigkeit der vom Verkäufer vorgelegten Kennziffern des Unternehmens, die im Regelfall Gegenstand der Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) sind.22 In allen anderen Fällen verbleibt dem Käufer — weil eine vertraglich vorausgesetzte Verwendung für Unternehmenskäufe untypisch ist — nur ein Rückgriff auf die fehlende gewöhnliche Beschaffenheit oder Verwendbarkeit des Unternehmens (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 BGB).23 Eine Bestimmung dieser Begriffe bereitet bei dem von individuellen Charakteristika des Kaufgegenstands geprägten Unternehmenskauf naturgemäß Schwierigkeiten.24 Der Käufer muss sich die berechtigte Frage gefallen lassen, ob das nachträgliche „Auftauchen“ unbekannter Drittverbindlichkeiten, sofern nicht deren Höhe eine beim Asset Deal den Käufer selbst treffende Insolvenz
10 Vgl. Weidenkaff, in: Grüneberg (Hrsg.), BGB83, 2024, § 435 Rn. 5; Maultzsch, in: Münchener Kommentar zum BGB8, 2019, § 435 Rn. 6; Büdenbender, in: Dauner-Lieb/Langen (Hrsg.), NomosKommentar BGB, Band 29, 2024, § 435 Rn. 1.
11 So schon RGZ 88, 103, 105; Faust, in: BeckOKBGB, 69. Edition, Stand: 01.02.2024, § 453 Rn. 30 m.w.N.
12 Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse5, 2018, § 2 Rn. 128; Maultzsch, in: MüKoBGB (Fn. 10), § 453 Rn. 42.
13 Ebd.
14 Vgl. Faust, in: BeckOKBGB (Fn. 11), § 453 Rn. 30.
15 Baur, BB 1979, 381, 386; Grunewald, in: Erman (Hrsg.), BGB17, 2023, § 435 Rn. 9.
16 Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 124f.; Huber, AcP 202 (2002), 179, 228.
17 Vgl. BGH, NJW 1970, 653; BGH, NJW 1972, 1658; BGH, NJW 1978, 370; zusammenfassend Gaul, ZHR 166 (2002), 35, 40 f.
18 BGH, NJW 1990, 1658, 1659; Westermann, in: Münchener Kommentar zum BGB8, 2019, § 453 Rn. 23; Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 587; Gaul, ZHR 166 (2002), 35, 41; Korch, JuS 2018, 521, 522.
19 BGH, NJW 2011, 1217 Rn. 13; Matusche-Beckmann, in: Staudinger (Begr.), BGB, 2014, § 453 Rn. 133 ff.; Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 607 ff.; Gaul, ZHR 166 (2002), 35, 42.
20 BT-Drs. 14/6040, S. 242.
21 Beckmann, in: Staudinger (Begr.), BGB, 2014, § 453 Rn. 136; Thiessen, in: MüKoHGB (Fn. 7), Anh. § 25 Rn. 38; Vossler, in: Oetker (Hrsg.), HGB8, 2024, Anh. §§ 25-28 Rn. 39; Westermann, in: MüKoBGB (Fn. 18), § 453 Rn. 31; Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 671 f.; Gaul, ZHR 166 (2002), 35, 47; a.A. Lorenz, in: FS Heldrich, 2005, S. 305, 318 ff.
22 Thiessen, in: MüKoHGB (Fn. 7), Anh. § 25 Rn. 83.
23 Korch, JuS 2018, 521, 523.
24 Zusammenfassend K. Schmidt, Handelsrecht6, 2014, § 5 Rn. 40; Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 620 f. Gänzlich ablehnend Gaul, ZHR 166 (2002), 35, 48.
auslösen kann,25 der gewöhnlichen Beschaffenheit eines Unternehmens wirklich entgegensteht oder nicht vielmehr eine der Transaktion immanente Typizität und ein vom ihm zu tragendes Risiko darstellt.
2. Share Deal
Bei einem Share Deal erwirbt der Käufer Beteiligungsrechte an einer das Unternehmen tragenden Gesellschaft und mit diesen auch die Rechte und Pflichten. Er tritt im Wege der Gesamtrechtsnachfolge vollständig in die Vergangenheit des Unternehmens ein und wird als Gesellschafter durch die Altverbindlichkeiten der Gesellschaft — freilich nur mittelbar — belastet.26
Beim Kauf von Gesellschaftsanteilen handelt es sich im Ausgangspunkt zwar um einen Rechtskauf i.S.v. § 453 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB,27 sodass den Verkäufer kraft Gesetzes nur eine Gewährleistung für den Bestand des Rechts (Verität), nicht aber für die Einbringlichkeit der Forderung (Bonität) und ebenso wenig für die Güte des Gegenstands, auf welchen sich das Recht bezieht, trifft.28
Diese formalistische Betrachtungsweise ist aber schon früh auf Kritik gestoßen, weil es wirtschaftlich und faktisch keinen Unterschied macht, ob der Käufer die Bestandteile des Unternehmens oder die Gesellschaft erwirbt, die das Unternehmen betreibt.29 Für die Annahme eines Unternehmenskaufs in Form eines Share Deals muss sich der Kaufvertrag aber auf (fast) sämtliche Gesellschaftsanteile beziehen, sodass dem Käufer die alleinige Verfügungsbefugnis über das Unternehmen zusteht.30 Die genaue Abgrenzung zwischen bloßem Beteiligungskauf und Share Deal ist indes umstritten.31 Nach der Rechtsprechung und herrschenden Lehre können aber im letzteren Falle auch Rechts- und Sachmängel des verkauften Unternehmens eine Haftung des Verkäufers begründen.32 Es können dann die Grundsätze zum Asset Deal (s.o.) entsprechend herangezogen werden.33
III. Haftungsausschluss nach § 442 Abs. 1 BGB
Von erheblicher praktischer Relevanz ist die Frage der Auswirkungen einer etwaigen Kenntnis (§ 442 Abs. 1 S. 1 BGB) oder grob fahrlässigen Unkenntnis (§ 442 Abs. 1 S. 2 BGB) des Käufers über das Bestehen von Drittverbindlichkeiten bei Signing des Unternehmenskaufvertrags.34 Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis können insbesondere im Rahmen einer Due Diligence entstehen.35
Nicht ausreichend für positive Kenntnis ist das bloße Wissen des Käufers um die zugrunde liegenden Tatsachen ohne den gedanklichen Schluss, dass aufgrund dieser Tatsachen Dritte Rechte gegen den Käufer oder das Unternehmen geltend machen können.36 Es reicht aber aus, wenn der Käufer „im Kern“ erkannt hat, welche Rechte des Dritten in Betracht kommen.37 Irrt der Käufer über den Inhalt (also auch die Höhe) der Drittverbindlichkeit, ist die Anwendung von § 442 Abs. 1 S. 1 BGB zwar ausgeschlossen.38 Zu denken ist aber stets an § 442 Abs. 1 S. 2 BGB, wobei ungeklärt ist, welches Käuferverhalten im Rahmen einer Due Diligence grob fahrlässige Unkenntnis begründet.39 Unkenntnis schadet nach dem Wortlaut der Norm nicht, wenn der Verkäufer Informationen arglistig verschwiegen hat.
Aus dem Gesagten folgt jedenfalls die Erkenntnis, dass das gesetzliche Mängelgewährleistungsrecht den Käufer nur dann vollständig absichern kann, wenn potenzielle Drittverbindlichkeiten bei Vertragsschluss überhaupt nicht offengelegt wurden.40 Dem Veräußerer dagegen nützt es, wenn der Erwerber möglichst viele Umstände in der Due Diligence-Prüfung erfährt oder bei entsprechender Prüfung der zur Einsicht vorgelegten Unterlagen hätte erfahren können.41
IV. Rechtsbehelfe des Käufers
Selbst wenn dem Käufer der Nachweis eines Mangels gelingt und die Gewährleistung nicht nach § 442 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist, bereitet die Durchsetzung der einzelnen Rechtsbehelfe des § 437 BGB beim Unternehmenskauf in der Regel unterschiedliche Schwierigkeiten.42
1. Primär: Nacherfüllung
Die pauschale Leugnung der Anwendbarkeit des § 439 BGB mit dem Argument, die Nacherfüllung passe nicht zur Eigenart des Unternehmenskaufs, 43 vermag nicht zu überzeugen. Bei genauerer Betrachtung steht einem Anspruch des Käufers auf Nachbesserung (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB) gerade bei relevanten Einzelmängeln wie dem Auftreten unbekannter Verbindlichkeiten nichts im Wege. Der Nacherfüllungsanspruch ist dann schon von Gesetzes wegen auf die Freistellung des Käufers von dieser Verbindlichkeit gerichtet.44 Der Einwand, bei Nacherfüllung für jeden Einzelposten schulde der Verkäufer letztlich mehr als er eigentlich verkauft habe, geht fehl, weil für die Annahme eines Mangels stets erforderlich ist, dass dieser auf das Unternehmen als Kaufgegenstand „durchschlägt“ (s.o.).45 So entspricht es der Eigenart des Unternehmenskaufs, wenn schon Nacherfüllung für nicht bilanzierte Verbindlichkeiten in der Form verlangt
25 Dann unstreitig für einen Sachmangel argumentierend Westermann, in: MüKoBGB (Fn. 18), § 453 Rn. 32.
26 Schütt, NJW 2016, 980, 982; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3015.
27 Beckmann, in: Staudinger (Fn. 21), § 453 Rn. 90, 101; Faust, in: BeckOKBGB (Fn. 11), § 453 Rn. 34.
28 BGH, NJW 2019, 145 Rn. 32; Huber, AcP 202 (2002), 179, 229.
29 Vgl. Korch, JuS 2018, 521, 523 f. m.w.N.
30 RGZ 126, 13, 16; BGH, NJW 2019, 145 Rn. 24 ff.; Loos, MDR 1962, 172 f.
31 Zusammenfassend Korch, JuS 2018, 521, 524; Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 601.
32 Vgl. BGH, BB 1970, 819; Thiessen, in: MüKoHGB (Fn. 7), Anh. § 25 Rn. 112.
33 So schon RGZ 120, 283, 288 ff.; RGZ 122, 378, 380 ff.; Korch, JuS 2018, 521, 524.
34 Jaques (Fn. 2), Abschn. D, Rn. 445.
35 Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 709.
36 Zur positiven Kenntnis von Rechtsmängeln Faust, in: BeckOKBGB (Fn. 11), § 442 Rn. 19.
37 BGHZ 13, 341, 345; BGH, NJW 1979, 713, 714; Matusche-Beckmann, in: Staudinger (Fn. 19), § 442 Rn. 56; Schellhammer, MDR 2002, 485, 487.
38 Faust, in: BeckOKBGB (Fn. 11), § 442 Rn. 19; Matusche-Beckmann, in: Staudinger (Fn. 19), § 442 Rn. 57.
39 Zum Meinungsstand Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 716 ff.
40 In diese Richtung argumentierend OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 3213.
41 Jaques, BB 2002, 417, 423; Jaques (Fn. 2), Abschn. D, Rn. 447.
42 Hilgard, BB 2016, 1218, 1220.
43 Gaul, ZHR 166 (2002), 35, 54; Huber, AcP 202 (2002), 179, 232f.
44 Thiessen, in: MüKoHGB (Fn. 7), Anh. § 25 Rn. 66; Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 683; Maier-Reimer, in: Eckert/Delbrück (Hrsg.), Reform des deutschen Schuldrechts, 2002, S. 79.
45 OLG Köln, ZIP 2009, 2063, 2066; Thiessen, in: MüKoHGB (Fn. 7), Anh. § 25 Rn. 88.
werden kann, dass der Verkäufer diese Drittverbindlichkeit tilgt.46
2. Sekundär: Rücktritt, Minderung und Schadensersatz statt der Leistung
Gegen die Praktikabilität des gegenüber der Nacherfüllung nachrangigen Rücktritts beim Unternehmenskauf bestehen insbesondere aufgrund der Anwendung von §§ 346 ff. BGB Bedenken.47 Zumindest an einer Rückabwicklung der unerkannt übernommenen Verbindlichkeiten wird ein Rücktritt rechtstechnisch aber nicht scheitern: Bei einem Share Deal ist die Rückgewähr der Gesellschaftsanteile i.S.v. § 346 Abs. 1 BGB problemlos möglich, bei einem Asset Deal kann der Veräußerer den Erwerber von den übernommenen Verbindlichkeiten freistellen oder diesem steht bei bereits erfolgter Tilgung ein Zahlungsanspruch nach § 347 Abs. 2 BGB zu.48 Praktisch erheblicher dürfte dagegen die Schranke des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB sein: Einzelne unerkannt übergegangene Verbindlichkeiten werden je nach Höhe und Bedeutung oft nur eine unerhebliche Pflichtverletzung darstellen und den Rücktritt vom Unternehmenskaufvertrag ausschließen.49
Bei Minderung und verschuldensabhängigem (kleinen) Schadensersatz statt der Leistung liegt das praktische Problem des Unternehmenskaufs abstrakt gefasst in der Ermittlung des durch einzelne Mängel verringerten „wirklichen Werts“ (§ 441 Abs. 3 BGB) bzw. des Schadens (§§ 249 ff. BGB).50 Die Höhe der Drittverbindlichkeiten liefert hier jedoch für beide Rechtsbehelfe des Käufers bei Betrachtung des konkreten Mangels eine durchaus verlässliche Orientierung.51
V. Zwischenergebnis
Die Annahme einer Verkäuferhaftung nach §§ 434 ff. BGB hängt also zusammenfassend vor allem von den Fragen ab, in welchen Fällen eine unerkannt übertragene Drittverbindlichkeit überhaupt als Unternehmensmangel zu qualifizieren ist und ab wann die Rechte des Käufers nach § 442 Abs. 1 BGB ausgeschlossen sind. Ist diese tatbestandliche Schwelle erst einmal überschritten, erscheint die „Schwarzmalerei“ der dem Käufer zustehenden Rechtsbehelfe durch manche Literaturvertreter52 dagegen für die konkrete Art von Mangel maßlos überzeichnet.
C. Freistellungsklauseln
Trotzdem sind für den Fall im Raum stehender Verbindlichkeiten des Unternehmens vertragliche Freistellungsansprüche weit verbreitete Gestaltungsinstrumente, die an die Stelle des BGB-Mängelgewährleistungsrechts treten. Im Folgenden soll deshalb nach einem kurzen Überblick über das einer Freistellungssituation zugrunde liegende Personenverhältnis (I.) der Freistellungsanspruch auf seine Rechtsnatur (II.), seinen praktischen Anwendungsbereich (III.) und seinen Inhalt (IV.) hin untersucht werden.
I. Begrifflichkeiten und Personenverhältnis
Bei einem Unternehmenskauf kann es zu der Situation kommen, dass der Erwerber zu dem im Vertrag bestimmten Stichtag eine potenzielle Drittverbindlichkeit des Verkäufers aufgrund gesetzlicher Haftungstatbestände unmittelbar (s.o.) bzw. im Falle des Share Deals der Zielgesellschaft mittelbar übernimmt, diese aber aufgrund von Unwägbarkeiten wirtschaftlich eigentlich gar nicht tragen möchte.53 Er hat dann als Drittschuldner (im Außenverhältnis) Interesse, sich im Innenverhältnis als Freistellungsgläubiger mittels eines vertraglichen Anspruchs schadlos zu halten.54 Freistellungsschuldner ist im Regelfall der Verkäufer des Unternehmens, der vor dem Stichtag unmittelbar oder als hinter der Zielgesellschaft stehender Gesellschafter mittelbar Anspruchsgegner des Drittgläubigers war und für die aus seinem Verantwortungs- und Risikobereich stammende Verbindlichkeit auch nach der Transaktion einstehen soll.55 Der zu befriedigende Drittgläubiger macht seine Drittforderung nach Übertragung des Unternehmens im Außenverhältnis gegen den Freistellungsgläubiger (Asset Deal) bzw. die Gesellschaft (Share Deal) geltend.
In der Person des Unternehmenskäufers treffen bei Inanspruchnahme die gegenläufigen Interessen des Drittgläubigers und des Unternehmensverkäufers aufeinander. Er ist einerseits der Forderung des Drittgläubigers ausgesetzt und andererseits dem Interesse des Verkäufers, nicht mehr für Ansprüche gegen das von ihm bereits übertragene Unternehmen im Rahmen seiner Freistellungsverpflichtung eintreten zu müssen.56
II. Rechtsnatur
Das geschriebene Recht sieht zwar an verschiedenen Stellen Freistellungspflichten vor. So kann sich aus dem Grundsatz der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB), im Rahmen einer Bürgschaft (§ 775 Abs. 1 BGB) und einer Gesamtschuldnerschaft (§ 426 Abs. 1 S. 1 BGB) oder nach § 100 VVG ein Anspruch auf Freistellung ergeben.57 Insbesondere § 257 S. 1 BGB, der einen Anspruch auf Befreiung von Aufwendungen normiert, passt für die vorliegende Konstellation des Unternehmenskaufs aber nicht, weil weder Käufer noch Verkäufer fremdnützig handeln.58 Trotz der enormen praktischen Bedeutung sind also die rechtlichen Rahmenbedingungen von vertraglichen Freistellungsansprüchen im Bereich des Unternehmenskaufs aufgrund der fehlenden gesetzlichen Normierung und der regelmäßigen Klärung von Streitigkeiten in vertraulichen Schiedsverfahren weitgehend ungeklärt.59
III. Anwendungsfälle in der M&A-Praxis
Bekannte und quantifizierbare Verbindlichkeiten des Unternehmens werden von den Parteien regelmäßig bei der Bestimmung des Kaufpreises berücksichtigt.60 Ist der Veräußerer im Gegenteil davon überzeugt, dass keine Drittansprüche einer
46 Thiessen, in: MüKoHGB (Fn. 7), Anh. § 25 Rn. 89.
47 Hilgard, BB 2016, 1218, 1221; Korch, JuS 2018, 521, 524; Meyer-Sparenberg (Fn. 1), § 46 Rn. 98.
48 Thiessen, in: MüKoHGB (Fn. 7), Anh. § 25 Rn. 93.
49 Vossler, in: Oetker (Fn. 21), Anh. §§ 25-28 Rn. 46; Wilhelmi, in BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 688; a.A. Thiessen, in: MüKoHGB (Fn. 7), Anh. § 25 Rn. 91.
50 Bisle, DStR 2013, 364, 365; Hilgard, BB 2016, 1218, 1221.
51 Thiessen, in: MüKoHGB (Fn. 7), Anh. § 25 Rn. 97 f.; Wilhelmi, in BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 692.
52 Vgl. Korch, JuS 2018, 521, 522; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3015.
53 Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3015.
54 Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3017.
55 Schütt, NJW 2016, 980.
56 Hilgard, BB 2016, 1218, 1229, 1237
57 Im Überblick Görmer, JuS 2009, 7, 8 ff.; Schütt, NJW 2016, 980.
58 Hilgard, BB 2016, 1218, 1219.
59 Ebd.
60 Grabowski/Harrer, DStR 1993, 20, 21.
bestimmten Art bestehen, bietet sich der Rückgriff auf eine negative Garantie an.61
Vertragliche Freistellungen kommen in der Vertragspraxis dagegen für solche Risiken zum Einsatz, die dem Käufer im Zuge einer Due Diligence bekannt geworden sind, deren Höhe und Eintrittswahrscheinlichkeit aber im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch zweifelhaft ist (sog. Eventualverbindlichkeiten).62 Dazu gehören neben möglichen vertraglichen oder deliktischen Ansprüchen Dritter (z.B. Gewährleistungs- oder Produkthaftungsansprüche) auch öffentlich-rechtliche Forderungen wie Verpflichtungen zur Beseitigung von Altlasten auf Grundstücken (Umwelthaftung),63 Steuerverbindlichkeiten für die Vergangenheit,64 Rückforderungen öffentlicher Beihilfen und Zuschüsse65 oder die drohende Verhängung von Bußgeldern wegen Korruption oder Compliance-Verstößen.66
IV. Inhalt
Was ein Freistellungsanspruch des Unternehmenskäufers gegen den Veräußerer inhaltlich umfasst und wie das Innenverhältnis beider Parteien ausgestaltet ist, richtet sich zuvorderst nach dem Inhalt der geschlossenen Vereinbarung. Insofern kommt der Privatautonomie Vorrang zu.67
Klauseln sehen üblicherweise aber schlicht vor, dass der Verpflichtete den Berechtigten von etwaigen Ansprüchen Dritter „freistellt“.68 Lässt die Vereinbarung wie in diesen Fällen Raum für eine umfassende (ergänzende) Vertragsauslegung, drängt sich die Frage auf, ob die Rechtsprechung des BGH zum naturgemäßen Inhalt eines Freistellungsanspruchs (s.u.) auf die Konstellation des Unternehmenskaufs problemlos übertragen werden kann.69
1. Primärziel: Freistellung von Drittforderungen
Die Primärleistungspflicht des Freistellungsschuldners besteht ganz allgemein in der Schadloshaltung des Käufers als Freistellungsgläubiger.70
a) Begründete Drittforderungen
Ist die Forderung des Drittgläubigers begründet, muss der Verpflichtete sie beseitigen bzw. zum Erlöschen bringen.71 Das ist unstreitig Kerngehalt seiner Freistellungspflicht.72 Hier verwirklicht sich der Primärzweck einer solchen Klausel, den Käufer vor einer Schmälerung des Unternehmenswerts durch Drittverbindlichkeiten und letztlich der Zahlung eines überhöhten Kaufpreises zu schützen (Wiederherstellung der Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung).73 Dabei ist es aber dem Verkäufer überlassen, ob er befreiend an den Drittgläubiger leistet (§ 267 Abs. 1 S. 1 BGB) oder mit ihm (§ 414 BGB) bzw. seiner Genehmigung (§ 415 BGB) eine Schuldübernahme vereinbart. Eine Zahlung des zur Tilgung erforderlichen Betrags an den Freistellungsgläubiger würde eine Schuldänderung darstellen, wofür dessen Zustimmung erforderlich ist.74 Eine unmittelbare Zahlung im Innenverhältnis ist demnach anders als bei § 257 S. 1 BGB nicht möglich.75
b) Unbegründete Drittforderungen
Erhebliche Bedeutung für die Praxistauglichkeit eines Freistellungsanspruchs beim Unternehmenskauf hat die Diskussion darüber, inwiefern dieser akzessorisch zur Begründetheit der Drittforderung sein soll.76 Insbesondere kommt dieser Frage Bedeutung zu, wenn es darum geht, ob den Freistellungsschuldner eine Abwehrpflicht gegenüber dem Käufer auch für unbegründete Inanspruchnahmen trifft. Davon hängt die für Haftungssysteme bedeutsame Frage nach der Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf die Umstände ab, die eine Verantwortung und Einstandspflicht des Veräußerers auslösen.
aa) Freistellungsansprüche in der Rechtsprechung des BGH
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH umfasst eine allgemeine Freistellungsvereinbarung auch die Abwehr (ex-post) rechtlich nicht bestehender Ansprüche (Eventualverbindlichkeiten) oder solcher Ansprüche, deren Höhe und Fälligkeit ungewiss oder streitig ist.77 Daraus folgt unmittelbar der Schluss, dass die Abwehrpflicht des Freistellungsschuldners fällig wird, sobald der Nachweis des auslösenden Ereignisses (regelmäßig die Inanspruchnahme) durch den Freistellungsgläubiger erbracht wird. Mittelbar lässt sich dem entnehmen, dass die Prüfungspflicht hinsichtlich der Begründetheit einer Drittforderung allein beim Freistellungsschuldner liegen soll und dieser unabhängig vom Prüfungsergebnis eine Befreiung schuldet. Je nach Prüfungsergebnis wird er dieser Befreiungspflicht entweder durch Tilgung der Forderung oder durch Abwehrhandlungen gerecht.
Der VIII. Zivilsenat des BGH stützte sein Ergebnis in der jüngsten Entscheidung zu Freistellungsklauseln auf die allgemeinen Grundsätze der Vertragsauslegung (§ 157 BGB). Dabei erkannte er im Verständnis einer wortkargen Freistellungsklausel durch das OLG Düsseldorf dahingehend, dass keine Abwehrpflicht bei Eventualverbindlichkeiten anzunehmen sei,78 einen Verstoß gegen das Gebot einer nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung.79 Der Senat führte aus:
„Mit der Übernahme einer Freistellungspflicht soll der Freizustellende typischerweise jeglichen Risikos einer Inanspruchnahme durch Dritte enthoben werden und insbesondere nicht der Gefahr ausgesetzt sein, wegen einer begründeten Forderung Dritter mit einer Klage überzogen zu werden oder in Fehleinschätzung der Sach- und Rechtslage eine unbegründete Forderung zu erfüllen und sich dies als eigenes Fehlverhalten entgegenhalten lassen zu müssen„.80
61 Bisle, DStR 2013, 364, 365; Grabowski/Harrer, DStR 1993, 20, 21.
62 Wilhelmi, in BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 785; Bisle, DStR 2013, 364, 367; Hilgard, BB 2016, 1218, 1222; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014.
63 BGH, NJW 1996, 2725.
64 Bisle, DStR 2013, 364, 367.
65 Hilgard, BB 2016, 1218, 1223.
66 Wilhelmi, in BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 785; Beck (Fn. 3), S. 45; Schütt, NJW 2016, 980, 982 f.; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014.
67 Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3016.
68 Hilgard, BB 2016, 1218, 1223.
69 Diese Frage aufwerfend Hilgard, BB 2016, 1218, 1223; Schütt, NJW 2016, 980, 981; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3016.
70 Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3016.
71 Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 786.
72 BGHZ 91, 73, 77; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3017.
73 Schütt, NJW 2016, 980, 983.
74 Hilgard, BB 2016, 1218, 1227.
75 Görmer, JuS 2009, 7, 9.
76 Beck (Fn. 3), S. 51; Muthorst, AcP 209 (2009), 212, 218.
77 St. Rspr., vgl. BGH, NJW 1970, 1594, 1595; BGH, NJW 1983, 1729; BGH, NJW 2002, 2382; BGHZ 152, 246, 255; BGH, NJW-RR 2011, 479, 480.
78 Vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 3213.
79 BGH, NJW-RR 2011, 479 Rn. 11.
80 BGH, NJW-RR 2011, 479 Rn. 12.
Deshalb müsse sich der Freistellungsschuldner auch um die Abwehr unbegründeter Ansprüche kümmern und jegliche Nachteile vom Freistellungsgläubiger abhalten.81 Außergerichtlich soll der Freistellungsschuldner zunächst dazu verpflichtet sein, Verhandlungen mit dem Dritten über den Bestand und die Höhe der vermeintlichen Forderung aufzunehmen.82 Wird der Freistellungsgläubiger von dem Dritten vor einem staatlichen Gericht (oder einem Schiedsgericht) in Anspruch genommen, muss der Freistellungsschuldner sich nach strenger Ansicht der Rechtsprechung (z.B. nach Streitverkündigung in Form der „Schadloshaltung“ gem. § 72 Abs. 1 Alt. 2 ZPO) am Prozess beteiligen bzw. ihn dem Freistellungsgläubiger „inhaltlich abnehmen“, indem er einen Anwalt beauftragt und bezahlt, diesem die notwendigen Informationen zum Sachverhalt zukommen lässt, Schriftsätze abstimmt und Vorschüsse für Sachverständige oder Zeugen leistet.83
bb) Übertragbarkeit auf den Unternehmenskauf
Allein in einer Randnotiz machte der BGH geltend, von der Verpflichtung der Abwehr auch unbegründeter Forderungen könne dann abgewichen werden, wenn eine von dieser typischen Interessenkonstellation abweichende Interessenlage besteht.84 Die Judikatur soll nach dieser Aussage also nicht in Stein gemeißelt sein.85 Weitere Ausführungen zu der Frage, wann eine solche Konstellation vorliegen könnte, stellte der VIII. Zivilsenat jedoch nicht an.86 Da es an Rechtsprechung zum Wesensgehalt von Freistellungsverpflichtungen im Rahmen einer M&A-Transaktion mangelt, stellt sich die Frage, ob gerade der komplexe Unternehmenskauf ein solcher Sonderfall sein kann.
87
Mit K. Schmidt, Muthorst und Beck haben mehrere Literaturstimmen die allgemeine Geltung der vom BGH hergeleiteten Formel, eine Freistellungsverpflichtung umfasse auch die Abwehr unbegründeter Eventualverbindlichkeiten, in Frage gestellt.88 Während K. Schmidt unter Bezugnahme auf die Randbemerkung des BGH den Bestand einer Abwehrpflicht davon abhängig machen will, aus welche Risikosphäre die vermeintliche Drittforderung stammt,89 fordern Muthorst und Beck eine einzelfallbezogene Auslegung der Klausel mit dem Ziel, die Darlegungs- und Beweislast zu verorten.90 Konkret bezogen auf die Interessenlage der Parteien beim Unternehmenskauf lehnt Schütt daran anknüpfend eine pauschale Pflicht zur Abwehr unbegründeter Drittforderungen ab, weil sie nicht den Interessen von Unternehmenskäufer und -verkäufer entspreche.91
Dabei führt er maßgeblich zwei Argumente an: Zum einen sei problematisch, dass der Unternehmensverkäufer als Freistellungsschuldner nach der Transaktion nicht mehr über den notwendigen Zugriff auf Dokumente, Wissensträger und andere Ressourcen verfüge, um eine sachgemäße Prüfung der geltend gemachten Drittforderungen vorzunehmen und sie gegebenenfalls selbständig abzuwehren.92 Der Veräußerer habe daher ein berechtigtes Interesse daran, dass solche vermeintlichen Drittansprüche durch den Erwerber bzw. das übertragene Unternehmen selbst abgewehrt werden.93
Zum anderen sollen die Belange des Unternehmenskäufers einer Abwehrpflicht entgegenstehen. Denn dieser habe nach dem Closing (Gefahrübergang) kein Interesse daran, dass der ausgeschiedene Verkäufer in das operative Geschäft des Unternehmens eingreift, um Auseinandersetzungen mit Dritten (Wettbewerbern, Kunden, Lieferanten, etc.) zu führen.94 Es bestünde die realistische Gefahr, dass der Verkäufer zur Erzielung eines für ihn bestmöglichen Ergebnisses solche Strategien und Verhaltensweisen an den Tag legt, die reflexartig dem operativen Geschäft des Unternehmens, namentlich z.B. der Aufrechterhaltung von Kundenbeziehungen oder der öffentlichen Reputation, und damit wirtschaftlich dem Käufer schaden.95
Schütt gelangt deshalb zu dem Ergebnis, dass den Veräußerer keine umfangreiche Abwehrpflicht treffe, sondern er bloß die Kosten der Anspruchsabwehr durch den Erwerber übernehmen und die Drittansprüche, sofern sie im Ergebnis begründet sind, erfüllen müsse. Die Prozessführungsbefugnis verbleibe dagegen beim Unternehmenskäufer.96
97
Dem ersten Argument von Schütt wird entgegengehalten, dass sich Freistellungsklauseln in der M&A-Praxis regelmäßig auf solche Risiken beschränken, die noch aus der Verkäufersphäre und der Zeit vor dem Gefahrübergang stammen (s. C.III.). Bei solchen Sachverhalten fehle es dem Verkäufer regelmäßig aber nicht an Kompetenz. Die Wissenshoheit liege gänzlich bei ihm und nicht beim Erwerber, wenn er das Unternehmen in der Vergangenheit, z.B. als Gesellschafts-Geschäftsführer, sogar aktiv führte.98 Deshalb könne es durchaus im Interesse des Käufers sein, dass der Verkäufer zur Abwehr unbegründeter Inanspruchnahmen verpflichtet ist. So sei es zwar richtig, wenn Schütt argumentiere, der Käufer übernehme mit dem Kauf das volle unternehmerische Risiko, doch würden die Parteien mit einer Freistellungsvereinbarung gerade eine Ausnahme dieses Grundsatzes bezwecken.99 Auch müsse Beachtung finden, dass den Freistellungsgläubiger in der Regel die vertragliche Nebenpflicht trifft, dem Verkäufer alle relevanten Informationen zur Abwehr der Drittforderungen zur Verfügung zu stellen.100 Das Argument, der Unternehmensverkäufer befinde sich aufgrund der fehlenden Zugriffsmöglichkeit in einem Dilemma, überzeugt nach dieser Ansicht deshalb nur begrenzt. Im Gegenteil gelte: Ist der Freistellungsschuldner schon derart frühzeitig zum Tätigwerden verpflichtet, wird er meist überhaupt
81 Mayer, ZfPW 2015, 226, 231 ff.; Schweer/Todorow, NJW 2013, 2072, 2076.
82 BGH, NJW 2002, 2382; Görmer, JuS 2009, 7, 9.
83 BGH, NJW-RR 2011, 479 Rn. 12 f.; BGH, NJW 1970, 1594, 1595; Schweer/Todorow, NJW 2013, 2072, 2076. Zur Streitverkündung Hilgard, BB 2016, 1218, 1234.
84 BGH, NJW-RR 2011, 479 Rn. 13.
85 Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3016.
86 Schütt, NJW 2016, 980, 981.
87 Dagegen
88 Beck (Fn. 3), S. 51 ff.; Muthorst, AcP 209 (2009), 212; K. Schmidt, JuS 2008, 283.
89 K. Schmidt, JuS 2008, 283, 285.
90 Muthorst, AcP 209 (2009), 212, 221; Beck (Fn. 3), S. 52 f.
91 Schütt, NJW 2016, 980.
92 Schütt, NJW 2016, 980, 983; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3018.
93 Schütt, NJW 2016, 980, 983.
94 Ebd; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3018.
95 Ebd.
96 Schütt, NJW 2016, 980, 983.
97 Dafür
98 Vgl. Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3018 f.
99 Schütt, NJW 2016, 980, 984; entkräftend Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 786.
100 BGH, NJW 1983, 1729, 1730; Schütt, NJW 2016, 980, 981, 983.
nur eine Abwehr in eigener „Regie“ befürworten.101
Ein zweites Argument für eine Übertragbarkeit des BGH-Maßstabs auch auf Unternehmenskäufe lässt sich schließlich aus Sinn und Zweck einer Freistellungsklausel beim Unternehmenskauf herleiten. Würde man eine Akzessorietät zwischen vollumfänglicher Tätigkeitspflicht zur Schadloshaltung des Freistellungsschuldners und Begründetheit der Drittforderung voraussetzen, würden die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmale zulasten des Käufers erheblich ausgeweitet werden. Der Freistellungsschuldner müsste nicht nur die Inanspruchnahme durch den Dritten plausibel darlegen, sondern auch die Begründetheit der Forderung prüfen. Er stünde letztlich nicht anders als ein Garantieinhaber102 oder ein Käufer, dem nur ein Rückgriff auf das gesetzliche Mängelgewährleistungsrecht verbleibt. Denn auch in diesen Fällen obliegt es der die vertraglichen oder gesetzlichen Rechte geltend machenden Partei, die Begründetheit der Inanspruchnahme durch Dritte als Eintritt des Garantiefalls bzw. Mangel i.S.v. §§ 434, 435 BGB nachzuweisen.103 Die Notwendigkeit eines weitergehenden Schutzes des Unternehmenskäufers erkennt letztlich auch Schütt an, indem er aus der Freistellungsvereinbarung folgende Unterstützungspflichten des Veräußerers bei der Abwehr unbegründeter Forderungen befürwortet.104
105
Herausgearbeitet wurde mit der Gegenüberstellung, dass es eigentlich zwei diametrale Interessen auf Käuferseite sind, die jeweils für und gegen eine weitgehende Abwehrpflicht des Freistellungsschuldners beim Unternehmenskauf streiten: Das Primärinteresse an einer möglichst umfassenden Schadloshaltung durch den Verkäufer, das der Vereinbarung einer Freistellungsklausel meist zugrunde liegt, wird seinerseits beschränkt durch das Interesse an einer möglichst autonomen Führung des operativen Unternehmensgeschäfts (also der Nutzung des Kaufgegenstands).
Diese Interessenkollision muss aufgelöst werden. Die pauschale Anwendung der abstrakten BGH-Formel würde, so wird es in der Literatur berechtigterweise geltend gemacht, eine erhebliche Besonderheit des Unternehmenskaufs verkennen, die darin liegt, dass der Gefahrübergang einen vollständigen Clean Cut ermöglichen und die Ertragschancen und Risiken des operativen Unternehmensgeschäfts gänzlich auf den Käufer übertragen soll.106 Jeder danach erfolgende Eingriff des Verkäufers in die Unternehmenssphäre gefährdet diesen Clean Cut deutlich stärker, als dies bei einer normalen Kaufsache der Fall wäre.107 Deren Werthaltigkeit hängt nur beschränkt von ihren Beziehungen zur Außenwelt und von ihrer Wahrnehmung durch Dritte ab. Bei einem Unternehmen als Gesamtheit von Sachen, Rechten und immateriellen Gütern wie Goodwill, Know-how und vor allem auch Kundenstämmen oder Lieferantenbeziehungen108 sieht dies anders aus.
Gegen die Literaturmeinungen, die eine pauschale Pflicht zur Abwehr unbegründeter Forderungen verneinen, ist jedoch der vom Freistellungsgläubiger intendierte Primärzweck einer Freistellungsklausel beim Kauf eines Unternehmens anzuführen (s.o.). Eine vollumfängliche Schadloshaltung des Käufers lässt sich nur mit einer weitreichenden Freistellungspflicht, die auch eine Abwehrpflicht in Bezug auf unbegründete Forderungen enthält, erreichen. Auch wird es regelmäßig dem Interesse des Veräußerers entsprechen, eine Abwehr unbegründeter Drittforderungen in Eigenregie führen zu können, und nicht allein zu (finanziellen) Unterstützungshandlungen verpflichtet zu sein (s.o.). Überzeugender ist es deshalb, eine solche Verpflichtung bzw. Berechtigung (abhängig von der Perspektive) im Einklang mit der gefestigten Rechtsprechung des BGH im Ausgangspunkt anzunehmen.
Mit dieser Grundannahme bleibt das Problem, dass eine Abwehrpflicht (korrespondierend mit einem Recht des Unternehmensverkäufers zur „Federführung“) im Einzelfall nicht dem Käuferinteresse entsprechen wird (s.o.). Dieses Problem der Interessenkollision bei einem nachträglichen Eingriff in die Risikosphäre des Käufers stellt sich allerdings nicht nur bei Freistellungsklauseln. Auch im Rahmen des gesetzlichen Nacherfüllungsanspruchs, der bei der Belastung mit Drittverbindlichkeiten die Form eines gesetzlichen Freistellungsanspruchs haben kann (s.o.), kommt § 440 S. 1 Var. 3 BGB beim Unternehmenskauf eine große Bedeutung zu, sobald dem Käufer der durch die Nacherfüllung erfolgende Eingriff in das operative Geschäft unzumutbar ist.109 Unzumutbarkeit liegt dann vor, wenn die Nacherfüllung für den Käufer mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden ist, was sich aus der Art des Kaufgegenstands, dem Zweck der Verwendung und den mit der Nacherfüllungshandlung notwendig verbundenen Begleitumständen ergeben kann.110
Ein vereinbarter Freistellungsanspruch ist nach richtigem Verständnis rechtstechnisch nicht mehr als eine vertragliche Erweiterung der gesetzlichen Mängelhaftung (§§ 434, 435 BGB) dahingehend, dass der Verkäufer dafür einstehen muss, dass keine Rechte von Dritten an dem Kaufgegenstand geltend gemacht werden, unabhängig davon, ob diese tatsächlich bestehen.111 Deswegen erscheint es plausibel, die Wertung und den Rechtsgedanken von § 440 S. 1 Var. 3 BGB auf vertragliche Freistellungsklauseln zu übertragen. Vom dispositiven Recht kann nämlich für die (ergänzende) Auslegung privatautonomer Vereinbarungen regelmäßig Indizwirkung ausgehen.112
Für die in Frage stehende Pflicht zur Abwehr unbegründeter Forderungen als Inhalt einer Freistellungsklausel sollte gedanklich demnach ebenfalls ein Regel-Ausnahme-Verhältnis gelten. Wann dem Freistellungsgläubiger eine Abwehr unter Führung des Verkäufers unzumutbar ist, muss dann stets im Einzelfall beurteilt werden. Liegt ein Sachverhalt abgeschlossen in der Vergangenheit oder ist das operative Unternehmensgeschäft nicht unmittelbar betroffen, liegt ein umfassender Abwehranspruch nahe. In allen anderen Fällen könnte die Faustregel gelten: Je stärker ein potenzieller Anspruch, der von Dritten geltend gemacht wird, Gegenwartsbezug hat
101 Beispielhaft Hilgard, BB 2016, 1218, 1225.
102 Vgl. Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3018.
103 Für §§ 434, 435 BGB Faust, in: BeckOKBGB (Fn. 11), § 434 Rn. 150; für den Garantiefall Muthorst, AcP 209 (2009), 212, 237; Schütt, NJW 2016, 980, 984.
104 Vgl. nur Schütt, NJW 2016, 980, 985 m.w.N.
105 Stellungnahme
106 Die Pauschalität des BGH kritisiert Beck (Fn. 3), S. 52 f.
107 Dies betont Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 685.
108 Faust, in: BeckOKBGB (Fn. 11), § 453 Rn. 27.
109 Westermann, in: MüKoBGB (Fn. 18), § 453 Rn. 41; Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 685; Korch, JuS 2018, 521, 524.
110 Höpfner, in: BeckOGKBGB, Stand: 1.4.2023, § 440 Rn. 43 f.; Triebel/Hölzle, BB 2002, 521, 526.
111 Matusche-Beckmann, in: Staudinger (Fn. 19), § 435 Rn. 41; Weidenkaff, in: Grüneberg (Fn. 10), § 435 Rn. 4.
112 Dirk/Looschelders, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack (Hrsg.), NomosKommentar BGB, Band 14, 2021, § 157 Rn. 8.
und geeignet ist, den Geschäftsbetrieb des Unternehmens negativ zu beeinflussen, desto eher sollte es dem Käufer überlassen sein, die Abwehr des Anspruchs selbst zu übernehmen. Er hätte dann zwar den Freistellungsschuldner über eine Inanspruchnahme durch Dritte zu informieren und diesen würden im Einklang mit der Ansicht von Schütt ebenfalls Mitwirkungs-, Informations- und Finanzierungspflichten hinsichtlich der Verteidigung treffen.113 Das „Zepter“ hätte dagegen der Freistellungsgläubiger in der Hand.
Auch in solchen Sonderfällen dürfte sich der Käufer freilich nicht gänzlich rücksichtslos und treuwidrig gegenüber dem zahlenden Freistellungsschuldner verhalten. Andernfalls würde er vertragliche Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzen. Die geschwächte Position des Freistellungsschuldners ist zudem hinreichend zu würdigen: Entscheidet sich der Freistellungsgläubiger bzw. Unternehmenskäufer z.B. zugunsten der Aufrechterhaltung von Kundenbeziehungen oder des guten Rufs, ohne weitere Prüfung (ex-post) unbegründete Forderungen zu tilgen, steht ihm das zwar frei. Ein Regressanspruch im Innenverhältnis wäre aber mit den Interessen des Freistellungsschuldners unvereinbar.114
2. Sekundärziel: Geldzahlung
Der Freistellungsanspruch ist nicht unmittelbar auf Geldzahlung gerichtet (s.o.). Er kann sich aber in einen Zahlungsanspruch umwandeln, sollte der Freistellungsschuldner seiner Freistellungs- und Abwehrpflicht nicht nachkommen und der Freistellungsgläubiger deshalb im Außenverhältnis die Drittforderung tilgen.
a) Umwandlung in Schadensersatz (§§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB)
Da der Freistellungsschuldner unabhängig von der (Un-)Begründetheit einer Drittforderung im Regelfall entweder zur Freistellung oder zur Abwehr verpflichtet ist (s.o.), begeht er eine Pflichtverletzung, wenn er nach ordnungsgemäßer Aufforderung und Unterrichtung durch den Freistellungsgläubiger überhaupt nicht tätig wird. Diese kann nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, Abs. 4 BGB zu Schadensersatz statt der Leistung führen.115 Tatbestandliche Voraussetzung ist jedoch eine vorherige Fristsetzung, die bei ernsthafter und endgültiger Leistungsverweigerung (§ 281 Abs. 2 BGB) entbehrlich sein kann. Der zu ersetzende Schaden bemisst sich allein nach der durch den Freistellungsgläubiger geleisteten Zahlung an den Drittgläubiger, wobei es auf die Begründetheit der Forderung nicht mehr ankommt.116 War sie unbegründet, kann der Schuldner allerdings nach § 255 BGB analog die Schadensersatzleistung davon abhängig machen, dass der Freistellungsgläubiger seinen Bereicherungsanspruch gegen den Dritten an ihn abtritt.117
b) Zahlungsansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag
Fehlt es an einer Fristsetzung und damit den Voraussetzungen der §§ 280 ff. BGB, kommen Ansprüche des Freistellungsgläubigers nach Ansicht des BGH aus §§ 683 S. 1, 670 BGB oder §§ 684 S. 1, 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB in Betracht, wobei den Berechtigten in diesen Fällen die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, dass die erfolgte Zahlung an den Drittgläubiger gerechtfertigt war.118
3. Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Pflichten der Parteien feststellen: (1) Dem Vorrang der Privatautonomie muss Beachtung geschenkt werden. (2) Soweit Raum für Auslegung ist, hat ein vertraglicher Freistellungsanspruch primär zum Inhalt, dass der Freistellungsschuldner den Freistellungsgläubiger von begründeten Verbindlichkeiten befreit. (3) Umstritten ist, inwiefern ihn auch eine Pflicht zur Abwehr unbegründeter Forderungen trifft. Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine solche Abwehrpflicht regelmäßig zu bejahen. Im Einzelfall kann dem Käufer eine vom Veräußerer geführte Abwehr in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 440 S. 1 Var. 3 BGB aber unzumutbar sein. Insofern schlägt diese Arbeit die Annahme eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses vor. (4) Bei Nichtleistung durch den Schuldner ist zudem die Transformation des Freistellungs- oder Abwehranspruchs in einen Zahlungsanspruch möglich.
D. Vergleich
Nachdem diese Arbeit nun einen Schutz des Käufers vor Drittverbindlichkeiten sowohl über das BGB-Mängelgewährleistungsrecht als auch über vertragliche Freistellungsklauseln angedacht hat, werden schließlich die zentralen Unterschiede beider Haftungssysteme gegenübergestellt. Für die Frage der Günstigkeit einer Haftungsnorm aus Käuferperspektive spielen in der Praxis drei Aspekte eine entscheidende Rolle: Verschuldenserfordernisse, der Einfluss von Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis des Käufers sowie die Darlegungs- und Beweislast.119 Da weder ein gesetzlicher Nachbesserungsanspruch noch ein Freistellungsanspruch verschuldensabhängig ist, erfolgt ein Vergleich anhand der anderen beiden Kriterien.
I. Einfluss von Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis
Wie bereits oben festgestellt wurde, kann die gesetzliche Mängelhaftung den Käufer, soweit die unerkannte Drittverbindlichkeit überhaupt einen Mangel (§§ 434, 435 BGB) darstellt und nicht vielmehr Typizität einer Unternehmenstransaktion ist, nur bei fehlender Kenntnis und nicht grob fahrlässiger Unkenntnis (vgl. § 442 Abs. 1 BGB) schützen. In der Transaktionspraxis soll eine Due Diligence dem Käufer aber regelmäßig gerade ermöglichen, das Unternehmen als Kaufgegenstand genau zu „durchleuchten“ und Risiken offenzulegen. Der Erwerber bewegt sich damit praktisch stets an der Grenze zu § 442 Abs. 1 BGB.120 Hier weist das BGB-Mängelgewährleistungsrecht aus Käuferperspektive ein Schutzdefizit auf. In diese Lücke des gesetzlichen
113 In diesen Fällen wie Schütt, NJW 2016, 980, 983.
114 So auch Hilgard, BB 2016, 1218, 1229.
115 BGH, NJW-RR 2011, 479 Rn. 14; Hilgard, BB 2016, 1218, 1229; Mayer, ZfPW 2015, 226, 238; Schütt, NJW 2016, 980, 981; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3017.
116 Schadensersatz statt der Leistung in Höhe der getilgten Eventualverbindlichkeit kann nach der hier vertretenen Ansicht allerdings nicht verlangt werden, wenn dem Freistellungsgläubiger die Abwehr durch den Freistellungsschuldner unzumutbar ist, vgl. C.IV.1.
117 Görmer, JuS 2009, 7, 10.
118 BGH, NJW 2002, 2382; Hilgard, BB 2016, 1218, 1230.
119 Jaques (Fn. 2), Abschn. D, Rn. 393.
120 Wilhelmi, in: BeckOGKBGB (Fn. 6), § 453 Rn. 716 ff.
Haftungssystems stoßen vertragliche Freistellungsansprüche. Sie erfassen typischerweise solche Risiken, die im Rahmen der Vertragsverhandlungen offengelegt werden, aber noch nicht genau quantifiziert und in den Kaufpreis „eingepreist“ werden können.121 Ein erstes Vergleichsergebnis ist daher, dass sich das gesetzliche Mängelgewährleistungsrecht und vertragliche Freistellungsklauseln vor allem in ihrem potenziellen Anwendungsbereich unterscheiden, weniger aber in ihren Rechtsfolgen. So ist auch ein gesetzlicher Nachbesserungsanspruch letztlich oft auf eine Freistellung des Käufers gerichtet (s.o.).
II. Darlegungs- und Beweislast
Dass vertragliche Freistellungsansprüche beim Unternehmenskauf zum großen Vorteil des Käufers nach dem hier vertretenen Verständnis weiter und schutzintensiver als die Regelungen des dispositiven Rechts sind, ergibt sich aus den oben getätigten Ausführungen zur Darlegungs- und Beweislast. Während der Erwerber für eine Tätigkeitspflicht des Verkäufers im Rahmen der gesetzlichen Mängelrechte (§ 437 BGB) und von Garantien den Nachweis erbringen muss, dass er begründet von einem Dritten in Anspruch genommen wird, reicht bei Freistellungsverpflichtungen die plausible Geltendmachung der Inanspruchnahme. Den Freistellungsschuldner trifft (im Regelfall) schon frühzeitig die Pflicht, auch unbegründete Forderungen selbständig abzuwehren. Zweites Untersuchungsergebnis ist deshalb, dass eine Vereinbarung zur Freistellung von potenziellen Drittverbindlichkeiten eine deutlich umfassendere Schadloshaltung des Unternehmenskäufers bezweckt.
E. Ergebnis und Handlungsempfehlung
Freistellungsklauseln bieten für den Unternehmenskäufer gewisse Vorzüge. Bei einem bloßen Rückgriff auf das BGB-Mängelgewährleistungsrecht verblieben erhebliche Risiken in Bezug auf den zu erbringenden Nachweis der haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmale. Doch besteht auch bei der Auslegung des Inhalts einer wortarmen Freistellungsklausel wegen fehlender Rechtsprechung im Ausgangspunkt Rechtsunsicherheit. Insbesondere ist umstritten, inwiefern sich die Ausführungen des BGH zu einer Abwehrpflicht unbegründeter Eventualverbindlichkeiten auf den Unternehmenskauf übertragen lassen (s.o.).
Für die Herstellung von Sicherheit und Transparenz sollten die Parteien deshalb den Pflichtenkatalog einer Freistellungsklausel privatautonom möglichst detailliert ausbuchstabieren und insbesondere festlegen, ab wann der Verkäufer zur Abwehr tatsächlich verpflichtet ist.122 Nur so kann letztlich die Konstruktion eines Haftungssystems mit klarer Risikoverteilung gelingen.
121 Beck (Fn. 3), S. 45; Hilgard, BB 2016, 1218, 1221ff.; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014.
122 So auch Beck (Fn. 3), S. 53; Hilgard, BB 2016, 1218, 1237; Meyer-Sparenberg (Fn. 1), § 48 Rn. 126; Schütt, NJW 2016, 980, 983, 985; Wiesbrock/Frank, BB 2018, 3014, 3019.
