Publizitätspflichten im Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse

Funktion, Inhalte und Durchsetzungsmechanismen

by Jannis Fischer*

A. Einleitung

Der Freiverkehr der Frankfurter Wertpapierbörse (FWB) bzw. seit 2005 der Entry Standard als Teilsegment waren und sind Gegenstand einer unsteten Entwicklung. Erst im Juli 2012 erfuhr das Freiverkehrssegment eine umfassende Reformierung. Ein Jahr später wurden im Bundeswirtschaftsministerium wiederum Forderungen nach einer Umgestaltung laut.1 In dieser stark finanz- und europapolitisch motivierten Dynamik besteht erhebliches Interesse an einer ökonomisch-rechtlichen Einordnung des heutigen Status Quo. Es gilt, Übersicht herzustellen und damit eine informierte Grundlage für weitere potentielle Eingriffe in die deutsche Börsenlandschaft zu schaffen. Diesem Interesse ist der folgende Artikel gewidmet. Im Ausgangspunkt sollen die einzelnen Etappen des Freiverkehrs kurz nachgezeichnet werden.

Ursprünglich stellte der Freiverkehr einen unabhängigen und privaten Wertpapierhandel an den Einrichtungen der Börse dar. Indem die Infrastruktur der Börse genutzt, aber deren öffentlich-rechtliche Regularien vermieden wurden, schaffte er insbesondere für den Handel mit ausländischen Papieren starke Anreize schaffen.2 Mit dem Umfang des Freiverkehrs stieg jedoch auch das staatliche Bedürfnis nach seiner Einbeziehung in das offizielle Börsensystem: Es sollte einerseits eine Überwachung des Handels ermöglicht, andererseits die Wettbewerbsfähigkeit der Börsen gesteigert werden.3 Als schließlich die Eingliederung erfolgte, wurde die privatrechtliche Ausformung zwar bestätigt, jedoch verlor der „freie Verkehr“ auf gesetzlicher und vertraglicher Ebene zunehmend an regulatorischer Unabhängigkeit.4 Mit der Einrichtung des Neuen Marktes als Teilsegment implementierte die Deutsche Börse AG (DBAG)5 strenge Transparenzanforderungen, die in Teilen selbst über das Niveau des Amtlichen Marktes6 hinausgingen.7 Die Entwicklung des Neuen Marktes, der nach einem rasanten Aufstieg einen ebenso rasanten Zusammenbruch erlebte, verdeutlicht zwei Aspekte, die auch für das heutige Wesen des Entry Standard von entscheidender Bedeutung sind: Erstens die Missbrauchsanfälligkeit des gesetzlich deregulierten Freiverkehrs in einem Marktumfeld, das von zunehmender Komplexität und Spezialisierung geprägt wird. Zweitens die Schwierigkeit, durch privatrechtliche Ausgestaltungen ein umfassendes und durchsetzbares Transparenzregime zu schaffen.8

Am 25.10.2005 wurde der Freiverkehr an der FWB „Open Market“ getauft und als Teilsegment der Entry Standard eingeführt.9 Letzterer war dem Londoner Alternative Investment Market (AIM) nachempfunden und zeichnete sich gegenüber dem allgemeinen Freiverkehr durch erhöhte Transparenzanforderungen aus.10 Zugleich bestand jedoch ein maßgeblicher Schwerpunkt des neuen Regelwerkes darin, eine klare Abgrenzung zum öffentlich-rechtlichen Markt zu signalisieren.11 Zwar konnte der Entry Standard zunächst einige Erfolge verzeichnen, jedoch wurden seit 2010 auch hier alarmierende Missbrauchszahlen registriert.12 Der private Veranstalter reagierte jeweils mit Verschärfungen der Geschäftsbedingungen.

In Anbetracht des Ursprungs und der Entwicklung des Entry Standard bedarf die funktionale Legitimation eines tiefer greifenden Publizitätskanons gesonderter Rechtfertigung. Darüber hinaus ist zu klären, welche Rollen der Gesetzgeber und der private Veranstalter bei der Ausgestaltung des geltenden Regelwerkes einnehmen. Diese Ausgangsfragen sollen zunächst genauer beleuchtet werden, um daran anknüpfend die wichtigsten Inhalte und Veränderungen des vertraglichen Publizitätsregimes in den Blick zu nehmen.

B. Freiheit im Kapitalmarkt versus Anlegerschutz13

Dass eine effiziente Preisbildung14 durch Angebot und Nachfrage nicht ohne Informationen möglich ist, wurde schon


* Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Süddeutsche v. 19.8.2013, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/ wirtschaft/boersensegment-fuer-start-ups-roesler-will-neuen-markt-zu-rueck-1.1749803.

2 Schlüter, Börsenhandelsrecht2, 2002, Teil G Rn. 806-808; vgl. Bröcker, in: Claussen (Hrsg.), Bank- und Börsenrecht – für Studium und Praxis4, 2008, § 6 Rn. 65.

3 Schlüter (Fn. 2), Teil G Rn. 811; Kümpel, WM 1985, Sonderbeil. Nr. 5, S. 8.

4 RegBegr. BT-Drucks. 10/4296, S. 11; RegBegr. BT-Drucks. 12/6679, S. 76; Kümpel, Kapitalmarktrecht – Eine Einführung3, 2004, Rn. 234-235; Reuschle/Fleckner, BKR 2002, 617, 624-625.

5 Privatrechtlicher Träger der FWB und Veranstalterin des Freiverkehrssegments.

6 Dieses öffentlich-rechtliche Segment der FWB existierte bis 2007 und wurde mit dem Finanzmarkt-Richtlinien-Umsetzungsgesetz (FRUG) durch den regulierten Markt ersetzt.

7 Schlitt, AG 2003, 57, 58; Potthoff/Stuhlfauth, WM 1997, Sonderbeil. Nr. 3, S. 4.

8 Merkt, Gutachten G für den 64. Deutschen Juristentag, 2002, G106-G107; Schlitt, AG 2003, 57, 60.

9 Schlitt/Schäfer, AG 2006, 147; Oelke, BKR 2006, 7.

10 Schlitt/Schäfer, AG 2006, 147; v. Rosen, in: Assmann/Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts3, 2007, § 2 Rn. 217.

11 Oelke, BKR 2006, 7; Bacher/Keppler, Der Entry Standard der Deutschen Börse, 2006, S. 26.

12 Steinbach/Bramhoff, AG 2009, R222 ff.; Fey/Kuhn, AG 2012, R45, R46; v. Rosen, BB 2010, Nr. 46, Die erste Seite.

13 Anlegerschutz ist im Sinne eines überindividuellen Anlegerschutzes zu verstehen, vgl. Schwartz, Anlegerschutz im Freiverkehr, 2006, S. 36, 41-44; Fleischer, Gutachten F für den 64. Deutschen Juristentag, 2002, F19.

14 Effizient ist die Preisbildung, wenn sie den inneren Wert der gehandelten Güter widerspiegelt.

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durch die grundlegenden Modelle der adversen Selektion15 und Effizienzhypothese16 dargelegt.17 Im Börsenhandel wird dieser Mechanismus zusätzlich durch die ökonomische Besonderheit geprägt, dass es sich bei Wertpapieren um Vertrauenswerte handelt.18 Ein vernünftiger Anleger erwirbt sie nur, wenn er positive Informationen über die anfängliche Glaubwürdigkeit und spätere Realisierung der Geldversprechen hat.19 Der Freiverkehr kann sich diesen wirtschaftstheoretischen Grundlagen nicht entziehen. Zwar führt ein Mehr an Publizitätsvorschriften nicht per se zu langfristig höherer Funktionalität und Liquidität. Insofern formulierte Alcock treffend: „Over-regulation can be just as damaging as under-regulation“.20 Jedoch lässt sich – auch mit Blick auf verschiedene empirische Studien – festhalten, dass ein Mindestmaß an Transparenzregeln unumgänglich ist.21

Demgegenüber steht das erklärte Ziel des Open Market, Unternehmen, insbesondere kleinere und mittelgroße Unternehmen (KMU), einen kostengünstigen Zugang zum Kapitalmarkt mit niedrigen regulatorischen Anforderungen zu ermöglichen.22 Dass dieses Interesse wirtschaftspolitisch weiterhin aktuell ist, zeigen die jüngeren Initiativen des Wirtschaftsministeriums. Es sieht die Konzipierung eines Freiverkehrshandelsplatzes vor, der durch vereinfachte Strukturen stärker auf die Risikokapitalversorgung wachstumsorientierter Unternehmen ausgerichtet ist.23

Wo genau das kritische Mindestmaß an informatorischen Pflichten liegt, kann hier abstrakt nicht untersucht werden.24 Dafür, dass es bisher jedenfalls nicht erreicht ist, sprechen aber die empirischen Ergebnisse der letzten Jahre: Die Zahl der Missbrauchsfälle ist rasant gestiegen. Während im Jahr 2010 noch 28 Manipulationen festgestellt wurden, waren es ein Jahr später mehr als doppelt so viele.25 2012 wurden schließlich 63 Fälle registriert und damit 53 mehr als zur selben Zeit im regulierten Markt.26 Auch die Performancewerte des Entry Standard verschlechterten sich, während das Anlagerisiko zunahm.27 Im Jahr 2012 konnten schließlich nur noch drei Börsengänge verzeichnet werden.28

Für die Regelungspraxis im Entry Standard muss somit im Ergebnis Ähnliches gelten wie für den regulierten Markt: Ein erfolgreicher und sicherer Handelsplatz lässt sich im heutigen Marktumfeld nur auf der Grundlage eines umfassenden und effektiv implementierten Publizitätssystems errichten.

C. Die Zwitternatur des Entry Standard

Das Transparenzsystem im Entry Standard basiert auf einem Zusammenschluss von staatlichen Vorgaben und privatrechtlichen Vertragsbedingungen. Erstere finden sich in unterschiedlichen Gesetzen des Handels-, Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrechts;29 letztere werden durch die DBAG erlassen und sind als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB-Freiverkehr) zu qualifizieren.30

In entscheidenden Aspekten wird der Freiverkehr vom gesetzlichen System ausgeklammert. Dies wird jeweils durch die tatbestandliche Anknüpfung der für den Börsenhandel maßgeblichen Vorschriften (vgl. z.B. § 21 Abs. 2 WpHG) an eine „Zulassung“ zum „Organisierten Markt“ erreicht.31 Unanwendbar sind insbesondere die Regelungen zur Ad-hoc- und die Beteiligungspublizität. Unklarheiten bestehen weiterhin in Zusammenhang mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Einbeziehung in den Entry Standard eine gesetzliche Prospektpflicht auslöst. Im Grundsatz kann jedoch nicht von einer solchen Pflicht und entsprechenden Haftung ausgegangen werden.32

Ob die gesetzgeberische Entscheidung im Einzelnen gerechtfertigt ist, kann hier nicht näher beleuchtet werden. Die gewichtigeren Gründe sprechen m.E. dagegen.33Jedenfalls schafft sie eine Faktenlage, die den privaten Marktveranstalter in Anbetracht des dargelegten Anlegerschutzinteresses zu einer Ausgestaltung drängt. Am 1.7.2012 reagierte die DBAG schließlich mit der Neuausrichtung des Open Market. Das Ziel bestand darin, gegen die „massiven und häufigen Verdachtsfälle auf Marktmanipulation“34 vorzugehen.35 Ob sie einen effektiven Transparenzkanon schaffen konnte, der insbesondere die


15 Akerlof, The Quarterly Journal of Economics 1970, Vol. 84, No. 3, 488-500.

16 Fama, The Journal of Finance 1970, Vol. 25, No. 2, 383-417.

17 Vgl. Göres, in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2005, § 31 Rn. 1; vgl. auch Kümpel/Veil, Wertpapierhandelsgesetz2, 2005, S. 21.

18 Hirte/Heinrich, in: Hirte/Möllers (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpHG2, 2014, Einl. Rn. 16; Fleischer (Fn. 13), F23.

19 Fleischer (Fn. 13), F23; Kalss, Anlegerinteressen, 2001, S. 164.

20 Alcock, The Financial Services and Markets Act 2000, § 1.6.1, S. 15.

21 Vgl. Fleischer (Fn. 13), F23; Fleischer, ZGR 2002, 757, 762-763; La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, Journal of Finance 2000, Vol. 55, No. 1, 1-33.

22 DBAG, Deutsche Börse positioniert Freiverkehr neu, abrufbar unter: http://deutsche-boerse.com/dbg/dispatch/de/listcontent/gdb_ navigation/press/10_Latest_Press_Releases/Content_Files/13_press/Oktober_ 2005/db_news_open-market_101005.htm?newstitle=deutscheboersepo-sitioniertfrei&location=press.

23 FAZ v. 19.8.2013, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/finanzen/ aktien/wiederbelebung-des-neuen-markts-deutsche-boerse-druckst-he-rum-12537880.html.

24 Vgl. dazu etwa Werner, Ein Publizitätskonzept, 2011.

25 BaFin, Jahresbericht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, 2011, S. 197, abrufbar unter: http://www.bafin.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Jahresbericht/dl_jb_2011.pdf?__blob=publication File&v=6.

26 BaFin, Jahresbericht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, 2012, S. 176, abrufbar unter: http://www.bafin.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Jahresbericht/dl_jb_2012.pdf?__blob=publication File&v=3.

27 Tesch, AG 2010, R104, R105; BaFin (Fn. 26), S. 176.

28 Handelsblatt v. 19.8.2013, abrufbar unter: http://www.handelsblatt.com/ politik/deutschland/initiative-des-wirtschaftsministers-roesler-will-neu-en-markt-wiederbeleben/8655988.html;

29 Vgl. z.B. § 20 Abs. 1 S. 1 AktG, § 325 Abs. 1 S. 1 HGB, § 14 Abs. 1 WpHG.

30 Vgl. Schwark, in: Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar4, 2010, § 48 BörsG Rn. 3; Bezug genommen wird hier auf die AGB-Freiverkehr in der Version vom 26.7.2013.

31 Zum Merkmal „Zulassung“ vgl. Schlüter (Fn. 2), Teil G Rn. 266; Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Fn. 30), § 2 WpHG Rn. 120; zum Merkmal „Organisierter Markt“ vgl. Kumpan, in: Schwark/Zimmer (Fn. 30), § 2 WpHG Rn. 120; RegBegr. BT-Drucks. 12/6679, S. 45; v. Klitzing, Die Ad-hoc-Publizität, 1999, S. 63; a.A. Hopt, ZGR 1991, 17, 41; Storm, Alternative Freiverkehrssegmente im Kapitalmarktrecht, 2010, S. 287.

32 Vgl. Leuering/Simon, NJW-Spezial 2006, 27; Ritz/Zeising, in: Just/Voß/Ritz/Zeising (Hrsg.), Wertpapierprospektgesetz und EU-Prospektverordnung, § 2 WpPG Rn. 155-156.

33 So auch Gehrt, Die neue Ad-hoc-Publizität nach § 15 Wertpapierhandelsgesetz, 1997, S. 118-119; Schäfer, ZGR 2006, 40, 47; Schwartz (Fn. 13), S. 102; a.A. zur Ad-hoc-Publizität Assmann, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz, Kommentar6, 2012, § 15 Rn. 46.

34 DBAG, Neusegmentierung der Aktienmärkte, abrufbar unter: http://www.boerse-frankfurt.de/de/om.

35 Dazu Scharpf/v. Wittich, AG 2012, R93; Teigelack, BB 2012, 1361, 1362.

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gesetzlichen Leerstellen zu schließen vermag, soll im Folgenden untersucht werden.

D. Das Vertragliche Transparenzsystem im Entry Standard

I. Quasi-ad-hoc-Publizität36

Eine entscheidende Neuerung im Vertragswerk des Entry Standard betrifft die Mitteilungspflicht des Emittenten. Nach § 19 Abs. 1 lit. c) aa) S. 1 AGB-Freiverkehr müssen „wesentliche Informationen, die ihn oder seine Wertpapiere unmittelbar betreffen“, auf der Webseite des Unternehmens bekannt gemacht und an die DBAG übermittelt werden.

Um den Inhalt und die Bedeutung dieser Pflicht zu verstehen, muss zunächst die Formulierung „wesentliche Informationen“ untersucht werden. Es fällt auf, dass der Begriff „Tatsachen“ in § 17 Abs. 2 lit. a) S. 1 AGB-Freiverkehr a.F. durch „Informationen“ ersetzt wurde. Damit fand eine Angleichung an den Gesetzeswortlaut in § 13 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 WpHG statt. Diese Angleichung wird dadurch verstärkt, dass nach dem neuen Regelwerk nicht mehr bloß diejenigen Informationen relevant sind, die den Emittenten und seine „Vermögens- und Finanzlage“ bzw. seinen „allgemeinen Geschäftsverlauf“ betreffen (§ 17 Abs. 2 lit. a) S. 1 AGB-Freiverkehr a.F.). Vielmehr sind auch solche Informationen maßgeblich, die die „Wertpapiere“ des Emittenten berühren. Nach § 13 Abs. 1 S. 1 WpHG sind Insiderinformationen solche, die sich „auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf die Insiderpapiere selbst beziehen“. Die Ähnlichkeit zwischen der vertraglichen und gesetzlichen Regelung ist auffällig und muss entsprechend gewürdigt werden. Durch die detaillierte terminologische Anpassung, die die DBAG vorgenommen hat, kann das gesetzliche Verständnis von Insiderinformationen für den Entry Standard fruchtbar gemacht werden.37

Jedoch begründet § 13 WpHG keine Mitteilungspflicht. Eine solche ergibt sich auf gesetzlicher Ebene aus § 15 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 WpHG. Auch mit dieser Vorschrift und der in § 15 Abs. 1 S. 3 WpHG erfolgten Konkretisierung weist § 19 lit. c) aa) S. 1, 2 AGB-Freiverkehr jedoch eine unverkennbare Ähnlichkeit auf. Der einzige relevante Unterschied besteht darin, dass nach der vertraglichen Regelung auch Informationen zu veröffentlichen sind, die sich auf die „Wertpapiere“ beziehen. Der Anwendungsbereich von § 15 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 WpHG kann trotz des unmittelbaren Zusammenhangs mit § 13 WpHG nicht auf diesen Fall ausgedehnt werden.38 Nach objektiv-generalisierender Auslegung39 kann jedoch geschlossen werden, dass unter dem neuen Vertragsregime nunmehr beispielsweise auch Informationen über zukünftige Umstände40 als mitteilungspflichtig gelten, soweit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie tatsächlich eintreten.41

Eine Meldepflicht für das Über- oder Unterschreiten von bestimmten Beteiligungsschwellen wird nach den geltenden Vertragsbedingungen dadurch erreicht, dass auch Informationen mitteilungspflichtig sind, die sich auf die „Wertpapiere“ des Emittenten beziehen.42 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Einbeziehungsvertrag nur gegenüber dem Emittenten gilt. Für einen außenstehenden Investor kann somit keine Meldepflicht begründet werden. An diesem Umstand wird eine effektive Beteiligungstransparenz jedoch scheitern. Denn von Veränderungen in der Beteiligungsstruktur wird in der Regel nicht der Emittent, sondern nur der Anteilskäufer bzw. -verkäufer etwas erfahren. Ausnahmen bestehen nur in seltenen Fällen, wie beim Rückkauf eigener Aktien oder bei anstehenden Übernahmen.43 Der entscheidende Sinn und Zweck der Beteiligungspublizität, Beherrschungsverhältnisse aufzuzeigen, feindlichen Übernahmen vorzubeugen und Anlegermisstrauen zu verhindern, wird im Entry Standard damit im Ergebnis nicht erreicht.44

Es zeigt sich, dass die Anpassungen der AGB-Freiverkehr zu einer strengeren und präziseren Mitteilungspflicht im Entry Standard geführt haben.45 Positiv hervorzuheben ist, dass mit der Angleichung des Vertragstextes an den Gesetzestext die Auslegung der Klauseln vereinfacht wurde. Negativ erscheint die weiterhin wirkungsschwache Ausgestaltung der Beteiligungspublizität. Da es hier letztlich um das Problem der Verpflichtung Dritter, namentlich der einzelnen Anleger, geht, erscheint eine Lösung auf privatrechtlicher Ebene fernliegend. Es obliegt hier dem Gesetzgeber, diese Leerstelle zu schließen.

II. Markteintritts- und Regelpublizität

Die wichtigste Neuregelung bei der Einbeziehungspublizität liegt bei § 17 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Abs. 3 lit. a) AGB-Freiverkehr. Hiernach muss der Emittent zur Einbeziehung in den Entry Standard ein öffentliches Angebot abgeben und einen nach den Vorschriften des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) gültigen und gebilligten Wertpapierprospekt vorlegen. Damit wurde eine klare Regelung geschaffen, die direkt an das WpPG anknüpft. Die Unsicherheiten, die zuvor hinsichtlich der Prospektpublizität im Entry Standard bestanden, werden ausgeräumt und die entsprechende Gesetzeslücke geschlossen. Mit der Abgabe eines öffentlichen Angebots wird nun unmittelbar die gesetzliche Haftung nach § 22 WpPG i.V.m. § 21 WpPG ausgelöst.

Im Rahmen der Regelpublizität betrifft die entscheidende Neuerung die Pflicht zur Veröffentlichung und Übermittlung eines Halbjahresabschlusses und Zwischenlageberichts.46 Durch die Abschaffung des „Zwischenberichts“47 wurde das Vertragswerk von einer vagen und missbrauchsanfälligen Figur bereinigt.48 Nunmehr orientieren sich sowohl der Jahres- als auch der Halbjahresbericht an der Terminologie und Konzeption des Gesetzes (vgl. §§ 37v f. WpHG, sowie


36 Schwartz (Fn. 13), S. 177.

37 Vgl. Veil, in: Burgard u.a. (Hrsg.), FS Schneider, 2011, S. 1313, 1321.

38 Versteegen, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 18), § 15 Rn. 84; Pfüller, in: Fuchs (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz, Kommentar, 2009, Vor § 15 Rn. 121; a.A. Assmann, in: Assmann/Schneider (Fn. 33), § 15 Rn. 56.

39 Zur Auslegung von AGB vgl. BGH, NZM 2010, 664; Wendtland, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar, BGB, Stand: 27. Edition, 1.5.2013, § 133 Rn. 23, 28.

40 Z.B. Gewinnprognosen; vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider (Fn. 33), § 13 Rn. 27.

41 Vgl. § 13 Abs. 1 S. 3 WpHG; zum alten Vertragswerk Veil (Fn. 37), S. 1313, 1320; vgl. zur Regelung im Kapitalmarktrecht Zimmer/Kruse, in: Schwark/Zimmer (Fn. 30), § 15 WpHG Rn. 32.

42 Dies ergibt eine Auslegung anhand der Dogmatik zur gesetzlichen Konzeption, vgl. Versteegen, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 18), § 15 Rn. 135; Pfüller, in: Fuchs (Fn. 38), § 15 Rn. 128, 179-180.

43 Dehlinger/Zimmermann, in: Fuchs (Fn. 38), Vor §§ 21 bis 30 Rn. 33-34; Pfüller, in: Fuchs (Fn. 38), § 15 Rn. 179-180.

44 Vgl. Schwark, in: Schwark/Zimmer (Fn. 30), Vor § 21 WpHG Rn. 4.

45 Vgl. auch Born, AG 2012, R226, R227-R228.

46 § 19 Abs. 1 lit. b) aa) S. 1 AGB-Freiverkehr.

47 § 17 Abs. 2 lit. c) AGB-Freiverkehr a.F.

48 Vgl. Veil (Fn. 37), S. 1313, 1321.

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§§ 264 ff. HGB). Auslegungsschwierigkeiten sind damit weitgehend behoben. Auch besteht demzufolge wenig Spielraum für eine missbräuchliche Informationsweitergabe der Emittenten, wie sie insbesondere im Neuen Markt zu schwerwiegenden Konsequenzen geführt hat.49

III. Durchsetzungsmechanismen

Die inhaltliche Konzeption des gegenwärtigen Vertragswerks im Entry Standard erweist sich als weitgehend konsistent. Daran schließt sich die Frage an, inwiefern ihre Durchsetzbarkeit gewährleistet ist. Gerade mit Blick auf den Neuen Markt, in dem ein vergleichbar strenges Regelwerk mangels Umsetzungsmechanismen wirkungslos blieb, verdient dieser Aspekt besondere Aufmerksamkeit.

Ein funktionaler Durchsetzungsapparat basiert auf zwei Säulen: Zum einen muss die Einhaltung der bestehenden Pflichten überwacht werden, zum anderen sind etwaige Verstöße zu sanktionieren.50

1. Aufsicht

Die Beaufsichtigung der Emittenten hat sich mit der Neufassung der AGB-Freiverkehr maßgeblich geändert. Während zuvor der Handelsteilnehmer mit den entscheidenden Überwachungskompetenzen betraut war51, tritt mit der vertraglichen Einbindung des Emittenten nunmehr die DBAG selbst in den Vordergrund. Zugleich hat sich die Rolle des Handelspartners weitgehend auf die Begleitung des Einbeziehungsverfahrens und die Durchführung der Handelsgeschäfte reduziert.52

Aus diesem Strukturwandel ergibt sich die Vereinheitlichung und zunehmende Institutionalisierung der Aufsicht. Die Emittenten müssen alle Informationen in Textform direkt an die DBAG weiterleiten.53 Diese ist ferner berechtigt, Auskünfte anzufordern, die über das vertraglich festgelegte Maß hinausgehen. Andererseits kann sie den Emittenten in Einzelfällen auch von seiner Informationspflicht befreien.54 Das bereitgestellte Informationsmaterial muss sie auf Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit überprüfen.55 Zunehmend nimmt die DBAG damit die Rolle einer Kontrollinstanz ein, die in ihren Ansätzen an das Wesen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erinnert.56 Die Erfüllung der neuen Überwachungspflichten, die sich die DBAG im Rahmen der Geschäftsbedingungen auferlegt hat, ist Voraussetzung für die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Handels i. S. v. § 48 Abs. 1 S. 1 BörsG und unterliegt ihrerseits der Aufsicht der öffentlich-rechtlichen Börse. Eine defizitäre Umsetzung der Kontrollaufgaben erscheint vor diesem systembedingten Motivationshorizont fernliegend.

Nach der alten Vertragsfassung bestand keine solche Verantwortungsstruktur. Die Überwachungsaufgaben wurden an eine Vielzahl von Handelsteilnehmern delegiert, die Reichweite dieser Aufgaben war nicht abschließend bestimmt und die Haftungsmöglichkeiten für eine unzulängliche Erfüllung blieben faktisch begrenzt.57 Eine erhöhte Missbrauchsanfälligkeit war damit vorprogrammiert. Im Gegensatz dazu ist die neue Überwachungsinstallation mit der DBAG als „BaFin-light“ zu begrüßen.

2. Sanktionsmittel

Verhaltensgebote und deren Überwachung sind nur sinnvoll, wenn die Möglichkeit besteht, Zuwiderhandlungen aktiv entgegenzuwirken.58 Im Entry Standard kommen im Wesentlichen vier Sanktionsmittel in Betracht. Ihre Ausrichtung wird maßgeblich durch die unmittelbare Vertragsbindung zwischen Emittent und Freiverkehrsveranstalter geprägt. Indem folglich das allgemeine Schuld- und Vertragsrecht berücksichtigt werden müssen, ergibt sich ein interessantes Geflecht aus zivilrechtlichen Grundlagen einerseits und kapitalmarktorientierten Verständnislinien andererseits.

a) Vertragsstrafe

Nach § 20 Abs. 1 AGB-Freiverkehr kann die DBAG Vertragsstrafen verhängen, wenn der Emittent oder Handelsteilnehmer die vertraglichen Publizitätspflichten nicht, nicht fristgerecht oder unvollständig erfüllt.59 Während gegen die Konzeption der Vertragsstrafenregelung an sich keine Bedenken erhoben werden können,60 muss die konkrete Effektivität dieses Durchsetzungsinstruments hinterfragt werden. Zwar stellt es insbesondere im Gegensatz zu einer gerichtlichen Durchsetzung von Veröffentlichungspflichten ein flexibles und schnelles Abschreckungsmedium dar,61 jedoch überrascht in der gegenwärtigen Ausgestaltung der AGB-Freiverkehr die geringe Höhe der angedrohten Strafen.

Nach § 20 Abs. 2 AGB-Freiverkehr müssen bei einem vorsätzlichen Verstoß gegen die Mitteilungspflichten nach § 19 Abs. 1 lit. c) AGB-Freiverkehr nur maximal 12.500 Euro gezahlt werden.62 Bei fahrlässigem Handeln ist die Strafe jeweils auf die Hälfte reduziert.63 Zwar ist es im Sinne einer ordnungsgemäßen Fortführung des Handels wichtig, dass die erforderliche Kosten-Nutzen-Relation gewahrt und der Emittent nicht überfordert wird.64 Jedoch muss die Vertragsstrafe nach ihrer Grundidee eine hinreichende Abschreckungswirkung erzielen können. Wenn die Maximalstrafe für Unternehmen, die im Entry Standard auch als KMU ein Eigenkapital von mindestens 750.000 Euro aufweisen müssen, maximal 6.250 Euro für einen fahrlässigen Verstoß gegen die Quasi-ad-hoc-Publizität beträgt, so ist diese Abschreckungswirkung zweifelhaft. Verstärkt wird dieser Eindruck durch einen Vergleich mit dem regulierten Markt. Hier werden Verstöße mit Bußgeldstrafen von bis zu 1 Mio. Euro geahndet. Der europäische Gesetzgeber hält auch diese Regelung für unzulänglich und plant mit dem Marktmissbrauchs-VO-E65 eine zusätzliche Verschärfung.66


49 Vgl. Merkt (Fn. 8), G107-G108; Hansen, AG 2002, R200, R202.

50 Vgl. § 4 Abs. 2 WpHG; Seyfried, in: Kümpel/Wittig (Hrsg.), Bank- und Kapitalmarktrecht4, 2011, Rn. 3.17, 3.20; Kümpel (Fn. 4), Rn. 401.

51 Vgl. § 17 AGB-Freiverkehr a.F.; Harrer/Müller, WM 2006, 653, 658.

52 Vgl. §§ 5, 6, 16, 17 Abs. 2 u. Abs. 6 AGB-Freiverkehr.

53 Vgl. z.B. § 19 Abs. 1 lit. c) aa), bb) AGB-Freiverkehr.

54 Vgl. §§ 9 Abs. 1 u. Abs. 2, 17 Abs. 2 a.E.; § 19 Abs. 4 AGB-Freiverkehr.

55 Vgl. §§ 9 Abs. 2 S. 2, 17 Abs. 2 S. 4, 19 Abs. 8 AGB-Freiverkehr.

56 Vgl. z.B. § 4 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 u. 2 WpHG.

57 Vgl. Schlitt/Schäfer, AG 2006, 147, 153.

58 Vgl. Bhattacharya/Daouk, Journal of Finance 2002, Vol. 57, No. 1, 75; Hopt, ZGR 1991, 17, 55.

59 Vgl. §§ 20, 21 AGB-Freiverkehr.

60 Insbesondere halten sie einer AGB-rechtlichen Prüfung stand.

61 Vgl. Dehlinger, Vertragliche Marktsegmentregulierung an Wertpapierbörsen, 2003, S. 116 (dortige Fn. 4), 117.

62 Vgl. § 20 Abs. 2 AGB-Freiverkehr.

63 § 20 Abs. 3 AGB-Freiverkehr.

64 Vgl. v. Klitzing (Fn. 31), S. 11; Struck, Ad-hoc-Publizitätspflicht zum Schutz der Anleger vor vermögensschädigendem Wertpapierhandel, 2002, S. 86-87.

65 Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), 2011/0295 (COD).

66 Vgl. § 39 Abs. 4 WpHG; Assmann, in: Assmann/Schneider (Fn. 33), § 15 Rn. 285; Art. 26 Abs. 1 lit. l), m) Marktmissbrauchs-VO-E; vgl. auch Walla, BB 2012, 1358, 1360.

Fischer, Publizitätspflichten im Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse (BLJ 2014, 4)8

b) Shaming67

Das Vertragswerk des Entry Standard sieht ein zweites wichtiges Sanktionsinstrument vor. Nach § 22 AGB-Freiverkehr ist die DBAG berechtigt, eine verhängte Vertragsstrafe unter Nennung des Emittenten und des konkreten Pflichtverstoßes zu veröffentlichen.68 Die involvierten Unternehmen sehen sich durch eine solche Maßnahme öffentlich an den Pranger gestellt.69 Da hierin die Gefahr eines Ansehensverlustes und einer verschlechterten Marktstellung liegt, kann der Shaming-Ansatz erhebliche Abschreckungswirkung erzeugen. Teilweise wird dieser „gesellschaftlichen Missbilligung“70 höhere Bedeutung beigemessen als der Vertragsstrafe selbst. Kahan formulierte dazu entsprechend: „Fines are insufficiently expressive of condemnation.“71 Im regulierten Markt ist dieser Ansatz in § 40b Abs. 1 S. 1 WpHG verankert.72

c) Kündigung

Die wohl schwerwiegendste Maßnahme, die der Freiverkehrsveranstalter ergreifen kann, ist die Beendigung des Vertragsverhältnisses zum Emittenten.73 Die reformierten Geschäftsbedingungen des Entry Standard geben sowohl der DBAG als auch dem Emittenten ein ordentliches und außerordentliches Kündigungsrecht, dessen Ausübung dazu führt, dass sämtliche Rechte und Pflichten des Emittenten in Zusammenhang mit der Einbeziehung in den Entry Standard entfallen.74

Das Recht zur ordentlichen Kündigung erzeugt Zweifel. Könnte der Freiverkehrsveranstalter den Notierungsvertrag nach Belieben aufheben, bestünde keinerlei Gewährleistung mehr für eine längerfristige Handelbarkeit der ausgegebenen Aktien. Diese technisch institutionalisierte und fortlaufende Handelbarkeit von Wertpapieren ist jedoch die Grundfunktion des Entry Standard und eine wesentliche Ausgangsmotivation des Emittenten für das Wagnis der Einbeziehung.75 Das Kapitalmarktgeschehen, insbesondere unter dem Dach der Börse, beruht auf dem grundlegenden Vertrauen des Anlegers, die Aktien, die er heute kauft, morgen wieder verkaufen zu können.76 Dieses Vertrauen wird hinfällig, wenn die DBAG grundlos kündigen kann.77 Darüber kann auch eine Kündigungsfrist, zumindest hinsichtlich längerfristiger Anlagen, nicht hinweghelfen. Bei verkehrsgerechter Betrachtung deutet vieles darauf hin, dass § 23 Abs. 1 AGB-Freiverkehr den Emittenten i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen benachteiligt.78

Daneben besteht jedoch nach § 23 Abs. 2 AGB-Freiverkehr ein fristloses Kündigungsrecht aus wichtigem Grund. Durch die Regelung wird weder spezifiziert, was ein wichtiger Grund ist, noch wird Näheres zu dem Kündigungsablauf gesagt. Da jedoch die Terminologie von § 314 Abs. 1 S. 1 BGB verwendet wird und dieser mangels Spezialnorm79 auf das Dauerschuldverhältnis zwischen Emittent und DBAG anwendbar ist, kann die Vertragsklausel im Lichte des allgemeinen Schuldrechts ausgelegt und verstanden werden.

Unabhängig von der Gültigkeit der entsprechenden Klauseln im Entry Standard ist die Eignung einer Vertragskündigung als Durchsetzungsmaßnahme grundsätzlich zu bezweifeln. Nicht nur der Emittent, sondern auch die Anleger sind hiervon unmittelbar betroffen.80 Es wird Enttäuschung produziert, Vertrauen zerstört und damit wird der Markt letztlich insgesamt in seinem Ruf geschädigt. Über diese Problematik hilft auch eine befristete Aussetzung des Handels als Alternative zur Kündigung nicht hinweg.81

d) Zivilrechtliche Haftung gegenüber Dritten

Zuletzt könnte die Durchsetzbarkeit der Publizitätspflichten auch auf der Abschreckungswirkung einer potentiellen Haftung gegenüber geschädigten Anlegern beruhen.82 Als Hauptanknüpfungspunkt für eine solche Haftung hat sich die Ad-hoc-Publizität herausgestellt.83 Für den regulierten Markt wird hier ein möglicher Schadensersatzanspruch durch §§ 37b, 37c WpHG begründet.84 Angesichts der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung zur Begrenzung des Anwendungsbereiches dieser Vorschriften (vgl. § 37b Abs. 1, § 37c Abs. 1 WpHG) scheidet eine analoge Anwendung auf den Freiverkehr allerdings aus.85

Die infrage kommenden Rechtsinstitute des BGB, insbesondere der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und das Deliktsrecht, scheiden im Ergebnis als effektive Durchsetzungsmechanismen ebenfalls aus.86


67 Vgl. Vogel, in: Assmann/Schneider (Fn. 33), § 40b Rn. 3; Altenhain, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 18), § 40b Rn. 3.

68 Auch nach dem alten Vertragswerk war dieser Mechanismus gemäß § 22 AGB-Freiverkehr a.F. vorgesehen. Da jedoch der Handelspartner ins Visier genommen wurde, war die Abschreckungswirkung für den Emittenten begrenzt.

69 Vgl. Fleischer, ZGR 2004, 437, 476; Altenhain, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 18), § 40b Rn. 4.

70 Fleischer, ZGR 2004, 437, 476.

71 Kahan, The University of Chicago Law Review 1996, Vol. 63, No. 2, 591, 620.

72 Vogel, in: Assmann/Schneider (Fn. 33), § 40b Rn. 4; Schwartz (Fn. 13), S. 190.

73 Vgl. RegBegr. BT-Drucks. 10/4296, S. 16; Heidelbach, in: Schwark/Zimmer (Fn. 30), § 39 BörsG Rn. 9.

74 § 23 AGB-Freiverkehr.

75 Vgl. Wolf, WM 2001, 1785, 1788; Fink, Der Freiverkehr, 2013, S. 237; Damrau, Selbstregulierung im Kapitalmarktrecht, 2003, S. 361.

76 Vgl. Beck, in: Schwark/Zimmer (Fn. 30), § 2 BörsG Rn. 6, der auf die erforderliche Regelmäßigkeit des Börsenhandels hinweist; vgl. auch Damrau (Fn. 75), S. 361; Dehlinger (Fn. 61), S. 148.

77 Vgl. Damrau (Fn. 75), S. 361; Dehlinger (Fn. 61), S. 148.

78 So auch Dehlinger (Fn. 61), S. 148; Damrau (Fn. 75), S. 361; ähnlich OLG Frankfurt/M, DB 2002, 936, 938: liegt keine Regelung zur ordentlichen Kündigung im Einbeziehungsvertrag vor, sei die Annahme, der Freiverkehrsveranstalter könne „das Dauerschuldverhältnis ohne konkreten Anlass kündigen, […] lebensfremd“; a.A. Wolf, WM 2001, 1785, 1788-1789.

79 Vgl. Dehlinger (Fn. 61), S. 106 ff., der das Verhältnis zwischen DBAG und Emittent als Vertrag eigener Art einordnet, sodass das allgemeine Schuldrecht zur Anwendung kommt; a.A. Wolf, WM 2001, 1785, 1786, der vornehmlich das Dienstvertragsrecht zur Anwendung kommen lassen will; so auch OLG Frankfurt/M, DB 2002, 936, 937.

80 Vgl. Schwartz (Fn. 13) , S. 179.

81 Vgl. hierzu Dehlinger (Fn. 61), S. 118 ff.

82 Veil (Fn. 37), S. 1313, 1324; Schlitt/Schäfer, AG 2006, 147, 154.

83 OLG München, ZIP 2002, 1989; Möllers/Leisch, BKR 2001, 78; Fleischer/Kalss, AG 2002, 329.

84 Vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider (Fn. 33), § 15 Rn. 307; Oulds, in: Kümpel/Wittig (Fn. 50), Rn. 14.270.

85 Sethe, in: Assmann/Schneider (Fn. 33), §§ 37b, 37c Rn. 38; Beck, in: Schwark/Zimmer (Fn. 30), § 2 BörsG Rn. 5; teilweise abweichend Möllers/Leisch, NZG 2003, 112, 113; Möllers/Leisch, in: Kölner Komm WpHG (Fn. 18), §§ 37b, 37c Rn. 94.

86 Für den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird es insbesondere an der Erkennbarkeit des geschützten Personenkreises fehlen. Vgl. Grüneberg, in: Palandt, Beck’scher Kurzkommentar, Bürgerliches Gesetzbuch72, 2013, § 328 Rn. 18; Schlitt/Schäfer, AG 2006, 147, 154; Storm (Fn. 31), S. 301; eine Haftung nach Deliktsrecht scheitert daran, dass Publizitätspflichten im Entry Standard weder Verkehrspflichten (§ 823 Abs. 1 BGB) bzw. Schutzgesetze (§ 823 Abs. 2 BGB) sind, noch kann den Emittenten allgemein bei einem Vertragsverstoß Schädigungsvorsatz gegenüber den einzelnen Anlegern gemäß § 826 BGB unterstellt werden. Es kommt hier auf eine Einzelbetrachtung an. Vgl. Dehlinger (Fn. 61), S. 130 ff.; OLG München, BKR 2002, 1096, 198-199; Storm (Fn. 31), S. 302-303.

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E. Fazit

(1) Effizienztheoretische und empirische Ergebnisse offenbaren, dass die Funktionsfähigkeit des Entry Standard auf ein umfassendes Publizitätsregime angewiesen ist. Das ursprüngliche Ideal eines unabhängigen Handelsplatzes muss dahinter zurücktreten.

(2) Auf gesetzlicher Ebene zeigen sich im Bereich der Anlass- und Markteintrittspublizität systemwidrige Leerstellen, die den privaten Veranstalter zu einer entsprechenden Ausgestaltung zwingen.

(3) Das reformierte Vertragswerk überzeugt durch zwei maßgebliche Änderungen: Erstens erlaubt die direkte Vertragsbindung zwischen DBAG und Emittent eine verbesserte Aufsichts- und Sanktionsstruktur. Zweitens schafft die terminologische und strukturelle Orientierung des Vertragswerks am Gesetz Erleichterungen bei dessen Auslegung und Anwendung. Im Bereich der Ad-hoc- und Prospektpublizität hat dies weitgehend zu einer Schließung der gesetzlichen Leerstellen geführt. Eine effektive Beteiligungspublizität besteht dagegen nicht.

(4) Auf Durchsetzungsebene stehen mit der Vertragsstrafe und dem Shaming-Prinzip grundsätzlich zwei effektive Instrumente zur Verfügung. Die Vertragsstrafen können jedoch in ihrer begrenzten Höhe keine hinreichende Abschreckungswirkung erzeugen. Das vertragliche Kündigungsrecht ist in seiner AGB-rechtlichen und ökonomisch-funktionalen Wirksamkeit höchst zweifelhaft.

(5) Trotz einiger Schwierigkeiten bei der Umsetzung verdient die Initiative der DBAG, im Entry Standard ein Publizitätsregime zu schaffen, das sich in Umfang und Ausgestaltung am regulierten Markt orientiert, positive Anerkennung.