Der Open-House-Vertrag vor dem EuGH

Zur Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts auf Arzneimittelrabattverträge nach § 130a SGB V

Beatrice Kimmig, LL.B.*

A. Einleitung

Im Sommer 2015 erregte das US-amerikanische Unternehmen Turing Pharmaceuticals großes Aufsehen, weil es über Nacht den Preis für ein HIV-Medikament um 5500% erhöht hatte. Statt 13,50 Dollar kostete es nunmehr 750 Dollar – pro Pille.1 Obwohl sich die Arzneimittelhersteller in Deutschland strengeren Grenzen ausgesetzt sehen, sind auch hier steigende Abgabepreise für Medikamente zu verzeichnen. 2016 lagen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen (GKK) für Arzneimittel bei rund 36 Milliarden Euro.2

Ein Instrument, um die Belastung gering zu halten, sind freiwillige Arzneimittelrabattverträge (ARV) zwischen den GKK und den Herstellern gem. § 130a VIII SGB V. Wie diese Verträge in der Praxis zustande kommen, war in den vergangenen Jahren umstritten. Die GKK hatten in mehreren Fällen keine kartellvergaberechtlichen Exklusivverträge abgeschlossen, sondern im sog. Open-House-Verfahren eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen zur Rabattvereinbarung zugelassen, sofern diese einen fixen Rabattsatz akzeptierten. Da das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) eine nichtexklusive Vergabe nicht kennt, erklärten die Vergabekammern des Bundes die Open-House-Verträge in einer Reihe von Nachprüfungsverfahren3 für kartellvergaberechtswidrig. Das OLG Düsseldorf wiederum wandte sich mit zwei Vorlagefragen an den EuGH.4 Dieser entschied im Juni 2016 im Fall Falk Pharma, dass das Kartellvergaberecht gar nicht anwendbar, das Open-House-Verfahren also zulässig sei.5

Die kartellvergaberechtliche Relevanz des Open-House-Vertrags ist Gegenstand dieses Beitrags, wobei eine kurze Darstellung der versicherungstechnischen Grundlagen (Teil A) den Einstieg erleichtert. Durch den Vergleich der unterschiedlichen Vertragsmodelle (Teil B) soll der Weg bereitet werden für eine teleologische Auslegung des Begriffs des öffentlichen Auftrags (Teil C). Obwohl sich dieser Beitrag auf Rabattverträge konzentriert, haben die Ergebnisse durchaus Bedeutung für jedwede Warenbeschaffung durch nichtexklusive Verfahren.

B. Die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln nach dem SGB V

I. Der Versorgungsanspruch gem. § 31 I 1 SGB V

In Konkretisierung des § 2 I 1 SGB V haben Versicherte im Krankheitsfall einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln gem. § 31 I 1 SGB V. Sie sind als Sachleistung zu gewähren, § 2 II 1 SGB V. Da § 34 I 1 SGB V den Anspruch auf verschreibungspflichtige Medikamente begrenzt, erfordert die Belastung der Krankenkasse eine ärztliche Verordnung, § 73 II Nr. 7 Alt. 1 SGB V.

II. Die Leistungsbeziehungen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern

Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist von vielschichtigen Leistungsbeziehungen geprägt, weil sich die GKK im Regelfall externer Leistungserbringer bedienen, um ihre Sachleistungspflicht gegenüber den Versicherten zu erfüllen. Im Sozialrecht bezeichnet man diese typische Versorgungskonstellation als „sozialrechtliches Dreieck“.6 Für den Bereich der Arzneimittel greift der Begriff jedoch zu kurz, weil sich mindestens fünf Akteure identifizieren lassen. Der Anspruch des Versicherten gem. § 31 I 1 SGB V wird zunächst durch den behandelnden Arzt konkretisiert, indem er ein bestimmtes Präparat bzw. Wirkstoff verordnet.7 Jedoch trifft erst der Apotheker, der zur Abgabe der Medikamente an den Versicherten öffentlich-rechtlich berechtigt und verpflichtet ist,8 die endgültige Auswahl des Arzneimittels. Am Beginn der Wertschöpfungskette stehen die pharmazeutischen Unternehmen, die die Apotheken ggf. über Großhändler beliefern und gleichzeitig direkte Beziehungen zu den GKK unterhalten. Diese Aufspaltung von medizinischem Fachwissen, Finanzierung und Produktion generiert Abhängigkeiten, die sich das SGB V mithilfe einer gezielten Anreizsteuerung zur wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten zunutze macht.

III. Sozialrechtliche Instrumente zur Kostendämpfung im Arzneimittelsektor

Mit dem Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung9 geht die Verantwortung einher, die Ressourcen


* Die Autorin ist Alumna der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Pollack, Drug Goes from §13.50 a Tablett to \$750, Overnight, New York Times, 20.9.2015, http://www.nytimes.com/2015/09/21/business/a-huge-overnight-increase-in-a-drugs-price-raises-protests.html?_r=0 (zuletzt aufgerufen 13.5.2017).

2 GKV Spitzenverband, Kennzahlen der gesetzlichen Krankenversicherung (Stand März 2017), Ausgaben für Arzneimittel, 1.-4. Quartal 2016 im Vergleich zum 1.-4. Quartal 2015, https://www.gkv-spitzenverband.de/media/grafiken/gkv_kennzahlen/kennzahlen_gkv_2016_q4/GKV_Kennzahlen_Booklet_Q4-2016_300dpi_2017-03-13.pdf (zuletzt aufgerufen 13.5.2017), S.7.

3 VK Bund, Beschl. v. 20.2.2014, VK 1-4/14; VK Bund, Beschl. v. 10.6.2011, VK 3-59/11; VK Bund, Beschl. v. 12.11.2009, VK 3-193/09; a.A. nun VK Bund, Beschl. v. 21.1.2015, VK 2-113/14.

4 OLG Düsseldorf, NZBau 2014, 654.

5 EuGH, Rs. C-410/14 – Falk Pharma, ECLI:EU:C:2016:399.

6 Sormani-Bastian, Vergaberecht und Sozialrecht: Unter besonderer Berücksichtigung des Leistungserbringungsrechts im SGB V, 2007, S. 1; Lange, Sozialrecht und Vergaberecht: Die Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts auf Sozialleistungsträger bei der sozialrechtlichen Leistungserbringung durch Dritte, 2001, S. 31.

7 von Dewitz, in: Rolfs u.a. (Hrsg.), Beck’scher Online Kommentar Sozialrecht (BeckOK)40, 2015, § 129 Rn. 4.

8 Mareck, in: Berchtold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, SGB V/ SGB XI, 2015, § 129 Rn. 3.

9 Vgl. § 1 S. 1, § 3 SGB V.

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möglichst effizient einzusetzen. Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, § 12 I 1 SGB V. Damit die einzelnen Parteien diese Grundsätze einhalten, bietet das SGB V ein System aus gesetzlich vorgeschriebenen und fakultativen Maßregeln.10

Im Versicherungsfall müssen Apotheker eines der drei preisgünstigsten11 wirkstoffgleichen Arzneimittel abgeben, sofern der Kassenarzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat, § 129 I 1 Nr. 1 SGB V (sog. Aut-idem-Regel). Bei Verstoß gegen die Substitutionspflicht muss der Apotheker mit einer sog. Retaxierung auf Null, einem Ausschluss seines Vergütungsanspruchs, rechnen, § 129 IV 1, II SGB V.

Die kostendämmenden Mechanismen gegenüber pharmazeutischen Unternehmen umfassen unter anderem zwingende Rabatte auf den Abgabepreis (ApU) nach § 130a I, Ia, II, IIIa, IIIb SGB V und das Einfrieren von Erstattungsbeträgen unterhalb des ApU nach § 35 SGB V (sog. Festbeträge). Besonderen wirtschaftlichen Druck entfalten aber die fakultativen Rabattverträge nach § 130a VIII SGB V, in denen sich die Hersteller und GKK auf eine Kostenerleichterung für bestimmte Generika12 einigen: Die GKK zahlen den Apotheken den ApU abzüglich der gesetzlichen Abschläge und Zuzahlungen der Versicherten, während die pharmazeutischen Unternehmen den GKK die Rabattbeträge erstatten, § 130a VIII 3 SGB V. Für die Hersteller lohnt sich das Geschäft, weil die Apotheken dem rabattierten Produkt im Rahmen ihrer Substitutionspflicht Vorrang einräumen müssen, § 129 I 3 SGB V, und zwar unabhängig davon, ob es tatsächlich das preisgünstigste ist. Der Anteil rabattierter Arzneimittel am Generikamarkt liegt daher seit 2009 bei mehr oder minder konstanten 70%.13 Die GKK wiederum erzielten durch die Verträge im Jahr 2016 einen Rabatterlös von 3,9 Mrd. Euro.14

C. Die Vertragsmodelle

I. Exklusivverträge und Open-House-Modell

Klassischerweise vergeben die GKK ihre ARV im offenen Verfahren nach den §§ 97 ff. GWB. Dazu teilen sie den Beschaffungsbedarf in Wirkstoff- und Gebietslose auf.15 Beim „AOK-Modell“ erhält dann jeweils nur ein Bieter pro Fachlos den Zuschlag, in Mehrpartnersystemen können es drei bis vier sein.16 Aus den eingegangenen Angeboten wählt die GKK das wirtschaftlichste aus, § 127 I 1 GWB, wobei als Zuschlagskriterium regelmäßig die erzielbare Ersparnis in Euro den Ausschlag gibt.

Beim Open-House-Modell dagegen setzt die GKK den Rabattsatz eigenmächtig fest und schließt mit jedem Unternehmen einen Rabattvertrag, das die Voraussetzungen ihres Angebots erfüllt. Der in Falk Pharma betroffene Vertrag z. B. sah einen Abschlag von 15% auf den ApU von Präparaten mit dem Wirkstoff Mesalazin vor.17 Während der zweijährigen Laufzeit (§ 130a VIII 6 SGB V) besteht ein jederzeitiges Beitrittsrecht, was das Open-House-Modell in die Nähe eines Zulassungsverfahrens rückt.18 Es soll vor allem das Risiko von Produktionsengpässen bzw. Lieferausfällen begrenzen und den GKK zeit- und kostenwendige Nachprüfungsverfahren gegen exklusive Vergabeentscheidungen ersparen;19 schließlich werden sie mit dem normalen ApU abzüglich der gesetzlichen Abschläge und Zuzahlungen belastet, solange kein gültiger Rabattvertrag vorliegt. Abgesehen davon soll der Open-House-Vertrag die Therapietreue der Patienten („Compliance“) erhöhen, indem er möglichst viele Präparate für substitutionsfähig (§ 129 I 3 SGB V) erklärt. Zu guter Letzt haben die Zulassungsverfahren auch eine gesamtwirtschaftliche Aufgabe: Nach Auslauf eines Wirkstoffpatents ermöglichen sie jedem Generikaunternehmen den Einstieg in die Versorgung. Exklusivverträge verengen den Markt und tendieren dazu, den Originalhersteller zu bevorzugen, insbesondere kurz nach der Freigabe des Wirkstoffs.20

II. Kritik am Open-House-Modell

Das Zulassungsverfahren geriet vor allem deshalb in Kritik, weil sich die angeblichen Vorteile gegenüber dem Exklusivvertrag nicht empirisch belegen ließen. Unter anderem lässt sich nicht feststellen, ob das Open-House-Modell nach Patentablauf tatsächlich zur Marktöffnung beiträgt. Ärzte und Apotheker werden geneigt sein, das ihnen bekannte Originalprodukt auszugeben, wenn der Hersteller Partei des offenen Rabattvertrages ist. Darüber hinaus ist der festgesetzte Rabatt problematisch, weil ihm – anders als im Exklusivverfahren – kein entsprechender Marktanteilsgewinn gegenübersteht. Zum einen vergeben die GKK die Chance auf noch höhere Rabatte einzelner Unternehmen. Zum anderen


10 Zum Anreizsystem in der GKV, tw. veraltet, Dreher/Hoffmann, Der Auftragsbegriff nach § 99 GWB und die Tätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen, in: von Wietersheim (Hrsg.), Vergaben im Gesundheitsmarkt – Vergaberecht für Auftraggeber und Bieter, 2010, S. 55 f.; Burgi, NZBau 2008, 480, 483 f.

11 § 4 IV des Rahmenvertrags zw. dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Spitzenorganisation der Apotheker iSv § 129 II SGB V.

12 Rabattverträge für ein Originalprodukt sind denkbar, allerdings hält der Unternehmer ohnehin ein Patent, das nur Parallel- bzw. Reimporte gefährden.

13 Pieloth/Heiler, Rabattquoten in der GKV – eine gute Entwickung?, in: INSIGHT Health Monitor Versorgungsforschung 02/2016, http://www.insight-health.de/sites/insight-health.de/files/downloads/ih_rabattquoten_bei_antidementiva_mvf_02-2016.pdf (zuletzt aufgerufen 13.5.2017), S. 12; IMS Health, Best Practice Ansätze bei Arzneimittelengpässen im internationalen Vergleich, Gutachten im Auftrag von Pro Generika, 2015, http://www.progenerika.de/wp-content/uploads/2015/03/ProGenerika_IMS-Gutachten-Lieferengpässe-final.pdf (zuletzt aufgerufen 13.5.2017), S. 32; Ulshöfer, PharmR 2015, 85.

14 Bundesministerium für Gesundheit, Gesetzliche Krankenversicherung, Vorläufige Rechnungsergebnisse (KV45) 1.-4. Quartal 2016, Stand 13.3.2017, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Statistiken/GKV/Finanzergebnisse/KV45_1_4_Q_2016_Internet.pdf (zuletzt aufgerufen 13.5.2017), S. 3; Pro Generika, Marktdaten März 2017, http://www.progenerika.de/wp-content/uploads/2017/05/Marktdaten-Generika_Maerz-2017.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.6.2016), S. 4.

15 Steiff, Ausgestaltung des Vergabeverfahrens, in: von Wietersheim (Hrsg.), Vergaben im Gesundheitsmarkt – Vergaberecht für Auftraggeber und Bieter, 2010, S. 89 f.; Gabriel/Weiner NZS 2009, 422, 425.

16 Meyer-Hofmann/Wenig, PharmR 2010, 324, 325.

17 EuGH, Falk Pharma (Fn. 5), Rn. 13. Grds. sind die Rabatte aus wettbewerblichen Gründen geheim zu halten. Weder der verordnende Arzt noch der Apotheker können die Information einsehen.

18 Vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2014, 654, 655; Csaki, NZBau 2012, 350 ff.; Otting, NZBau 2010, 734, 736.

19 Brackmann, NZBau 2014, 529.

20 Ulshöfer, PharmR 2015, 85, 90 f.

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drängen sie strukturell schwächere Unternehmen vom Markt, die zur Teilnahme an der Patientenversorgung dem Vertrag beitreten müssen, die Kosten der Produktion aber nicht decken können.21 Auch wurde bezweifelt, dass das Lieferausfallrisiko gesenkt wird, wenn sich die Unternehmen bei einer großen Zahl von Rabattpartnern auf einen deutlich niedrigeren Eigenanteil einstellen.22 Zusätzlich verursacht das jederzeitige Beitrittsrecht Vertragslaufzeiten deutlich unter zwei Jahren, was die Patientencompliance noch stärker beeinflussen könnte als Exklusivverträge.23

Bei all dem gilt zu beachten, dass weder Befürworter noch Kritiker über ausreichend Daten verfügen. So finden sich Hinweise – aber eben nur Hinweise – dass es dem Open-House-Modell an Attraktivität mangelt und sich die durchschnittliche Anzahl der Unternehmen pro Wirkstoff gegenüber einem exklusiven Mehr-Partner-System gar nicht signifikant erhöht.24 Unter dem Strich mögen sich Vor- wie Nachteile also nur bedingt bewahrheiten.

D. ARV als kartellvergaberechtlich relevante Beschaffung

Die §§ 97 I, 103 I GWB verpflichten jeden öffentlichen Auftraggeber zur Beschaffung von Waren-, Bau- und Lieferleistungen durch Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren. Dass die GKK unter den persönlichen Anwendungsbereich fallen, ist mittlerweile anerkannt.25 Wie im ersten Abschnitt zu zeigen sein wird, gilt dies ebenso für die modellunabhängigen Voraussetzungen des öffentlichen Auftrags. In Falk Pharma legte der EuGH jedoch fest, dass die ‚Auswahlentscheidung’ ein weiteres, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal sei; dieses wird in einem zweiten Teil untersucht.

I. Entgeltlicher Vertrag mit einem Unternehmen, § 103 I GWB

Bei ARV handelt es sich grds. um Rahmenvereinbarungen, die gem. § 103 V GWB bloß die Bedingungen für nachgelagerte Aufträge festlegen.26 Während letztere die Merkmale eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 I GWB aufweisen müssen, gilt dies nicht für die Rahmenvereinbarung selbst.27 Im Folgenden ist zwischen diesen beiden Ebenen zu unterscheiden. Ein öffentlicher Auftrag liegt gem. § 103 I GWB vor, wenn ein öffentlicher Auftraggeber einen entgeltlichen Vertrag mit einem externen Unternehmen (vgl. § 108 GWB) über die Lieferung von Waren schließt. Der Vertragsgegenstand und das Entgelt der Arzneimittel-Einzelaufträge offenbaren sich dabei erst durch die europarechtlich wie national gebotene funktionale Betrachtungsweise28: Die GKK sind weder direkte Empfänger der Ware, noch treffen sie die endgültige Auswahl des Arzneimittels. Allerdings können die GKK das Verhalten der Apotheker durch den Abschluss von Rabattverträgen in gewissem Umfang steuern, weil diese nach § 129 I 3 SGB V zur Substitution verpflichtet sind. Gleichzeitig werden die GKK von ihrer Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten befreit. Demnach liegt funktional eine Warenbeschaffung durch einen öffentlichen Auftraggeber vor.29 Entlohnt werden die Unternehmen auf Ebene der Rahmenvereinbarung mit einer privilegierten Marktstellung, die ebenfalls aus dem Ersetzungsgebot des § 129 I 3 SGB V folgt.30 Auf Ebene des Einzelabrufs erhalten sie ihr Entgelt von den Apothekern, wobei die Lieferung wirtschaftlich betrachtet zulasten der GKK erfolgt, vgl. § 31 II 1 SGB V. Dass die Vertragsparteien der Rahmenvereinbarung (GKK und pharmazeutisches Unternehmen) und der Einzelaufträge (GKK und Apotheker) nicht übereinstimmen, ist aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtung der Verträge unschädlich.31

II. Auswahlentscheidung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal?

Im Zusammenhang mit Open-House-Verfahren entstand nun das Problem, ob ein öffentlicher Auftrag im Sinne des GWB eine ‚Auswahlentscheidung’ durch den Auftraggeber tatbestandlich voraussetzt oder ob sie nicht vielmehr aus der Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts zwingend folgt. Ist sie kein Tatbestandsmerkmal, fallen ARV stets in den Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts, das nichtexklusive Verfahren nicht kennt. Die Open-House-Verfahren wären – über den Arzneimittelbereich hinaus – vergaberechtswidrig.32


21 Vgl. Ulshäfer,PharmR 2015, 85, 90.

22 Gaßner/Strömer,NZS 2014, 811, Fn. 5.

23 Bundesversicherungsamt, Rundschreiben an alle bundesunmittelbaren Krankenkassen: Vereinbarung von Arzneimittelrabatten nach § 130a SGB V, Durchführung von sogenannten „Open-house“-Verfahren, 17.9.2014, http://www.bundesversicherungsamt.de/fileadmin/redaktion/Vergaberecht_Sonst_Ang_SV/20140917_Arzneimittelrabatte_130a_SGB_V.pdf (zuletzt aufgerufen 13.5.2017), S. 4 f.

24 Bsp. Techniker Krankenkasse: Sie unterhält Open-House-Verträge über 79 Wirkstoffe (Stand 1.5.2017). Nur für 19 Wirkstoffe fanden sich jeweils fünf oder mehr Vertragspartner. In der Mehrheit der Fälle haben sich bisher lediglich ein bzw. zwei pharmazeutische Unternehmen verpflichtet (27 bzw. 20 Wirkstoffe, wobei nicht eindeutig ist, wie viele der Wirkstoffe noch patentgeschützt sind). Für die restlichen zwölf Wirkstoffe gibt es jeweils drei bzw. vier Rabattpartner. Vgl. TKK, Liste Rabattvertragspartner Open-House-Verträge, Stand 1.6.2016, https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/690634/Datei/166705/Generika_Open-House_Vertraege_01062016.pdf (zuletzt aufgerufen 13.5.2017), S. 1 ff.

25 Vgl. EuGH, Rs. C-300/07 – Oymanns, Slg. 2009, I-4779, Rn. 59;VK Bund, Beschl. v. 24.6.2011, VK 2-58/11, juris, Rn. 51.

26 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.1.2008, VII-Verg 57/07, juris, Rn. 38 ff.; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht Bd. 2/Teil 2 GWB5, 2014, § 99 Rn. 69.

27 OLG Düsseldorf, NZBau 2014, 654, 658; VK Bund, Beschl. v. 10.6.2011, VK 3-59/11, juris, Rn. 55 ff.; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 26), § 99 Rn. 61.

28 EuGH, Rs. C-283/00 – Siepsa, Slg. 2003, I-11697, Rn. 73; VK Bund, Beschl. v. 10.6.2011, VK 3-59/11, juris, Rn. 59; Otting, NZBau 2010, 734, 737; Burgi, NZBau 2008, 480, 481; Dreher/Hoffmann (Fn. 10), S.54.

29 EuGH, Falk Pharma (Fn. 5), Rn. 33; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.1.2012, VII-Verg 57/11, juris, Rn. 50 ff.; Beschl. v. 17.1.2008, VII-Verg 57/07, juris, Rn. 38 ff.; VK Bund, Beschl. v. 20.2.2014, VK 1-4/14, juris, Rn. 53; Ulshöfer, PharmR 2015, 85, 86; a.A. Sormani-Bastian (Fn. 6), S. 136, die eine Dienstleistungskonzession annimmt. Röbke, NZBau 2010, 346, 347 f. und Burgi, NZBau 2008, 480, 485 diskutieren eine „Lieferkonzession“, gelangen aber zum öffentlichem Auftrag.

30 LSG NRW, NZBau 2010, 458, 460 f.; Dreher, in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 26), § 99 Rn. 72.

31 VK Bund, Beschl. v. 10.6.2011, VK 3-59/11, juris, Rn. 59; vgl. Byok/Csaki,NZS 2008, 402, 404; vgl. Dreher, in Immenga/Mestmäcker (Fn. 26), § 99 Rn. 64; vgl. Dreher/Hoffmann (Fn. 10), S. 61; zweifelnd (zu Hilfsmitteln) Burgi, NZBau 2008, 480, 484 f.; abl. Lange (Fn. 6), S. 203 f.

32 VK Bund, Beschl. v. 20.2.2014, VK 1-4/14; VK Bund, Beschl. v. 10.6.2011, VK 3-59/11; VK Bund, Beschl. v. 12.11.2009, VK 3-193/09; a.A. nun VK Bund, Beschl. v. 21.1.2015, VK 2-113/14.

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1. Grundlegende Schwierigkeiten der Gesetzesanwendung

Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur fällt auf, dass die Gesetzesanwendung große Schwierigkeiten bereitet, weil das sozialrechtliche Dreieck eine rahmenvertragliche Struktur vorgibt. Bei der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale gerät der Unterschied zwischen der übergeordneten Ebene und dem Einzelabruf stellenweise durcheinander. Bei einer Rahmenvereinbarung i.S.d. GWB ist eine Aufnahme aller Wettbewerber denklogisch möglich,33 selbst wenn nach § 21 I VgV ein wettbewerbliches Verfahren anzuwenden ist. „Auswahl“ kann insofern auch die Entscheidung betreffen, sich einen größtmöglichen Pool für die Einzelvergabe zu sichern. Der Unterschied zum Open-House-Modell liegt hier nun darin, dass nicht alle Unternehmen zur selben Zeit beitreten müssen (so aber § 21 II 2 VgV, Art. 34 II Ua. 2 Richtlinie 2004/18/EG34).35 Das Merkmal der Auswahlentscheidung spielt jedenfalls erst beim Einzelabruf eine Rolle. Hier müssen in der Tat die Voraussetzungen eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 I GWB vorliegen.36 Und auf dieser Ebene erscheint auch einleuchtend, dass der Beschaffungsbedarf des Auftraggebers endlich, ein Auftrag also nur einmal zu vergeben ist und eine simultane Inanspruchnahme der potentiellen Lieferanten ausscheidet.37 Die notwendige Selektion eines Arzneimittels im Einzelfall ist aber die ureigene Aufgabe des Apothekers. Daher verwundert es, warum die streitentscheidende Frage nicht lautete, ob die Auswahlentscheidung des Apothekers der GKK zuzurechnen sei. Ebenso beachtenswert ist der Gedanke, ob nicht bereits die Festsetzung eines Rabattsatzes durch die GKK eine Auswahlentscheidung darstellt.38 Diesen Fragen nachzugehen ginge jedoch deutlich über den diesem Beitrag gesteckten Umfang hinaus. Die folgenden Ausführungen arbeiten mit der Prämisse, dass die GKK im nichtexklusiven Verfahren keine Auswahl treffen.\smallskip

2. Telos

Die Interpretation des EuGH in Falk Pharma gründet auf der Erwägung, dass die Richtlinie 2004/18/EG (heute Richtlinie 2014/24/EU39) die Grundsätze des AEUV verwirklichen und die Interessen der europäischen Wettbewerber schützen soll.40 Die Kernaufgabe liege darin, die Gefahr einer Bevorzugung einzudämmen. Treffe der öffentliche Auftraggeber aber gar keine Auswahl, bestehe keine Gefahr und kein Bedarf für die strengen Regelungen des Kartellvergaberechts.41 Daraus folgert das Gericht, dass die Auswahlentscheidung mit dem Begriff des öffentlichen Auftrags „untrennbar verbunden“42 und ein Open-House-Verfahren zulässig sei. Diese Ansicht vermag zu überzeugen, wenn man davon ausgeht, dass sowohl das europäische als auch das deutsche Kartellvergaberecht nur die Diskriminierung zu unterbinden suchen. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte legt jedoch nahe, dass die Verfahrensregeln ebenso vom Gedanken der Wirtschaftlichkeit geprägt sind, der in der Auslegung hätte berücksichtigt werden müssen.\smallskip

a) Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz im deutschen und europäischen Recht

Das deutsche Vergaberecht fand seinen Ursprung in der Erkenntnis, dass der Staat bei seiner Beschaffungstätigkeit Gefahr läuft, öffentliche Gelder unangemessen einzusetzen, schnürt man ihm nicht ein strenges, wettbewerbliches Verfahrenskorsett.43 Da er gem. Art 1 I, 20 GG dem Gemeinwohl zu dienen bestimmt ist und keine grundrechtliche Vertragsfreiheit genießt,44 wurde eine Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung in den Haushaltsordnungen der Gebietskörperschaften verankert.45 Noch heute halten sie die Beschaffenden an, nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu haushalten (§ 7 I BHO/LHO, vgl. Art. 114 II GG, § 6 I HGrG), sprich mit den gegebenen Mitteln den bestmöglichen Erfolg oder einen bestimmten Erfolg mit dem geringsten Mitteleinsatz zu verwirklichen (günstigste Zweck-Mittel-Relation).46 Dabei geht man davon aus, dass die Auftragsvergabe im Wettbewerb optimale Marktergebnisse garantiert, dagegen ein Verzicht auf Wettbewerb dem Beschaffenden die Chance auf Marktpreise nimmt.47 In Bezug auf die rechtliche Qualität hat sich mittlerweile durchgesetzt, den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz unabhängig von spezialgesetzlichen Ausprägungen als Rechtsprinzip zu akzeptieren, das alle drei Staatsgewalten bindet. Das schließt die Besonderheit ein, dass ein Rechtsprinzip auch graduell erfüllt werden kann und das gebotene Maß durch gegenläufige Rechtsprinzipien definiert wird.48 Seit der letzten Reform des deutschen Kartellvergaberechts steht der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz an prominenter Stelle, § 97 I 2 Alt. 1 GWB. Damit steht fest, dass die optimale Zweck-Mittel-Relation nicht nur beim Zuschlag nach § 127 I 1 GWB, sondern im gesamten Kartellvergaberecht als Handlungsmaxime zu beachten ist.49


33 Vgl. VK Bund, Beschl. v. 20.2.2014, VK 1-4/14, juris, Rn. 52.

34 Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. EU Nr. L 134, S. 114.

35 Insoweit auch EuGH, Falk Pharma (Fn. 5), Rn. 41.

36 Vgl. Fn. 27.

37 Zum Auswahlcharakter des Auftrags Bungenberg, Vergaberecht im Wettbewerb der Systeme – Eine rechtsebenenübergreifende Analyse des Vergaberechts, 2007, S. 214.

38 Vgl. nur Csaki,NZBau 2012, 350, 352.

39 Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, ABl. Nr. L 94, S. 65.

40 EuGH, Falk Pharma (Fn. 5), Rn. 34 f.

41 EuGH, Falk Pharma (Fn. 5), Rn. 36 f.

42 EuGH, Falk Pharma (Fn. 5), Rn. 38.

43 Burgi, Die erfolgreiche Aufgabenerfüllung als Basiszweck des GWB-Vergaberechts, in: FS F. Marx, 2013, S. 75, 77; Lange (Fn. 6),S. 26; Sormani-Bastian (Fn. 6),S. 11; Shirvani, Optimierung des Rechtsschutzes im Vergaberecht, 2016,S. 44 f.

44 v. Arnim, Wirtschaftlichkeits als Rechtsprinzip, 1988, S. 74; Bungenberg (Fn. 37), S. 133.

45 § 46 Reichshaushaltsordnung (RHO) von 1922, §§ 55 BHO/LHO, § 24 KommHVO; vgl. Fehling, in: Pünder/Schellenberg (Hrsg.), Vergaberecht2, 2015, § 97 Rn. 6.

46 v. Arnim (Fn. 44), S. 19; Bungenberg (Fn. 37), S. 144; Hoffmann-Riem in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 17.

47 Bungenberg (Fn. 37) S. 14, 7; zurückhaltender Müller, in: FS Marx, 2006, S. 449, 453.

48 Bungenberg (Fn. 37), S. 135 ff. („Leitprinzip“); v. Arnim (Fn. 44), S. 74, 77, 82 ff.; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform: Dogmatik und Möglichkeiten der Fortentwicklung der Haushaltswirtschaft durch Flexibilisierung, Dezentralisierung, Budgetierung, Ökonomisierung und Fremdfinanzierung, 2001, S. 348 f., 355; Hoffmann-Riem (Fn. 46), S. 24 („elastic law“).

49 Zu § 97 GWB a.F. Fehling, in: Pünder/Schellenberg (Fn. 45), § 97 Rn. 48.

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Ausweislich des Art. 3 III 1 EUV fokussiert sich die Europäische Union dagegen auf die Errichtung eines Binnenmarktes. Das oberste Ziel der Vergaberechtlinien besteht im Schutz der Bieter vor ungerechtfertigten Benachteiligungen.50 Durch die Verwirklichung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz sollen nationale Schranken im öffentlichen Auftragswesen abgebaut und integratives Wachstum generiert werden.51 Jedoch erkennt auch die Europäische Union das Potential des Vergaberechts für die Funktionsfähigkeit der mitgliedstaatlichen Haushalte an. Die Richtlinie 2014/24/EU ist das Resultat einer auf Effizienzsteigerung ausgelegten Überarbeitung der alten Vorschriften.52 Allein um nicht an Attraktivität als internationaler Wirtschaftsstandort einzubüßen, kann es sich die Union nicht erlauben, auf einen wirtschaftlichen Ressourceneinsatz durch die Mitgliedstaaten zu verzichten.53 Im Primärrecht weist Art. 119 III AEUV gesunde öffentliche Finanzen als richtungsweisenden Grundsatz für die europäische Wirtschaftspolitik aus, an den sich auch die Mitgliedstaaten zu halten haben, Art. 120 S. 2 AEUV. Der freie Wettbewerb in einer offenen Marktwirtschaft fördert dabei einen effizienten Einsatz von Ressourcen, Art. 120 S. 2 AEUV. Es finden sich also zahlreiche Hinweise auf ein europäisches Interesse an der bestmöglichen Mittelverwendung. Mit Blick auf die rechtliche Qualität wird er überwiegend als „rechtsebenenübergreifendes Verfassungs- und Ordnungsprinzip“ verstanden.54 Insbesondere dem Zusatz des „effiziente[n] Einsatz[es] der Ressourcen“ in Art. 120 S. 2 AEUV wird verpflichtender Charakter i.S.e. Handlungsmaxime beigemessen, weil er im Zusammenhang mit den allgemeinen Handlungsdirektiven aufgeführt ist.55 Allerdings zieht er weder eindeutige Pflichten der Mitgliedstaaten nach sich, noch entfaltet er subjektiv-schützende Wirkung.56 Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung in gleichem Maße für den oben genannten „richtungsweisenden Grundsatz“ der gesunden öffentlichen Finanzen57 nach Art. 119 III AEUV sowie den Grundsatz der offenen Marktwirtschaft nach Art. 119 I, 120 S. 2 AEUV.58

Im Ergebnis ist der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz kein nationales Phänomen, sodass er gerade im Kartellvergaberecht als Auslegungskriterium dienen kann.59

b) Einfluss des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes auf die Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts

Fraglich ist, ob und inwiefern sich diese Feststellung auf die Auslegung des Begriffs des „öffentlichen Auftrags“ auswirkt. Wenn das Kartellvergaberecht den Zweck hat, durch die Schaffung von Konkurrenzsituationen die wirtschaftliche Beschaffung durch die öffentliche Hand zu sichern, dürfte eine Freistellung vom Kartellvergaberecht höchstens dann erfolgen, wenn die Alternative im Einzelfall mindestens ebenso effizient ist. Mit anderen Worten: Eine etwaige Absage an das Kartellvergaberecht sollte vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes nicht deshalb pauschal erteilt werden, weil die GKK keine Auswahlentscheidung getroffen hat. Den Staat aus dem Kartellvergaberecht zu entlassen, wenn er stattdessen Open-House-Verfahren durchführt, mag dem Zweck der Diskriminierungsfreiheit nicht zuwiderlaufen, dem Zweck der Wirtschaftlichkeit ggf. schon. Ein nichtexklusives Modell wäre nach dieser Auffassung also unzulässig, wenn es zwar alle Anforderungen an die Diskriminierungsfreiheit einhält,60 im Einzelfall aber keine gleichwertige Zweck-Mittel-Relation herstellt. Das Kriterium einer Auswahlentscheidung ist demnach abzulehnen.

Frei von Zweifeln ist die Interpretation gewiss nicht: Nicht nur fand der Aspekt der Wirtschaftlichkeit keine Berücksichtigung durch das OLG Düsseldorf und den EuGH, auch ist die Grenzziehung anhand der Effizienz höchst vage. Um einigermaßen fundiert feststellen zu können, wann ein Zulassungsmodell mindestens so effizient wie der Wettbewerb ist, wären große Datensätze erforderlich. Empirische Belege über die Vorteilhaftigkeit von Open-House-Verträgen gibt es jedoch nicht. Dagegen sorgt die Annahme eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals immerhin für Rechtssicherheit.

Lässt man sich auf die Abgrenzung nach dem relativen Effizienzgrad ein, stellt sich die Folgefrage, welcher Institution die Befugnis zugeschrieben werden soll, ein Alternativverfahren für zulässig zu erklären. In Frage käme eine typisierte Einordnung durch den deutschen bzw. europäischen Gesetzgeber oder aber die Einzelfallentscheidung durch den Beschaffenden. An dieser Stelle muss erneut betont werden, dass es bei der Grenzziehung nicht darauf ankommt, ob das Open-House-Modell bloß geringere Verfahrens- und Rechtsschutzkosten verursacht. Stattdessen ist in Bezug auf Arzneimittel zu untersuchen, ob es das gesetzlich zwingende Ziel der patientengerechten Medikamentenversorgung langfristig mit einem geringeren Mitteleinsatz verwirklicht. In die Überlegung einzustellen sind auch gesamtwirtschaftliche Kosten, z.B. eine zunehmende Marktkonzentration. Aus dem recht umfassenden Geltungsanspruch des Kartellvergaberechts folgt dabei eine Effizienzvermutung zugunsten des wettbewerblichen Verfahrens.61

Die Einzelfallentscheidung durch den Auftraggeber hat für sich, dass sie im besten Fall Wirtschaftlichkeitspotentiale ausschöpft, die durch eine starre Regel nicht eingefangen werden können. Flexibilität bietet sich an, wo der Anwender über mehr


50 Vgl. EuGH, Falk Pharma (Fn. 5), Rn. 35; EuGH, Rs. C-92/00 – Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik, Slg. 2002, I-5553, Rn. 43.

51 ErwG 1, 2 der Richtlinie 2014/24/EU (Fn. 39).

52 ErwG 2 der Richtlinie 2014/24/EU (Fn. 39).

53 Bungenberg spricht gar von einer „ökonomischen Notwendigkeit“ (Fn. 37), S. 3; vgl. Burgi (Fn. 43), S. 79, Fn. 16.

54 Bungenberg (Fn. 37), S. 334, 198; ähnl. Hoffmann-Riem (Fn. 46), S. 21, der in Art. 102a S. 2 EGV (Art. 120 S. 2 AEUV) einen „Grundsatz“ des effizienten Ressourceneinsatzes ausmacht.

55 Hattenberger, in: Schwarze u.a. (Hrsg.), EU-Kommentar3, 2012, (AEUV) Art. 120 Rn. 7; Kempen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV2, 2012, (AEUV) Art. 120 Rn. 4; Häde, in: Calliess/Ruffert/Blanke (Hrsg.), EUV/AEUV5, 2016, (AEUV) Art. 120 Rn. 4. Nach a.A. beschreibt er nur die Auswirkungen einer offenen Marktwirtschaft, Bandilla, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union60, 2016, (AEUV) Art. 120 Rn. 13; ähnl. Wittelsberger, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht7, 2015, (AEUV) Art. 120 Rn. 14 („ökonomisches Postulat“).

56 Vgl. zu Art. 102a EGV EuGH, Rs. C-9/99 – Échirolles Distribution, Slg. 2000, I-8207, Rn. 25.

57 Schlussanträge d. GA, Rs. C-105/14 – Ivo Taricco, ECLI:EU:C:2015:293, Rn. 69.

58 Vgl. zu Art. 4 I EG EuGH, Rs. C-484/08 – Caja de Ahorros y Monte de Piedad de Madrid, Slg. 2010, I-4785, Rn. 46.

59 Gröpl (Fn. 48), S. 360; Bungenberg (Fn. 37), S. 143.

60 Zu den Anforderungen OLG Düsseldorf, NZBau 2014, 654, 656 f.

61 Vgl. Dreher, in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 26), Vor §§ 97 ff. Rn. 132.

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Informationen und Fachkenntnis verfügt als der Gesetzgeber. Dass sich der Gesetzgeber eher scheut, die Entscheidung selbst zu treffen, beweisen jedenfalls die §§ 127 I 1, II SGB V für Hilfsmittel. Doch auch die Beschaffenden kämpfen mit einem Informationsmangel und laufen Gefahr, ineffizient zu handeln. Gleichwohl könnte sich ein Wirtschaftsteilnehmer dagegen nur wehren, wenn ihm der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz des Kartellvergaberechts ein subjektiv-öffentliches Recht verschaffte. Für das allgemeine Effizienzprinzip wurde der Drittschutz gerade abgelehnt. Auf der anderen Seite bliebe der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz weitgehend zahnlos, wenn seine Berücksichtigung nicht eingeklagt werden könnte. Spielt man das Szenario durch, läge die endgültige Entscheidung über die Zulässigkeit beim OLG, weil über Nachprüfungsverfahren auch kontrolliert werden kann, ob ein GWB-Verfahren hätte durchgeführt werden müssen. Möglicherweise wäre eine andere Gerichtsbarkeit aber besser geeignet, um über Sachverhalte mit arzneimittel- bzw. sozialrechtlichem Bezug zu entscheiden. Darüber hinaus würde ein Hauptzweck des Open-House-Modells, namentlich die Vermeidung von Nachprüfungsverfahren, torpediert. Das nichtexklusive Verfahren verlöre für die GKK an Wert.

Alternativ könnte der europäische Gesetzgeber eine ausdrückliche Ausnahme für Zulassungsverfahren schaffen, die das bisher aus teleologischen Gründen abzulehnende Auswahlkriterium normativ verankert. Dieser politische Spielraum ist ihm auch bei Geltung des Wirtschaftlichkeitsprinzips zuzubilligen. Präziser wäre allerdings wohl eine Ausnahme allein für nichtexklusive ARV. Nach den obigen Ausführungen lässt sich wenigstens nicht ausschließen, dass das Open-House-Modell grds. das effizientere Verfahren in diesem Bereich darstellt. Eine rein nationale Regelung wäre, lehnt man das Falk Pharma-Urteil ab, jedenfalls unionsrechtswidrig.62

c) Zwischenergebnis

Bei der Auslegung des Begriffs des öffentlichen Auftrags wäre aufgrund der Zielsetzung des Kartellvergaberechts grds. auch der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz heranzuziehen gewesen. Danach darf weder das europäische noch das deutsche Recht eine Auswahlentscheidung pauschal voraussetzen. Die Zulässigkeit eines Alternativverfahrens hängt vielmehr von dessen Effizienzvorteil gegenüber dem Kartellvergaberecht ab. Fokussiert man sich dagegen auf die Diskriminierungsfreiheit, vermeidet man immerhin einige Folgeprobleme, wie z.B. die Frage, wer über die Effizienzfrage zu entscheiden hat. Ignoriert man das EuGH-Urteil in Falk Pharma, wären das nach aktueller Rechtslage wohl die GKK. Um an Rechtssicherheit zu gewinnen, bietet es sich an, das Open-House-Modell für ARV explizit vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts auszunehmen, sofern man ihre Wirkung für positiv befindet.

E. Fazit

Verträge nach § 130a VIII SGB V dienen dazu, die Ausgaben der GKK zu senken, die durch den Leistungsanspruch der Versicherten gem. § 31 I 1 SGB V entstehen. Das Gesetz schweigt zur näheren Ausgestaltung. Allerdings ist heute weitgehend anerkannt, dass ein entgeltlicher Vertrag über die Lieferung von Waren i.S.v. § 103 I GWB vorliegt. Darüber hinaus ein ungeschriebenes Tatbestandmerkmal, nämlich eine Auswahlentscheidung, zu fordern, kann nicht recht überzeugen. Das Kartellvergaberecht bezweckt nicht nur die Gleichbehandlung aller Wirtschaftsteilnehmer, sondern auch den wirtschaftlichen Einkauf von Gütern. Mit dieser Zielsetzung wäre es nicht vereinbar, den Staat schon deshalb aus der Verantwortung zu entlassen, weil er keine Auswahl trifft. Stattdessen muss es auf die Qualität der Entscheidung ankommen; nur wenn das nichtwettbewerbliche Verfahren mindestens so effizient ist wie das GWB-Verfahren, wird nicht gegen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz verstoßen, der nun in § 97 I 2 GWB eine explizite Aufwertung erfahren hat. Diese Lösung gerät freilich schnell unter den Verdacht der Willkür. Eine Unterstützung von Seiten des Gesetzgebers wäre daher wünschenswert.

Lässt man die Unterschiede zwischen den Vertragsmodellen und ihre Zielsetzung Revue passieren, gewinnt man den Eindruck, dass das Zulassungsverfahren mehr Schadensbegrenzung denn Innovation ist. Durch die Einführung des § 130a VIII SGB V wurde den GKK die Möglichkeit an die Hand gegeben, einen wirkmächtigen Markt zu schaffen, der jedoch die Bedürfnisse der Versicherten nicht vollständig befriedigt. Für Lieferausfälle, geringe Auswahlmöglichkeiten und Noncompliance musste ein Korrektiv in Form des Open-House-Vertrags geschaffen werden, das ganz eigene Probleme mit sich bringt. Um im Zukunft ausufernde Arzneimittelkosten zu verhindern, muss also trotz der kurzfristig hohen Einsparungen durch Rabattverträge mehr in die Entwicklung anderer Instrumente investiert werden.


62 Schellenberg, in: Pünder/Schellenberg (Fn. 45),§ 100 Rn. 11.