Argentiniens Rückkehr an die Kapitalmärkte

Völker- und kapitalmarktrechtliche Implikationen der Beendigung des Staatsbankrotts

Fabian Eichberger*

A. El Museo de la Deuda Externa

Im Jahre 2005 wurde in Buenos Aires ein weltweit einzigartiges Projekt umgesetzt, das als Mahnmal und Lehrbeispiel dienen sollte: das Museo de la Deuda Externa – das Museum der Auslandsschulden.1 Inspiriert durch die Finanzkrise Argentiniens, war es den Verantwortlichen ein Anliegen, das besondere Verhältnis ihres Heimatstaats zu seinen Schulden darzustellen. Dabei dürfte bei der Eröffnung des Museums keiner vorausgesehen haben, dass es noch elf Jahre dauern würde, bis Argentinien durch die Rückkehr an die Kapitalmärkte in die „Normalität“ zurückkehren würde. Die Resolvenzbemühungen2 Argentiniens in diesen Jahren sind nicht nur eine nationalhistorische Betrachtung im Museo wert, sondern ermöglichen auch Schlussfolgerungen hinsichtlich aktueller Entwicklungen und Herausforderungen im Völker- und Kapitalmarktrecht. Um diese zu ziehen, sollen zunächst die historischen und wirtschaftlichen Umstände der Finanzkrise Argentiniens herausgearbeitet und ihre Bewältigung beschrieben werden (B.). Anschließend werden die Zahlungsunfähigkeit und ihre Konsequenzen rechtlich eingeordnet und im Hinblick auf Entwicklung eines kohärenten Insolvenzregimes für Staaten bewertet (C.).

B. Die argentinische Finanzkrise

I. Finanzkrise 1998 – 2002 und Staatsbankrott

Argentiniens volkswirtschaftliche Entwicklung war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von einer protektionistischen Politik und galoppierenden Inflationsraten geprägt.3 Erst in den 1990er Jahren bescherten eine Liberalisierung der Wirtschaft und die Einführung eines festen Wechselkursregimes des Pesos in Parität zum Dollar der argentinischen Wirtschaft eine Dekade umfassenden Aufschwungs, bis der Staat 1999 erneut in die Rezession rutschte.4 Dabei wurde deutlich, dass während der „Boom-Jahre“ durch konstante Haushaltsdefizite eine kaum mehr zu kontrollierende Schuldenlast aufgebaut worden war.5 Erschwerend stand dem Staat aufgrund des festen Dollar-Wechselkurses das währungspolitische Instrument der Abwertung nicht zur Verfügung, was die Krise weiter verschärfte, weswegen Argentinien bis Mitte 2001 sukzessiv den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten verlor.6 Nach nationalen Unruhen erklärte Argentinien am 23. Dezember 2001 seine Zahlungsunfähigkeit7, verkündete ein Moratorium auf die Zahlung seiner Staatsschulden und hob die Konvertibilität des Pesos zum Dollar in Parität auf.8

II. Folgen für Argentinien und Versuch der Schuldenrestrukturierung 2002 – 2012

Bereits der gewaltige Umfang der Staatsschulden in Höhe von 120 Mrd. US \$ machte die argentinische Schuldenrestrukturierung zu einer Mammutaufgabe.9 Dazu wurde knapp die Hälfte der Summe als „nicht restrukturierungsfähig“ angesehen, da sie entweder internationalen Finanzinstitutionen (vornehmlich dem IWF) oder instabilen argentinischen Banken geschuldet wurden.10

Demensprechend betraf das Umschuldungsangebot Argentiniens an seine Gläubiger Anfang 2005 nur 53% der Staatsschulden und fiel rigoros aus, um dennoch eine spürbare Entlastung zu erreichen: Nach dem Grundsatz take it or leave it sollten Anleihegläubiger entweder umfassende Einschnitte hinsichtlich des Nominalwertes und der Zinsen hinnehmen – oder völlig leer ausgehen.11 In der Folge tauschten im Rahmen von zwei Umschuldungsangeboten 2005 und 2010 knapp 93% der ursprünglichen Anleihegläubiger ihre Anleihen zu Schuldverschreibungen unter den neuen Konditionen um.12 Die verbliebenen knapp 7% Hold-Outs13 bestanden größtenteils aus Hedge-Fonds, welche die Anleihen zu niedrigen Preisen in der Hoffnung erworben hatten, sie unter möglichst geringen Zugeständnissen einzutreiben (sog. „Geier-Fonds“). Ihnen gegenüber nahm die argentinische Regierung eine Null-Toleranz Haltung ein.14 Die Hold-Outs versuchten indessen, in einer Fülle von


* Der Autor ist Student der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Vgl. http://museodeladeuda.econ.uba.ar/mision-vision-y-valores/ (Zugriff 5.11.2016).

2 Resolvenz soll hier die Lösung staatlicher Zahlungsschwierigkeiten bezeichnen, vgl. Paulus, RIW 2016, 93.

3 Bickel, Argentinien-Krise aus ökonomischer Sicht, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, 2005, 14 ff.

4 Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, 2008, 116.

5 Für eine detaillierte Darstellung: IWF, Lessons from the Crisis in Argentina, 8.10.2003, 8 ff.

6 Bickel (Fn. 3), 49 f.; der Zugang zu den Kapitalmärkten geht verloren, wenn der Staat nicht mehr fähig ist, seriöse Gläubiger für seine Schulden zu finden.

7 „Argentine makes biggest debt default in history“, The Telegraph 24.12.2001, http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/southamerica/argentina/13

66218/Argentina-makes-biggest-debt-default-in-history.html (Zugriff 5.11.2016); der rechtliche Zahlungsverzug trat erst im Januar ein, da Staatsanleihen für gewöhnlich eine 30-tägige Frist zur Nachzahlung gewähren, vgl. Olivares­-Caminal, Legal Aspects of Sovereign Debt Restructuring, 2009, Rn. 6-002.

8 Dieses wurde rechtlich per Verordnung Nr. 256/2002 erst am 6.2.2002 umgesetzt, vgl. Baars/Böckel, ZBB 2004, 445, 447.

9 Vgl. IWF, Lessons from Argentina (Fn. 5), 63.

10 Zur Begründung der Einordnung Hornbeck, Argentina’s Sovereign Debt Restructuring, Congressional Research Service, 2004, 2 f.

11 Im Februar 2005 verabschiedete die Regierung das Gesetz 26,017, welches verbot das Austauschangebot zu erneuern oder einen Vergleich mit privaten Gläubigern zu erzielen, die nicht an der Umschuldung teilgenommen hatten, vgl. Hornbeck, Dealing with the „Holdouts“, Congressional Research Service, 7-5700, 2013, 5.

12 Kämmerer, MPEPIL, Argentine Debt Crisis, Rn. 8.

13 Aufgrund der gängigen Terminologie soll auch hier das Wort „Hold-Outs“ (wörtliche Übersetzung: „Ausharrende“) für die Gläubiger verwendet werden, die sich in der Hoffnung auf bessere Konditionen durch eine Gerichtsentscheidung oder einen Vergleich nicht auf Umschuldungen einlassen.

14 Paulus, WM 2015, 953, 954.

Eichberger, Argentinien11

Gerichtsverfahren ihre Forderungen geltend zu machen.15 Der wichtigste Etappensieg gegen Argentinien erfolgte dabei 2012 durch die einstweilige Verfügung eines New Yorker Gerichts. Unter Anwendung einer Gleichrangklausel (sog. pari-passu-Klausel) wurde Argentinien untersagt, auf die umgeschuldeten Anleihen zu leisten, solange es nicht auch an die Hold-Outs leistete. Zugleich wurde allen Drittparteien verboten, bei der Bedienung der Anleihen zu helfen.16 Damit befand sich Argentinien in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite konnte es aufgrund der einstweiligen Verfügung die umgeschuldeten Anleihen nicht bedienen, ohne gleichzeitig dem Druck der „Geier-Fonds“ nachzugeben. Andererseits konnte es auch keinen Kompromiss anbieten, welcher die Fonds besserstellen würde, als die Gläubiger, die an den ersten beiden Umschuldungen teilgenommen hatten. In deren Vertragsdokumenten fanden sich nämlich sogenannte „Rights Upon Future Offers“ (RUFO) Optionen, die ihnen bis zum 31. Dezember 2014 das Recht gewährten, vorteilhafte Angebote an Hold-Outs in gleicher Weise beanspruchen zu dürfen.17 Als Folge dieser Mischung aus rechtlichem Zwang, ökonomischem Druck und politischem Widerstand schlitterte Argentinien im Juli 2014 erneut in die technische Zahlungsunfähigkeit.18

III. Kompromiss mit den Hold-Outs und Rückkehr an die Finanzmärkte

Nachdem die Pattsituation zwischen Hedge-Fonds und Argentinien beinahe zwei Jahre andauerte, läutete ein Regierungswechsel Ende 2015 eine Wende in dem Konflikt ein.19 Zwischen Januar und April 2016 einigte sich der Staat sukzessive mit den Hold-Outs.20 Diese hatten ihr Ziel erreicht: Auf ihre günstig erworbenen Anleihen konnten sie Gewinne zwischen 300% und 1000% verzeichnen.21 Argentinien hingegen konnte nach 15 Jahren an die internationalen Kapitalmärkte zurückkehren und nahm diese Möglichkeit sofort wahr.22

C. Schlüsse aus Argentiniens Staatsbankrott und Resolvenz

Im Folgenden soll versucht werden, ein Fazit aus der zweimaligen Zahlungsunfähigkeit, dem Erfolg der Hold-Outs und der Rückkehr Argentiniens an die Kapitalmärkte zu ziehen. Dafür wird die Zahlungsunfähigkeit Argentiniens zunächst rechtlich eingeordnet (C.I.) und mögliche Folgen der Durchsetzung der „Geier-Fonds“ beschrieben (C.II.). Im Anschluss wird im Hauptteil der Arbeit versucht, die Auswirkungen von Argentiniens Staatsbankrott und seiner Beendigung auf die Entwicklung einer kohärenten Insolvenzordnung für Staaten darzustellen (C.III.).

I. Rechtliche Einordnung der Zahlungsunfähigkeit

1. Dauerhafter Staatsbankrott zwischen 2002 und 2016?

Für eine rechtliche Betrachtung von Argentiniens Zahlungsunfähigkeit gilt es zunächst, den rechtlichen Gehalt dieser Feststellung zu konturieren. Weder der Begriff „Staatsbankrott“ noch „Staateninsolvenz“ sind als feststehende völkerrechtliche Rechtstermini etabliert. Im Folgenden wird der Begriff „Staatsbankrott“ für die Unfähigkeit von Staaten verwendet, ihre Zahlungsverbindlichkeiten zu bedienen, da er im Gegensatz zur „Staateninsolvenz“ nicht mit einem formellen Verfahren assoziiert wird.23 Für die Feststellung dieser Unfähigkeit ist auf objektive Kriterien abzustellen, da ein Staat, der seine Schulden lediglich nicht bezahlen will, weder seine Gläubiger noch seine Bevölkerung mit irgendwie gearteten Insolvenzmechanismen belasten dürfen soll.24

Subsumiert man Argentiniens Finanzkrise unter die Voraussetzung der objektiven Zahlungsunfähigkeit, wird die Komplexität der Vorgänge deutlich: Denn war dem Staat nach der deklarierten Zahlungsunfähigkeit 2002 die Schuldenbedienung vor allem ökonomisch nicht möglich, wandelte sich dies nach der ersten Umschuldung 2005 durch die RUFO-Clauses25 hin zu einer rechtlich-ökonomische Zwangslage, bis sich nach dem Erlass der einstweiligen Verfügung 2012,26 für die Dauer ihres Bestands, die Lage gänzlich zu einer rechtlichen Unmöglichkeit verschob. Aufgrund dieser zunächst ökonomischen und dann rechtlichen Unmöglichkeit der Leistung, kann man bis zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung und der Rückkehr an die Kapitalmärkte 2016 vom Bestehen des Staatsbankrotts ausgehen.

2. Folgen der Nichtbedienung von Staatsschulden bei privaten Gläubigern

Für Argentiniens Schuldenkrise waren Verbindlichkeiten bei privaten Gläubigern und deren Durchsetzung von zentraler Bedeutung.27 Um auf nichtstaatliche Kapitalquellen zurückgreifen zu können, treten Staaten in Vertragsbeziehungen mit Privaten ein. Für das Verständnis der Hold-Out Problematik und der Forderung nach einem reformierten Insolvenzverfahren nützt es, sich zwei Besonderheiten von Staatsschulden bei Privatgläubigern vor Augen zu führen.


15 Vgl. IWF, Working Paper: Sovereign Debt Restructurings 1950 – 2010, WP/12/203, 2012, 50 ff.

16 Vgl. United States District Court for the Southern District of New York, NML Capital Ltd. v. Argentina, No. 08 Civ. 6978, (S.D.N.Y. 23.2.2012), Injunction, 3 ff.; zu der Problematik siehe unten ausführlich C.II.2.

17 Vgl. Securities and Exchange Commission, Invitation of the Republic of Argentina Prospectus Supplement to Prospectus dated 13.4.2010, 22; mit demselben Schluss, Beneze, Vand. J. Transnat’l L. 49 (2016), 245, 253.

18 Beneze, Vand. J. Transnat’l L. 49 (2016), 245, 246.

19 So auch das zuständige Gericht: „Put simply, President Macri’s election changed everything.“, United States District Court for the Southern District of New York, NML Capital Ltd. v. Argentina,No. 14 Civ. 04908 (S.D.N.Y. 19.2.2016), Injunction Lifting Order, 13.

20 Argentina Reaches Deal With 4 Hedge Funds Over Old Debt, New York Times vom 1.3.2016, S. B4 New York Edition.

21 United States District Court for the Southern District of New York, NML Capital Ltd. v. Argentina, No. 08 Civ. 6978 (S.D.N.Y. 29.02.2016), Exhibit 1, 2 ff.

22 Argentina returns to international markets with \$16.5bn debt sale, Financial Times, 20.04.2016, verfügbar unter: https://next.ft.com/content/67603844-0637-11e6-9b51-0fb5e65703ce (Zugriff: 5.11.2016).

23 So auch Kämmerer, MPEPIL State Bankruptcy, Rn. 2 f.; vgl. auch: Ohler, JZ 2005, 590; Herdegen, WM 2011, 913 ff.; a.A. Szodruch (Fn. 4), 65, der die strafrechtliche Konnotation des „Bankrotts“ im Deutschen hervorhebt.

24 So auch Kämmerer, ZaöRV 65 (2005), 651, 653; sowie Ohler, JZ 2005, 590, 593; a.A.Isensee, Der Staatsbankrott, in: Festschrift Selmer 2004, 687, 688.

25 Siehe dazu oben B.II.

26 Dazu unten C.II.

27 Zu der Behandlung zwischenstaatlicher Schulden vgl. unten C.III.1.b).

Eichberger, Argentinien12

Zum einen, dass Schwellenländer wie Argentinien ihre Staatsanleihen vornehmlich auf ausländischen Kapitalmärkten unter ausländischem Recht emittieren.28 Dementsprechend ist es größtenteils das innerstaatliche Recht dieser Staaten, welches die Folgen eines Zahlungsverzugs regelt und nicht etwa das Völkerrecht.29 Die zweite Besonderheit ist, dass Private, anders als Staaten, bei der Durchsetzung ihrer Forderungen zumeist keine Rücksicht auf eventuelle diplomatische Verwerfungen nehmen müssen. Beide Faktoren sind im Blick zu behalten, wenn man sich im Folgenden dem Vorgehen der Hold-Outs nähern möchte.

II. Die Durchsetzung der Hold-Outs und ihre Konsequenzen

Die gerichtlichen Auseinandersetzungen mit den Hold-Outs, die Argentinien letztendlich zu einem Vergleich zwangen, verdeutlichen, warum die Causa Argentinien überhaupt zum Anlass für eine Reform des internationalen Insolvenzregimes werden könnte. Der Ausgang des Verfahrens zwischen Argentinien und dem berühmten „Geier-Fonds“ NML Capital sowie seinen Mitstreiter soll dazu vor allem in Hinblick auf seine mögliche Wirkung als Präzedenzfall für zukünftige Restrukturierungen untersucht werden, um herauszuarbeiten, inwieweit sich die Machtverhältnisse zugunsten der Hold-Outs verschoben haben könnten.30

1. Pari-Passu-Klauseln, ihre Interpretation und deren Folgen

Um den „Sieg“ der Hold-Outs und seine Folgen einordnen zu können, ist zunächst ein Grundverständnis der pari-passu-Klauseln31, deren Interpretation im Zentrum des ausschlaggebenden Gerichtsverfahrens stand, notwendig. Dem Wortlaut nach32 enthalten pari-passu-Klauseln die Zusicherung Argentiniens, dass die Schuldverschreibungen sowohl innerhalb einer Klasse,33 als auch in Bezug auf alle übrigen gegenwärtigen und zukünftigen Auslandsverbindlichkeiten in gleichem Rang stehen.34 Es handelt sich dabei um Standardabreden bei internationalen Anleiheemissionen,35 deren genaue Rechtsfolgen jedoch hoch umstritten sind.36 Zusammengefasst stehen sich bei der Auslegung von pari-passu-Klauseln in Staatsanleihen zwei Ansichten gegenüber: Entweder kann man die Klauseln eng nur als Verpflichtung interpretieren, eine förmliche Unterordnung bestimmter Gläubiger zu unterlassen37 oder aber ihnen auf Grundlage einer weiten Auslegung darüber hinaus eine positive Pflicht entnehmen, alle Gläubiger gleichzeitig ihrem Anteil nach (pro rata) zu befriedigen.38 Der zweiten Ansicht folgten die New Yorker Gerichte in NML Capital v. Argentina, was letztendlich zu der einstweiligen Verfügung führte, die Argentinien verbot, andere Gläubiger zu bedienen, solange die Hold-Outs keine Zahlungen erhielten.39 Diese Verfügung war aber nicht nur an Argentinien gerichtet, sondern entfaltete auch Wirkung gegenüber den privaten Zahlungs- und Abwicklungsstellen von Argentiniens Transaktionen.40 Die Teilnahme am internationalen Kapitalverkehr wurde Argentinien damit de facto unmöglich gemacht. In dieser Drittwirkung liegt letztlich die Macht, welche die weite Auslegung der pari-passu-Klauseln Hold-Out Gläubigern verleiht: Während das materielle Bestehen ihrer Forderung nämlich selten Zweifel aufwirft, existieren aufgrund der staatlichen Immunität im Vollstreckungsverfahren extreme Schwierigkeiten, die Ansprüche zu verwirklichen.41 Indem der Schuldnerstaat durch die einstweilige Verfügung jedoch vom Kapitalmarkt abgeschnitten wird, erhalten die Gläubiger ein wirkungsvolles Instrument zur Durchsetzung ihrer Forderung.

2. Dauerhafte Gefahr für Schuldenrestrukturierungen?

Durch die weite pari-passu-Interpretation wird das Spektrum der möglichen Komplikationen für eine erfolgreiche Umstrukturierung um eine Komponente erweitert. So werden Gläubiger, welche die Aussicht haben, entweder gänzlich befriedigt zu werden oder aber im Vergleich zu späteren Hold-Outs schlechter dazustehen, deutlich weniger geneigt sein, an konstruktiven Umschuldungen teilzunehmen.42 Das zuständige Gericht war sich dieser Gefahr durchaus bewusst und betonte daher den Einzelfallcharakter der


28 Die meisten Emissionen erfolgen nach wie vor in New York und London vgl. Herdegen, WM 2011, 913, 914.

29 Auf die umstrittene Frage, ob der völkerrechtliche Notstand auch Leistungsverweigerungsrechte bezüglich Verbindlichkeiten bei privaten Gläubigern begründet, soll hier nicht eingegangen werden; dazu aber ausführlich Reinisch, ZaöRV 68 (2008), 3, 22 ff.; Kleinlein, AVR 44 (2006), 405, 413 f.; ablehnend BVerfG, NJW 2007, 2610; a.A. Richterin Lübbe-Wolff im Sondervotum BVerfG, NJW 2007, 2610, 2614 ff.

30 Für eine materiell-rechtliche Bewertung der Urteile vgl. Olivares-Caminal, Law & Bus. Rev. Am. 15 (2009), 745; Szodruch-Arnold, Recht der Staateninsolvenzen, in: Festschrift Walther-Schücking-Institut 2014, 659; United States Court of Appeals for the Second Circuit, NML Capital Ltd. v. Argentina, 892 F. Supp 2d. 530, No. 12-105 (2d Cir. 28.12.2012)U.S Amicus Curiae Brief, 10 ff.; insbesondere zur Immunität, Weidemaier, U. Ill. L. Rev. 1 (2014), 67.

31 Der lateinische Ausdruck bedeutet wörtlich übersetzt „im gleichen Schritt“.

32 Für eine deutschsprachige pari-passu-Musterklausel siehe etwa Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, 513 (dortige Fn. 802); zum Wortlaut der streitigen Klausel in den argentinischen Anleihebedingungen siehe United States Court of Appeals for the Second Circuit, NML Capital, Ltd. v. Republic of Argentina, 699 F.3d 246, 258 (2d Cir. 26.10.2012) 4 f.

33 Eine Anleiheklasse ist die durch eine einzige Emission im Rechtssinne in Umlauf gebrachte Serie an Anleihen, vgl. Hoffmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684, 711.

34 Vgl. Baars/Böckel, ZBB 2004, 445, 454 f.

35 Hartwig-Jacob (Fn. 33), 515; in vielen nationalen Rechtsordnungen werden Gläubigergruppen gebildet, die in einer bestimmten Reihenfolge befriedigt werden, was pari-passu-Klauseln obsolet macht,vgl. etwa nach deutschem Recht § 39 InsO.

36 Lange war unter Kommentatoren gänzlich unklar, was die Klauseln in staatlichen Auslandsanleihen überhaupt bewirken (sollen), sehr illustrativ dafür Buchheit/Pam, Emory L.J. 53 (2004), 869, 875 (dortige Fn. 12).

37 So die überwiegenden Stimmen in der Literatur vgl. etwa Bratton, Emory L. J. 53 (2004), 823, 833 ff.; Buchheit/Pam, Emory L.J. 53 (2004), 869, 917 ff.; Gulati/Klee, Bus. Law. 56 (2001), 635, 650; Paulus, WM 2013, 489, 490; wohl auch Hartwig-Jacob (Fn. 33), 516.

38 Zur dogmatischen Herleitung, vgl. die Erklärung von Prof. Lowenfeld im Verfahren Elliot Assocs L.P. v. Banco de la Nacion, No. 96 Civ. 7916, (S.D.N.Y. 31.8.2000), Rn. 1, 8; darauf Bezug nehmend Buchheit/Pam, Emory L.J. 53 (2004), 869, 878 ff.; NML Capital v. Argentina, Injunction, Fn. (16), 2.

39 NML Capital v. Argentina, Injunction, Fn. (16), 4.

40 NML Capital v. Argentina, Injunction, Fn. (16), 4.

41 Vgl. Bratton, Emory L. J. 53 (2004), 823, 824 f.; Gelpern, Emory L. J. 53 (2004), 1115, 1124 ff.

42 Ähnlich Paulus/van den Busch, WM 2014, 2025, 2027; sowie UN Human Rights Office of the High Commissioner, Hold-Out deal makes solving debt crises more difficult, Information Note, 8.3.2016.

Eichberger, Argentinien13

Entscheidung, die nicht ohne Weiteres auf andere Fälle übertragen werden könne.43 Gleichwohl erscheint es gut möglich, dass die „Geier-Fonds“ durch den Ausgang des langwierigen Prozesses in ihren Bemühungen noch bestärkt werden. Auch die International Capital Markets Association (ICMA)44 scheint eher um Schadensbegrenzung bemüht zu sein als das Urteil als Einzelfall abzutun und veröffentlichte 2014 neue pari-passu-Musterklauseln, die explizit eine pro rata Auslegung ausschließen sollen.45 Bis diese allerdings ausreichende Verbreitung in Anleihebedingungen gefunden haben, werden noch Jahre vergehen. Dementsprechend besteht das hohe Risiko, dass die Mitwirkungsbereitschaft von Gläubigern an Restrukturierungen sinkt und es in naher Zukunft zu weiteren „pari-passu-Verfahren“ kommen wird. Umso wichtiger erscheint es vor diesem Hintergrund, einen Blick auf die derzeitigen Mechanismen zur Bewältigung von staatlicher Zahlungsunfähigkeit zu werfen, um zu sehen, ob solchen Entwicklungen auf internationaler Ebene in Zukunft vorgebeugt werden kann.

III. Auswirkungen der Argentinienkrise auf die Behandlung des Staatsbankrotts

Die Zahlungsunfähigkeit vom Schuldnern stellt Rechtssysteme vor besondere Herausforderungen: Auf der einen Seite sollen die Forderungen der Gläubiger möglichst gerecht bedient46 und auf der anderen Seite im besten Fall die zukünftige Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt werden.47 Gleichwohl zeigt die oben dargestellte Entwicklung, dass im Fall Argentiniens die Gläubiger, insbesondere durch den Vergleich mit den Hold-Outs, alles andere als gleichbehandelt wurden und auch die zukünftige Zahlungsfähigkeit Argentiniens nicht ohne Weiteres angenommen werden kann.48 Im Folgenden soll zunächst die Bewältigung von Staatsbankrotten allein auf Grundlage von Verhandlungen präsentiert (C.III.1.) und anschließend dem Entwurf eines kodifizierten Insolvenzverfahrens gegenübergestellt werden (C.III.2.). Letztlich wird die Bewältigung von Staatsbankrotten auf Grundlage spezieller Vertragsklauseln vorgestellt (C.III.3.). Die argentinische Schuldenkrise ist dabei zum einen instruktiv für die derzeitigen Mechanismen und soll zum anderen als möglicher Katalysator für zukünftige Entwicklungen bewertet werden.

1. Die Bewältigung von Staatsbankrotten durch Verhandlungsforen

a) Fehlen eines Insolvenzrechts für Staaten als Ausgangspunkt

Während im nationalen Recht die Ziele der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung und Resolvenz durch ein formalisiertes Insolvenzverfahren verwirklicht werden, welches Unternehmen49 offensteht, existiert im Völkerrecht kein vergleichbares Instrument für Staaten. Das Fehlen eines kodifizierten staatlichen Insolvenzrechts hat seine Ursache dabei nicht in der mangelnden Fähigkeit von Staaten, Bankrott zu gehen,50 sondern in deren Souveränität: So geht mit einem Insolvenzverfahren ein Souveränitätsverlust aller Beteiligten einher.51 Da Staaten rechtlich gleichgeordnet sind, wäre nur auf der Grundlage ihres Konsenses, sowohl auf Schuldner- als auch auf Gläubigerseite, die Etablierung eines förmlichen Insolvenzverfahrens möglich, was jedoch auf beidseitigen Widerstand stößt.52 Zudem schließt die Funktion des Staates als Garant sozialer Basisleistungen eine Liquidation, wie sie Ergebnis eines Insolvenzverfahrens für private Gesellschaften sein kann,53 von vornherein aus.54 Gleichwohl verlangt die wirtschaftliche Realität einen Umgang mit zahlungsunfähigen Staaten,55 was sich in einer gewissen Staatenpraxis und multilateralen Lösungsansätzen niedergeschlagen hat.

b) Umschuldungsverhandlungen mit den Gläubigern: Pariser Club und Londoner Club

Kern der Beendigung der argentinischen Schuldenkrise und der meisten Staatsbankrotte der jüngeren Geschichte waren Umschuldungen, also der Austausch einer Verbindlichkeit gegen eine andere Verbindlichkeit mit geringerem Nominalwert, geringerer Laufzeit oder geringeren Zinsen, wodurch die Schuldnerstaaten entlastet werden.56 Die Umschuldungen werden, je nachdem, ob es sich bei dem Gläubiger um eine internationale Organisation, einen Staat oder private Akteure handelt, auf unterschiedlichem Wege erreicht.

Für Verhandlungen über die Restrukturierung zwischenstaatlicher Schulden hat sich der Pariser Club herausgebildet, wo in Krisenfällen Schuldner- und Gläubigerstaaten über Änderungen der Darlehenskonditionen verhandeln.57 Als informelle Runde bietet der Pariser Club allerdings kein Verfahren, an dessen ein Ende ein völkerrechtliches Abkommen steht, sondern drückt lediglich eine Empfehlung in Form von „Agreed Minutes“ aus, welche anschließend von den Staaten


43 NML Capital Ltd. v. Argentina, United State Court of Appeals for the Second Circuit, 727 F.3d 230, 238 (2d Cir. 23.8.2013), 23: „`But this case is an exceptional one with little apparent bearing on transactions that can be expected in the future.”

44 Dabei handelt es sich um einen Branchenverband von Kapitalmarktteilnehmern, dessen Musterklauseln weite Verbreitung in Anleihebedingungen gefunden haben.

45 So heißt es in den neuen Musterklauseln: „… the Issuer shall have no obligation to effect equal or rateable payment(s) at any time…”, ICMA, Standard Pari Passu Provision for the Terms and Conditions of Sovereign Notes, 2014.

46 Vgl. für das innerstaatliche Recht Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 2014, Rn. 1.

47 Vgl. Herdegen, WM 2011, 913, 914 f.

48 Trotz Argentiniens erfolgreicher Rückkehr an die Kapitalmärkte sind die wirtschaftlichen Zukunftsprognosen durchwachsen, vgl. IWF, Argentina Economic Developments, Country Report 16/69, 25.4.2016, 2, 12 ff.

49 In Deutschland sind nach nationalen Recht öffentlich-rechtliche Personen vom Insolvenzverfahren gemäß § 12 I InsO ausgeschlossen, während in den USA zumindest Kommunen nach „Chapter 9“ (11 U.S.C. §§ 901 et seq.) ein Insolvenzverfahren offensteht.

50 A.A. etwa Isensee (Fn. 24), 687, 688.

51 Vgl. Kämmerer, MPEPIL State Bankruptcy, Rn. 1.

52 Vgl. Dolzer, Staatliche Zahlungsunfähigkeit, in: Festschrift Partsch, 1989, 531, 540.

53 Vgl. etwa §§ 131 I Nr. 3 HGB, 262 I Nr. 3 AktG, 60 I Nr. 4 GmbHG.

54 Vgl. Kratzmann, JZ 1982, 319, 322; Lehmann, Konkursfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, 1999, 61.

55 In den letzten 100 Jahren waren ungefähr 200 Staatsbankrotte zu verzeichnen, Reinhart/Rogoff, Acht Jahrhunderte Finanzkrisen, 2010, 154 f.

56 Vgl. Bratton, Emory L. J. 53 (2004), 823, 828.

57 Reinisch, Ein Völkerrechtlicher Staateninsolvenzmechanismus, in: Kodek/Reinisch (Hrsg.), Staateninsolvenz, 2011, 163, 165; näher Schier, Reorganisation System, 83 ff.

Eichberger, Argentinien14

bilateral in Vertragsvereinbarungen gegossen wird.58

Ein genauso informelles Gremium bildet der Londoner Club, wo verschuldete Staaten mit Geschäftsbanken versuchen können, eine Umschuldungsvereinbarung zu erreichen.59 Beide Verfahren sind konsensbasiert: Sie werden auf Antrag des Schuldnerstaates eingeleitet und entfalten nur mit Zustimmung der Beteiligten Bindungswirkung für alle Betroffenen.60 Trotz dieser Unverbindlichkeit gelang es mittels beider Foren der Mehrzahl der Schuldenkrisen bis in die 1990er Jahre, zumindest vorübergehend, Herr zu werden, was unter anderem durch eine enge Kooperation mit dem IWF ermöglicht wurde.

c) Die Rolle des IWF

Der IWF nahm bei Umschuldungen im Rahmen der dargestellten Art bisher eine Hybridrolle ein: Auf der einen Seite war er Gläubiger, der Staaten als letzte Möglichkeit zur Kapitalbeschaffung zur Verfügung stand („lender of the last resort“). Auf der anderen Seite war er institutionalisierter Vermittler zwischen den Schuldnerstaaten sowie privaten und staatlichen Gläubigern.61 Zur Unterstützung von Staaten mit Zahlungsschwierigkeiten stellt der IWF eine Reihe von Fazilitäten zur Verfügung, wobei Argentinien 2001 insbesondere von den sog. stand-by-Krediten62 Gebrauch machte, die nur unter Reformauflagen gewährt werden (sog. Konditionalität).63 Indem derartige Konditionalität zum Gegenstand der Vereinbarungen im Pariser und Londoner Club gemacht wurde, kam es regelmäßig zu einer Verzahnung der IWF-Programme mit den informellen Verhandlungsforen.64

d) Der Strukturwandel privater Gläubiger und seine Folgen

Dass im Fall Argentiniens keine Lösung auf diesem Weg gelingen konnte, hatte seine Ursache vor allem in der Gläubigerstruktur, die sich seit Anfang der 1990er Jahre bedeutend gewandelt hat. Während Staaten früher ihren Kreditbedarf vor allem bei Geschäftsbanken abdeckten,65 ist an deren Stelle heute zu großen Teilen die Finanzierung mittels der Emission von Staatsanleihen getreten.66

Die Argentinienkrise ist dafür geradezu repräsentativ: Die Zinsansprüche privater Gläubiger gegen Argentinien waren zum Zeitpunkt des Staatsbankrotts 2002 in sechs verschiedenen Währungen denominiert, acht verschiedenen Jurisdiktionen unterworfen und wurden von mehr als 500.000 verschiedenen Gläubigern gehalten.67 Für diese bildete sich mit dem Global Committee of Argentine Bondholders zwar eine Art Dachorganisation, aber diese war nur in der Lage, für ihre freiwilligen Mitglieder verbindliche Entscheidungen zu treffen.68 Genau diese systemische Schwäche wurde durch die Klagen der Hold-Out Gläubiger offenbart: Wo das nationale Recht etwa mittels eines Insolvenzplans Bindungswirkung stipulieren kann,69 gilt keine vergleichbare Regel im Völkerrecht, was es einzelnen Gläubigern erlaubt, nach ihrem Gutdünken an Schuldenrestrukturierungen teilzunehmen. Zu der Lösung dieses Problems haben sich im Kern zwei Ansätze herausgebildet, zu deren Ausformung die Argentinienkrise konstituierend war: ein kodifizierter Ansatz, der ein formelles Insolvenzverfahren für Staaten etablieren will, und ein vertraglicher Ansatz, der auf eine Lösung des Problems durch die Vertragsbedingungen der Staatsanleihen setzt.

2. Die argentinische Zahlungsunfähigkeit als Katalysator für die Entstehung eines kodifizierten Staateninsolvenzverfahrens?

a) Vorschlag des IWF: Der Sovereign Debt Restructuring Mechanism

Der wohl prominenteste Vorschlag basiert auf der Schaffung eines institutionalisierten Sovereign Debt Restructuring Mechanism (SDRM), welcher auf die ehemalige stellvertretende Direktorin des IWF, Anne Krueger, zurückgeht.70 Das Ziel des 2002, kurz nach dem Höhepunkt der argentinischen Finanzkrise, vorgestellten SDRM war, Anreize für Staaten und Gläubiger zu setzen, gemeinsam auf eine zügige und einvernehmliche Lösung hinzuwirken.71 Dafür bediente sich der IWF Elemente nationaler Insolvenzordnungen, die dann in bestimmten Punkten modifiziert wurden, um den besonderen Anforderungen einer staatlichen Insolvenz gerecht zu werden.72 Kernaspekte waren unter anderem, dass eine Mehrheit der Gläubiger (supermajority) auch gegen den Willen der Minderheit verbindliche Restrukturierungsvereinbarungen mit den Schuldnerstaaten treffen können sollte, sowie die Schaffung einer unabhängigen Instanz (dispute resolution forum), um die Streitigkeiten, die sich aus den Umstrukturierungen


58 Vgl. Hahn, Völkerrechtliche Darlehens- und Garantieabkommen, in: Festschrift Seidl-Hohenveldern, 1988, 173, 187 f.; so auch zwischen Argentinien und seinen Gläubigerstaaten, vgl. Paris Club Press Release, „The Paris Club and the Argentine Republic Agree to a Resumption of Payments and to Clearence of all Arrears“, 29.5.2014.

59 Vgl. ILA Sovereign Insolvency Report 2010, 13; Olivares-Caminal, Legal Aspects (Rn. 7), Rn. 3-003.

60 Reinisch (Fn. 58), 165.

61 Insbesondere nimmt der IWF mittels seiner Kreditvergabe nach Zahlungsverzug (lending-into-arrears Politik) Einfluss auf die Verhandlungen, vgl. dazu die ausführliche Analyse von Simpson, The Role of the IMF in Debt Restructurings, UNCTAD, G-24 Discussion Paper Series No. 40, 2006, 9 ff.

62 Vgl. Art. XXX (b) IWF-Übereinkommen; ausführlich Bradlow, International Law and the Operations of the IFIs, in: Bradlow/Hunter (Hrsg.), International Financial Institutions & International Law, 2010, 6 f.

63 Die Verpflichtungen der Schuldnerstaaten werden über einen „letter of intent“ an den IWF und ein anschließendes Memorandum of Understanding zwischen Schuldnerstaat und IWF konstruiert, vgl. Hagan, Reforming the IMF, in: Giovanoli/Devos (Hrsg.), International Monetary and Financial Law, 2010, 40, Rn. 2.49.

64 Die Einhaltung der IWF-Konditionen wurde Vertragsbestandteil der Umschuldungsverträge mit den Gläubigerbanken gemacht und für eine Verhandlung mit dem Pariser Club war die Programmdurchführung nach Art. IV IWF-Übereinkommen notwendig, vgl. IWF (Fn. 15), 15.

65 Im Wege sog. Konsortialkredite, siehe dazu Szodruch (Fn. 4), 60 f.

66 Hagan, Geo. J. Int’l L. 36 (2005), 299, 303.

67 Szodruch (Fn. 4), 117.

68 Vgl. Tietje, Argentinien-Krise aus rechtlicher Sicht, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, 2005, 7.

69 Vgl. im deutschen Recht § 245 InsO, dazu Bork (Fn. 47), Rn. 338.

70 Vgl. Krueger, A New Approach to Sovereign Debt Restructuring, IMF Publication Service, 2002.

71 IWF, Proposed Features of a Sovereign Debt Restructuring Mechanism, 12.2.2003, 2.

72 Krueger (Fn. 71), 12.

Eichberger, Argentinien15

ergeben würde, beizulegen.73 Die Kodifikation der damals noch vage formulierten Grundsätze wäre auf die Schaffung eines Insolvenzrechts für Staaten auf Völkerrechtsebene mit Parallelen zu den Chapter 9-Verfahren74 des U.S.-amerikanischen Rechts hinausgelaufen – zu der es jedoch nie gekommen ist.

b) Herausforderung der Etablierung eines Staateninsolvenzverfahrens am Beispiel des SDRM

Argumente gegen die Etablierung des SDRM rührten sowohl aus rechtlichen als auch ökonomischen Bedenken: Die Ansätze seien unausgereift gewesen75 und gerade für weniger solvente Staaten werde die Möglichkeit der Kapitalaufnahmen an Kapitalmärkten generell gefährdet.76 Während es richtig ist, dass der Mechanismus in seinem Entwicklungsstadium noch viele Fragen offenließ, lässt die Schärfe der Kritik an möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen andere Beweggründe vermuten: so könnte es zwar vereinzelt zu schlechteren Konditionen an den Kapitalmärkten für gefährdete Staaten nach der Einführung eines institutionalisierten Insolvenzverfahrens kommen, da ein möglicher Zahlungsausfall vor Augen geführt wird, allerdings sollte Investoren die Möglichkeit einer Zahlungsunfähigkeit auch so schon bewusst sein – schließlich lassen sie sich dieses Risiko in Höhe der Zinsen auf die Staatsanleihen ausbezahlen.77 Viel mehr als inhaltlich zu überzeugen, führen die Argumente gegen ein kodifiziertes Verfahren vor Augen, dass das Problem der Umsetzbarkeit seinen Ursprung weniger in der materiell-rechtlichen Ausformung als in der politisch-rechtlichen Machbarkeit hat, da auf Seiten der Staaten kein Wille besteht, sich einem solchen Regime freiwillig zu unterwerfen.78 Mangels Völkergewohnheitsrecht oder allgemeinen Rechtsprinzipien, die ein formelles Staateninsolvenzverfahren vorschreiben, wäre die einzige Möglichkeit internationale Verbindlichkeit für ein solches zu schaffen, wenn Staaten sich mittels eines Vertrags bänden.79 Für den SDRM hatte der IWF eine Änderung des IWF-Übereinkommens vorgesehen, welche mit einer qualifizierten Mehrheit von 3/5 der Mitgliedsstaaten, die 85% des Stimmgewichts halten, im Gouverneursrat erreicht werden könnte.80 Allerdings rückte bereits der Widerstand der USA,81 welche im Gouverneursrat über eine Sperrminorität verfügen,82 diese Option in weite Ferne und auch sonst war die Reaktion der Staatenwelt auf den Vorschlag sehr zurückhaltend. Dementsprechend gelangte der SDRM nie über das Embryostadium hinaus.

c) c) Lehre aus der argentinischen Umschuldung: Neue Dynamik in der UN?

Gleichwohl scheint sich vor allem durch die argentinische und griechische Finanzkrise in der Staatengemeinschaft ein erhöhtes Bewusstsein für die Problematik anzudeuten, was sich auf lange Sicht in einem Paradigmenwechsel niederschlagen könnte: So forderte die Staatengruppe der G 77 + China unter Federführung Argentiniens 2014 die Einführung eines geordneten Insolvenzverfahrens in einer Resolution, die von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde.83 Gemeinsam mit den USA stimmte Deutschland allerdings als einer von elf Staaten gegen das Vorhaben.84 Die USA begründeten ihre Ablehnung damit, dass die UN nicht das adäquate Forum seien und lieber ein vertragliches Lösungsmodell weiterverfolgt werden sollte.85

Abgesehen davon dürften die Nein-Stimmen dem eher schuldnerfreundlichen Ansatz des Vorschlags geschuldet gewesen sein, der sich auch in der aktualisierten Resolution der G 77 + China wiederfindet. So betont die aktuelle Resolution86 etwa die Immunität für Schuldnerstaaten im gerichtlichen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren,87 was wohl als Seitenhieb auf das Vorgehen der US-Gerichte betrachtet werden kann. Allerdings ist dies auch bereits einer der „radikaleren“ Punkte in der Resolution.88 So wird die Einführung eines formellen Insolvenzverfahrens nicht mehr direkt erwähnt, sondern lediglich die Umsetzung von neun, weich formulierten Prinzipien vorgeschlagen. Ein ernsthafter Vorschlag zur Einführung eines Insolvenzverfahrens auf Initiative der UN ist daher auch in der Zukunft trotz des Engagements der G 77 + China nicht zu erwarten. Auch vonseiten des IWF ist ein erneuter Anlauf in dieser Hinsicht nach dem Scheitern des SDRM kaum denkbar. Vielmehr setzte sich der Fonds in einem Positionspapier 2014 für die Weiterentwicklung einer vertragsbasierten Lösung der Insolvenzproblematik ein.89 Ein kodifiziertes Insolvenzrecht für Staaten bleibt daher bis auf Weiteres höchst unwahrscheinlich.

3. Die vertragliche Lösung: Collective Action Clauses

a) Vorteile einer dezentralisierten vertraglichen Lösung

Mehr Unterstützung erhält hingegen die vertragliche Alternative zu einem formellen Insolvenzverfahren, die auf der


73 Für alle Punkte vgl. IWF, SDRM Proposed Features (Fn. 72), 4 ff.; zusammenfassend mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Kämmerer, ZaöRV 65 (2005), 651, 656 ff.; Olivares-Caminal, Legal Aspects (Rn. 7), Rn. 3-007.

74 Siehe dazu oben Fn. (50).

75 Vgl. Kämmerer, ZaöRV 65 (2005), 651, 672 f.; Simpson (Fn. 62), 3 ff.

76 Vgl. Arora/Caminal, Law & Bus. Rev. Am. 9 (2003), 629, 636.

77 Vgl. Langen, Völker- und europarechtliche Fragen des Staatsbankrotts, 2014, 23.

78 So auch Euliss, Am. U. Int’L. Rev., 19 (2003), 107, 126.

79 Zu den Rechtsquellen siehe Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, 2012, 20, 30.

80 IWF, SDRM Proposed Features (Fn. 72), 17, vgl. Art. XXXVIII (a) IWF-Übereinkommen.

81 Vgl. für U.S. Finanzministerium: Taylor, Sovereign Debt Restructuring: A U.S. Perspective, Rede auf bei der Conference on Sovereign Debt Workouts: Hopes and Hazards?, Institute for International Economics, 1.-2. April, 2002, Washington, D.C.

82 Vgl. Art. XXVIII (a) IWF-Übereinkommen, dazu auch Kämmerer, ZaöRV 65 (2005), 651, 672.

83 Towards the establishment of a multilateral legal framework for sovereign debt restructuring processes, GA Res A/RES/68/304, 17.9.2014.

84 Paulus, ZInsO, 2014, 2315.

85 Siehe die Äußerungen von der U.S. Vertreterin Terri Robl in der UN-Generalversammlung, Official Records of the 107th plenary meeting of the General Assembly, 9.9.2014, A/68/PV.107, 5/29.

86 Basic Principles on Sovereign Debt Restructuring Processes, GA Res A/RES/69/319, 29.9.2015; zu dieser vertiefend Paulus, RIW 2016, 93 f.

87 Basic Principles (Fn. 87), Principle 6.

88 Argentinien versuchte vergeblich die Forderung nach einem „Multilateral Sovereign Debt Restructuring Mechanism“ implementieren, dazu ausführlich und sehr kritisch: Paulus, WM 2015, 953, 954 ff.

89 Vgl. IWF, Strengthening The Contractual Framework to Address Collective Action Problems in Sovereign Debt Restructuring, 2.9.2014.

Eichberger, Argentinien16

Einbettung besonderer Umschuldungsklauseln (sog. Collective Action Clauses, CACs) in die Vertragsbedingungen von Staatsanleihen beruht. Dieses dezentralisierte Lösungsmodell will ermöglichen, die Konditionen der Anleihen, also Fälligkeit, Zins oder Nennwert, nachträglich durch eine vertragliche Einigung zwischen den Parteien zugunsten des Schuldnerstaates abzuändern. Insoweit läuft die Umschuldung parallel zu den Grundgedanken der etablierten Mechanismen im Londoner und Pariser Club. Der überragende Vorteil eines solchen dezentralisierten Ansatzes gegenüber einem institutionalisierten Insolvenzverfahren liegt in der vergleichsweise einfachen politisch-rechtlichen Umsetzbarkeit, die ohne ein multilaterales Vertragswerk auskommt. Zudem bleibt – zumindest in der Theorie – den Staaten und ihren Vertragspartnern selbst überlassen, die Vertragsbedingungen im Detail nach ihrem Bedarf maßzuschneidern.90 Um den Vorteilen eines formellen Insolvenzverfahrens möglichst nahe zu kommen, haben sich verschiedene Arten von Klauseln herausgebildet, für deren Entwicklung insbesondere die Modellklauseln der Group of Ten (G-10) aus dem Jahr 200291 von Bedeutung waren.

b) Typologie von Collective Action Clauses

Der Kerngedanke von CACs ist, die Koordination einer ausdifferenzierten Gläubigergruppe zu ermöglichen und notfalls auch die Zustimmung von Hold-Outs zu erzwingen. Dies soll an erster Stelle durch Mehrheitsänderungsklauseln (majority action clauses) umgesetzt werden, welche als wichtigste Art der CACs gelten92 und weite Verbreitung in Anleihebedingungen erreicht haben.93 Sie verringern das Zustimmungsquorum für eine Änderung der Anleihebedingungen auf einen Wert, der meistens etwa um 75% Gläubigerbeteiligung (supermajority) liegt.94 Dadurch wird ermöglicht, dass mehrheitsfähige Umschuldungsvereinbarungen zwischen Schuldnerstaat und Gläubigern auch gegen den Willen einer kleinen Minderheit, wie den oben erwähnten „Geier-Fonds“, durchgesetzt werden können. Daneben wurden von den G-10 etwa Klauseln empfohlen, die darauf abzielen, die Kommunikation zwischen Schuldnerstaat und Gläubigern zu verbessern, indem sie dem Staat Informationspflichten auferlegen oder den Gläubigern einen einheitlichen Repräsentanten verordnen.95 Diese haben bis dato aber keine vergleichbare Verbreitung wie Mehrheitsänderungsklauseln gefunden.

c) Bedeutungsgewinn von Aggregationsklauseln als Auswirkung des argentinischen Umschuldungsprozesses

Die argentinische Schuldenkrise hat sich in mehrfacher Hinsicht auf die Nutzung von CACs in Anleihebedingungen ausgewirkt. Zum einen ist die Krise wohl überhaupt ursächlich dafür, dass CACs standardmäßigen Einzug in die Teilschuldverschreibungen gehalten haben,96 denn erst nach 2003 wurden Staatsanleihen auch in New York (und später Deutschland) regelmäßig mit CACs versehen.97

Zum anderen hat die Hold-Out Problematik auch zur materiell-rechtlichen Weiterentwicklung der CACs beigetragen. So hatten die ab 2003 vereinbarten Mehrheitsänderungsklauseln noch den großen Nachteil, dass zwar eine qualifizierte Gläubigermehrheit die Vertragsbedingungen modifizieren konnte, diese Mehrheit aber in jeder Anleiheklasse – wovon im Fall Argentiniens 152 in Umlauf waren98 – gefunden werden musste. Diese Problematik ist aus dem innerstaatlichen Recht bekannt, welches bei Unternehmensinsolvenzen in Deutschland etwa mit dem sogenannten Obstruktionsverbot Abhilfe schafft (vgl. § 245 I InsO), das die Verbindlichkeit eines Insolvenzplans gläubigergruppenübergreifend festlegt.99 Das vertragliche Pendant dazu sind Aggregationsklauseln. Diese ermöglichen, dass eine qualifizierte Mehrheit an Anleihegläubigern verbindlich Umstrukturierungen über Anleiheklassen hinweg zustimmen kann.100 Zunehmende Verbreitung auf den internationalen Kapitalmärkten fanden die Klauseln erst nach der griechischen Finanzkrise und der anschließenden zweiten Zahlungsunfähigkeit Argentiniens. So werden seit 2013 alle von EU Mitgliedstaaten emittierten Staatsanleihen nicht nur mit Mehrheitsänderungs- sondern auch Aggregationsklauseln versehen.101 Ferner veröffentlichte die ICMA 2014 neue Modell-CACs mit Aggregationsklauseln,102 was Mitglieder der Expertenkommission mit einem explizitem Verweis auf die Erfahrungen aus der argentinischen Schuldenkrise begründeten.103

d) CACs als Lehre aus der Schuldenkrise und Lösung der Insolvenzproblematik?

Somit scheint sich die vertragliche Lösung gegenüber einem kodifizierten Staateninsolvenzrecht vorerst durchgesetzt zu haben. Die entscheidende Frage ist, ob CACs auch geeignet sind, Finanzkrisen „argentinischen Ausmaßes“ in Zukunft zu bewältigen und nicht lediglich die „bequemere“ aber letztlich unzureichende Alternative darstellen. Als Kritik an der CAC-Praxis werden im Kern zwei Argumente vorgetragen. Erstens soll Staatsanleihen, welche CACs enthalten, das Stigma der erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls anhaften, was wiederum einen Wettbewerbsnachteil auf den


90 Vgl. Olivares-Caminal, Legal Aspects (Rn. 7), Rn. 3-010.

91 Die G-10 ist eine Staatengruppe mit zehn Mitgliedern, die Teilnehmer der General Agreements to Borrow sind und dem IWF dadurch die Möglichkeit geben, sich große Währungsmengen auszuleihen; für die Modellklauseln siehe: G-10, Report of the G-10 Working Group on Contractual Clauses, 26.9.2002.

92 Vgl. G-10-Report (Fn. 92), 3: „… probably the most critical component of the package…”.

93 Olivares-Caminal, Legal Aspects (Rn. 7), Rn. 3-010.

94 Vgl. Langen (Fn. 78), 96.

95 Dazu ausführlich Hartwig-Jacob, Die Vorteile der Anwendung von „Collective Action Clauses“ bei Staatsanleihen, in: Festschrift Horn, 2008, 716, 722 ff.

96 Vgl. Fried/Haley, Lessons from Emerging Markets for Advanced Economies, in: Giovanoli/Devos (Hrsg.), International Monetary and Financial Law, 2010, 69, Rn. 3.80.

97 Galvis/Saad, Geo. J. Int’L. 35 (2004), 713, 717 ff.; zur historischen Begründung, warum CACs an beiden Orten zunächst unüblich waren, Szodruch (Fn. 4), 220 ff.

98 Szodruch (Fn. 4), 228.

99 Vertiefend dazu Bork, (Fn. 47), Rn. 338.

100 Hartwig-Jacob (Fn. 96), 716, 730 f.

101 Art. 12 III ESM-Vertrag, EUCO 10/1/11 REV 1, Anlage II, 31; vgl. auch Sester, WM 2011, 1057, 1058.

102 ICMA, Standard Aggregated Collective Action Clauses for the Terms and Conditions of Sovereign Notes, August 2014; die neuen Musterklauseln wurden zusammen mit den reformierten pari-passu-Klauseln veröffentlicht, vgl. Fn. (46).

103 So etwa Gelpern, A Sensible Step to Mitigate Sovereign Bond Dysfunction, Realtime Economic Issues Watch, Peterson Institute for International Economics, 29 August 2014.

Eichberger, Argentinien17

Kapitalmärkten darstellen könnte.104 Diese Behauptung hat sich bis heute empirisch jedoch nicht belegen lassen. Im Gegenteil hat die Einführung von CACs in manchen Fällen zur Verbesserung der Anleihekonditionen geführt.105

Schwerer wiegt der zweite Kritikpunkt, der anführt, dass CACs im Fall von Auslandsanleihen nur sukzessive im Wege neuer Emissionen umfassende Verbreitung in Anleihebedingungen finden werden.106 Ihre volle Wirkung entfalten die Klauseln jedoch erst, wenn quasi alle Anleihen eines Staates mit ihnen versehen sind, da Gläubiger von Altanleihen sonst theoretisch weiterhin versuchen können, ihre Rechte unilateral einzuklagen. In Anbetracht der oftmals langen Laufzeit von Staatsanleihen und einer Schätzung des IWF, wonach 2014 gerade einmal 6 % der in Umlauf befindlichen Staatsanleihen mit Aggregationsklauseln versehen waren,107 ergibt sich ein längerer Übergangszeitraum, in dem sie ihre Wirkung nicht entfalten könnten.108

Diese Schwächen verdeutlichen die Janusköpfigkeit der vertraglichen Natur der CACs: Auf der einen Seite führt diese zu der einfacheren Implementierung als ein kodifiziertes Insolvenzverfahren, auf der anderen Seite stehen sich stets zwei formell gleichberechtigte Vertragsparteien gegenüber, die prima facie nur im gegenseitigen Einvernehmen zu einer Lösung kommen können.

CACs gewinnen jedoch deutlich an Anziehungskraft, wenn man sich die derzeitige Alternative vor Augen führt: Solange von Staatenseite kein Konsens zur Schaffung eines kodifizierten Insolvenzrechts vorliegt, bleibt einzelnen Gläubigern weiterhin die Möglichkeit, die Restrukturierung ganzer Staatshaushalte zu torpedieren. Folglich sind CACs nicht die Lösung aller Probleme, die mit Staatsbankrotten verknüpft sind, bilden aber den praktikabelsten und vor allem einzigen Ansatz, der derzeit zur Verfügung steht.

D. Bilanz für Argentinien und Folgen für die Staatengemeinschaft

I. Argentiniens Umgang mit dem Staatsbankrott

Wie die Abwicklung der Finanzkrise als Ganzes für Argentinien zu bewerten ist, ist weniger eindeutig zu beantworten, als es auf den ersten Blick erscheint. So gelang es Argentinien durch den extrem harten Verhandlungsstil deutlich bessere Konditionen für die beiden Umschuldungen 2005 und 2010 durchzusetzen als anderen Staaten.109 Auch genoss Argentinien für die Mehrzahl der Jahre nach dem Bankrott außergewöhnlich hohe Wachstumsraten, was durch die Umschuldung und Einstellung großer Teile des Schuldendienstes erst ermöglicht wurde.110 Ob Argentinien die Zahlungsunfähigkeit als Neuanfang nutzen kann, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Gleichwohl verdeutlicht bereits das Engagement der Andenrepublik für die Schaffung eines kodifizierten Insolvenzrechts für Staaten,111 dass die konkreten Umstände ihrer Resolvenz auch dort nicht als zukünftiges Modell wahrgenommen wurden.

II. Folgen für die Staatengemeinschaft

In Gesamtschau ist die argentinische Finanzkrise paradigmatisch für die Herausforderungen im Umgang mit bankrotten Staaten im 21. Jahrhundert. Der Grund für die besondere Komplexität der Materie liegt in der Rechtsnatur der Staaten als Souveräne. So wollen Staaten einerseits Kapitalmärkte nutzen, aber genießen andererseits Privilegien, die sich aus dem staatlichen Daseinszweck (keine Liquidationsmöglichkeit) oder völkerrechtlichen Prinzipien (Vollstreckungsimmunität) ergeben. Gleichzeitig steht die staatliche Souveränität der Entwicklung eines kodifizierten Insolvenzrechts im Weg, obwohl mittlerweile wohl fast alle Akteure übereinstimmen, dass Lösungsansätze, welche über die bilaterale Verhandlung hinausgehen, nötig sind. In dieser Hinsicht war die Argentinienkrise tatsächlich ein Katalysator für die Weiterentwicklung des Rechtsgebiets: Denn ohne die Schuldenkrise ist unsicher, ob es überhaupt zum Vorschlag des SDRM gekommen wäre. Auch wenn dieser gescheitert ist, stellt er heute die Grundlage für das neuerliche – wenn auch zaghafte – Engagement der G 77 + China für eine kodifizierte Lösung dar. Gemeinsam mit der koordinierten Verbreitung von Aggregations-CACs durch den ESM,112 die ICMA und den IWF ist der UN-Ansatz Teil von Entwicklungen, die auf neue Dynamik hoffen lassen. Denn auch wenn CACs bereits weite Verbreitung erreicht haben, existiert weiterhin keine Lösung, welche die Risiken von Staatsbankrotten umfassend ausbalanciert.

Jedenfalls das Museo de la Deuda Externa in Buenos Aires verfügt durch die letzten 15 Jahre über ausreichend Material, um die immensen Auswirkungen darzustellen, welche Schulden auf die Entwicklung Argentiniens hatten. Für die Zukunft ist zu hoffen, dass der Mangel an einem kohärenten Insolvenzrecht nicht dazu führt, dass auch andere Staaten auf solche Weise von ihren Schulden geprägt werden, dass die Eröffnung eines Museums den Konsequenzen gerecht wird. 113


104 Vgl. Herdegen, WM 2011, 913, 917.

105 Vgl. IWF, Progress Report on Inclusion of Enhanced Contractual Provisions in International Sovereign Bond Contracts, 17.9. 2015, Rn. 19; ausführlich Seitz, Umschuldungsklauseln in Staatsanleihen des europäischen Währungsraumes, 2014, 78 ff.

106 Paulus/van den Busch, WM 2014, 2025, 2026;anders liegt der Fall bei Staatsanleihen, die nach innerstaatlichem Recht emittiert wurden: So führte Griechenland 2012 CACs für Staatsanleihen unter griechischem Recht schlicht durch ein Gesetz ein, vgl. Griechisches Anleihegläubigergesetz, Gesetz Nr. 4050/12, vom 23.2.2012, dazu Seitz (Fn. 106), 12.

107 IWF, Progress Report (Fn. 106), Rn. 20; mangels Aggregationsklauseln war auch 2011 die Umschuldung von 19 Klassen griechischer Staatsanleihen, die unter englischem Recht emittiert wurden, unmöglich, da die Hold-Outs dort eine Sperrminorität erreichen konnten, Szodruch-Arnold (Fn. 31), 659, 668.

108 So auch Gunkel, Bewältigung von Staatsinsolvenz durch Collective Action Clauses, 2007, 41.

109 Während Argentinien durch seinen „take it or leave it“-Ansatz die Staatsschulden durch die beiden Umschuldungen um 73 % reduzieren konnte, gelang etwa Uruguay 2005 in einem Umschuldungsverfahren nur eine Reduktion von 13 % vgl. Sester, WM 2011, 1057, 1061.

110 Sester, WM 2011, 1057, 1061, wobei natürlich der vorausgegangene wirtschaftliche Einbruch in die Erwägung miteinbezogen werden muss.

111 Vgl. oben C.III.2.c).

112 Vgl. oben Fn. (102).

113 Kurz nach Argentiniens Rückkehr an die Kapitalmärkte drohte Venezuela die Zahlungsunfähigkeit, vgl. Gold-Notverkauf als letzte Rettung, NZZ, 26.5.2016, verfügbar unter: http://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschaftspolitik/venezuela-in-der-krise-gold-notverkauf-als-letzte-rettung-ld.84841 (Zugriff: 5.11.2016).