Untreue durch Verstoß gegen die Zahlungsverbote gemäß § 64 S. 1 und § 64 S. 3 GmbHG

von Maximilian Klein*

A. Einleitung

Die Untreuestrafbarkeit gemäß § 266 StGB erlangt vor allem in Unternehmenskrisen, insbesondere solchen einer GmbH1, eine besondere Bedeutung. Denn in diesem Rahmen besteht ein besonderer Anreiz für Unternehmensverantwortliche, schädigende Vermögensverschiebungen vorzunehmen. Um einer Schmälerung des GmbH-Vermögens in Krisensituationen vorzubeugen, wurde § 64 GmbHG dahingehend neu gefasst, dass seit dem 01.11.2008 zum einen Zahlungen eines GmbH-Geschäftsführers in Zeiten einer Unternehmenskrise (S. 1), zum anderen solche Zahlungen an Gesellschafter untersagt werden, die zur Zahlungsunfähigkeit einer GmbH führen müssen (S. 3).2 Vor dem Hintergrund der zuletzt konstant gebliebenen hohen Zahl von etwa 30.000 Unternehmensinsolvenzen jährlich3 kann die gesellschaftsrechtliche Relevanz des § 64 GmbHG nicht hoch genug eingeschätzt werden.4 Ob und inwieweit dieser Vorschrift darüber hinaus auch im Kontext der Untreue eine gesteigerte Bedeutung zukommt, wird im Folgenden ausführlich dargestellt. Mithilfe eines an den „Bremer-Vulkan“-Fall des BGH5 angelehnten Beispielsfalls wird dabei der Versuch unternommen, die im Wege der Analyse gewonnenen Erkenntnisse zu veranschaulichen. Den Abschluss der Darstellung bildet eine Neubewertung des abgewandelten „Bremer-Vulkan“-Falls.

B. Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht aufgrund eines Verstoßes gegen § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG?

I. Vermögensbetreuungspflicht und pflichtwidriges Handeln eines GmbH-Geschäftsführers

Die für eine Untreuestrafbarkeit zunächst festzustellende Vermögensbetreuungspflicht des GmbH-Geschäftsführers ist allgemein anerkannt: Der Geschäftsführer ist gemäß §§ 35, 37 GmbHG verfügungs- und vertretungsbefugt und unterliegt als Gesellschaftsorgan nach dem Maßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG einer qualifizierten Fürsorgepflicht gegenüber der GmbH.6

Weiterhin ist für eine Strafbarkeit nach § 266 StGB erforderlich, dass der Treunehmer seine Vermögensbetreuungspflicht verletzt, also pflichtwidrig handelt. Das Merkmal der Pflichtwidrigkeit wird nach allgemeiner Ansicht von Normen des vorgelagerten Rechts ausgefüllt (Zivilrechtsakzessorietät).7 Dabei muss sich die verletzte außerstrafrechtliche Pflicht auf fremdes Vermögen beziehen. Mittelbarer Vermögensschutz durch die verletzte Vorschrift ist ausreichend, wenn ein hinreichender Fremdvermögensbezug gewahrt bleibt.8 Anerkannt ist in diesem Zusammenhang zudem, dass nicht jeder zivilrechtliche Verstoß zu einer Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 266 StGB führen kann.9 Vielmehr muss die Anwendung des Untreuetatbestandes nach Ansicht des BVerfG auf Fälle evidenter Pflichtenverletzungen beschränkt bleiben.10

II. Untreuerelevante Pflichtverletzung durch Verstoß gegen § 64 S. 3 GmbHG

Ein Kerngegenstand der GmbHG-Reform durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) war die Geschäftsführerhaftung, welche insbesondere mit Einführung des § 64 S. 3 GmbHG verschärft worden ist.11 Diese Vorschrift ergänzt den bilanzbasierten Kapitalschutz der §§ 30 f. GmbHG um einen Liquiditätsschutz und schafft zugleich teilweise einen Ausgleich für das Entfallen des Verbots, kapitalersetzende Darlehen an Gesellschafter zurückzuzahlen (§§ 32a, 32b GmbHG a.F.).12 Bevor auf die Kernfrage eingegangen wird, ob und inwieweit einem Verstoß gegen dieses haftungsbewehrte Zahlungsverbot13 Untreuerelevanz zukommt, sollen die Tatbestandsmerkmale des § 64 S. 3 GmbHG auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten kurz dargestellt werden. Zur Veranschaulichung soll dabei ein an den „Bremer-Vulkan“-Fall des BGH angelehntes Kurzbeispiel14 herangezogen werden:

G ist alleiniger Geschäftsführer einer Hamburger Schiffswerft, der M-GmbH(M). Die M ist Alleingesellschafterin ihres Tochterunternehmens, der T-GmbH(T), welche über erhebliche Liquiditätsreserven verfügt. Beide Gesellschaften sind in ein sog. „Cash-Management-System“ eingebunden, welches – vereinfacht gesprochen – ein gegenseitiges Gewähren von Darlehen zum Gegenstand hat. Ein Teil dieses Systems sind auch sog. „Upstream-Securities“. Dabei handelt es sich um dingliche Sicherheiten (z.B. Sicherungsübereignungen), die T der M für aufgenommene Darlehen von Drittgläubigern zur Verfügung


* Der Autor ist Student an der Bucerius Law School, Hamburg.

1 Vgl. Schünemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB12, 2012, § 266 Rn. 243, der Untreuehandlungen im GmbH-Bereich als „kriminalpolitisch wichtigste Erscheinungsform des § 266 StGB“ bezeichnet.

2 Vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 46.

3 Statistisches Bundesamt, abrufbar unter: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/4903/umfrage/anzahl-von-unternehmensinsolvenzen-seit-1950/, letzter Abruf am 09.04.2014.

4 S. zur praktischen Relevanz Knittel/Schwall, NZI 2013, 782.

5 BGHSt 49, 147 ff.

6 BGHSt 51, 29, 31; Schünemann, in: LK, StGB (Fn. 1), § 266 Rn. 245; Tiedemann, in: Scholz, Kommentar zum GmbHG11, 2010, Vor §§ 82 ff. Rn. 7 f.

7 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen61, 2014, § 266 Rn. 58 f.; Rönnau, in: FS Samson, 2010, S. 423, 430.

8 BGH NJW 2011, 88, 91 f.

9 S. nur Saliger, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, Strafgesetzbuch Kommentar2, 2014, § 266 Rn. 35.

10 BVerfGE 126, 170, 210 f.

11 Vgl. Niesert/Hohler, NZI 2009, 345, 351.

12 Bittmann, NStZ 2009, 113, 118; Livonius, wistra 2009, 91, 94 f.

13 Vgl. Kleindiek, GWR 2010, 75.

14 Es besteht aber der entscheidende Unterschied, dass es sich bei der Muttergesellschaft im hier gebildeten Beispielsfall um eine GmbH handelt, im Originalfall um eine AG. Ferner lässt sich dem im Originalurteil dargelegten Sachverhalt nicht entnehmen, ob – wie hier – sog. „Upstream-Securities“ ein wesentliches Merkmal des Liquiditätsverbundes zwischen Mutter und Tochter sind.

Klein, Untreue durch Verstoß gegen die Zahlungsverbote gemäß § 64 S. 1 und § 64 S. 3 GmbHG (BLJ 2014, 30)31

stellt. Bei der Aufnahme der T in diesen Liquiditätsverbund befand sich M bereits in einer finanziell angespannten Lage. Angesichts dieser Notlage hält M das Cash-Management-System aufrecht, G weist den Geschäftsführer der T schließlich an, der Muttergesellschaft eine letzte dingliche Sicherheit für ein von M aufgenommenes Darlehen zu stellen. Dass T bei einer Inanspruchnahme selbst illiquide würde, hält G – zutreffend – für möglich und findet sich damit ab. Trotz des Darlehens verbleibt M in der Krise. In der Folge wird M zahlungsunfähig und kann ihren Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber Dritten und T nicht mehr nachkommen, sodass auch T illiquide wird.

1. Die Merkmale des § 64 S. 3 GmbHG

a) Zahlungen

Nach allgemeiner zivilrechtlicher Auffassung erfasst der Zahlungsbegriff des Satzes 3 alle vermögensmindernden Liquiditätsabflüsse an Gesellschafter.15 Allerdings wird man diesen weiten Leistungsbegriff mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht ohne weiteres auf das Strafrecht übertragen können.16 Vielmehr ist für das Strafrecht eine restriktive Interpretation des Zahlungsbegriffs geboten. In diese Richtung tendiert auch der 2. Strafsenat des BGH, welcher in einem obiter dictum betonte, dass § 64 S. 3 GmbHG nur Zahlungen, nicht aber die Aushöhlung der Gesellschaft durch sonstige Eingriffe erfasse.17 Das Beiseiteschaffen von Maschinen müsste daher vom strafrechtlichen Anwendungsbereich ausgeschlossen sein.18 Demgegenüber wird die Stellung von dinglichen Sicherheiten gegenüber einem Gesellschafter als von § 64 S. 3 GmbHG umfasst angesehen, insbesondere dann, wenn sich – wie im Beispielsfall – die Inanspruchnahme der Sicherheit als sehr wahrscheinlich erweist.19

b) Zahlungsunfähigkeit

Der Begriff der „Zahlungsunfähigkeit“ gemäß § 64 S. 3 GmbHG entspricht dem des § 17 InsO.20 Für die genauere Konturierung des Begriffes hat sich der 1. Strafsenat 2007 ausdrücklich der Zivilrechtsprechung in diesem Zusammenhang angeschlossen.21

c) Zurechnungszusammenhang zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit

Überdies setzt ein Verstoß gegen § 64 S. 3 GmbHG voraus, dass die Zahlung die Zahlungsunfähigkeit „herbeiführen musste“.22

aa) Kausalität

Einigkeit herrscht zunächst insoweit, als Kausalität i.S. der Äquivalenztheorie zwar eine notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung für die Zurechnung sein kann.23 Indem der Gesetztext zudem davon spricht, dass die Zahlung zur Zahlungsunfähigkeit führen „musste“, kann mit guten Gründen für die Solvenzprognose zu fordern sein, dass die Illiquidität aus Sicht eines objektiven Dritten zum Zeitpunkt der Zahlung24 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werde.25 Diese Interpretation der Kausalitätsanforderungen ist insbesondere aus strafrechtlicher Sicht vorzugswürdig, da auf diese Weise dem fragmentarischen Charakter des Strafrechts bestmöglich Rechnung getragen wird. Auf Basis der oben angedeuteten Voraussetzungen pflichtwidrigen Handelns i.S.d. § 266 StGB26 müsste daher für eine (untreuerechtliche) Solvenzprognose darauf abgestellt werden, ob die alsbald eintretende Zahlungsunfähigkeit evident erkennbar oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.27 Diese hohen Anforderungen wahren damit nicht nur die ultima-ratio-Funktion des Strafrechts, sie tragen auch dem Willen des Gesetzgebers Rechnung, welcher bei der Anwendung des § 64 S. 3 GmbHG Vorsicht und Zurückhaltung fordert.28

Im Beispielsfall kann demnach eine Kausalität der „Zahlung“ der G29 für die Zahlungsunfähigkeit der T bejaht werden. Denn es war für G ex ante evident erkennbar, dass die T – aufgrund der wirtschaftlichen Notlage der M – aus der Sicherheit in voller Höhe in Anspruch genommen und dadurch ihrerseits den Zahlungsverpflichtungen zumindest für mehrere Wochen nicht nachkommen können würde.

bb) Berücksichtigung von Gegenleistungen

Gegenleistungen des Gesellschafters sind bei der Kausalitätsprüfung grundsätzlich zu beachten,30 sofern diese liquiditätswirksamer Natur sind.31

Während Zahlungen auf nicht fällige Gesellschafterforderungen unstreitig die Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 S. 3 GmbHG herbeiführen können,32 wird dies in Bezug auf fällige Gesellschafteransprüche teilweise verneint.33 Denn fällige Gesellschafterforderungen seien schon in der Bilanz zu passivieren, sodass schon insoweit Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 S. 1 GmbHG vorliegen müsste und entsprechende Zahlungen nach dieser Norm bereits verboten seien.34 Diese pauschale


15 Vgl. nur H. F. Müller, in: Münchener Kommentar zum GmbHG1, Band 3, 2011, § 64 Rn. 159.

16 Vgl. zu den Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot BVerfGE 126, 170, 194 f.

17 BGH NJW 2009, 3666, 3668.

18 Schäuble, Die Auswirkungen des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen auf das GmbH-Strafrecht, 2012, S. 176. A.A. Bittmann, NStZ 2009, 113, 118.

19 Vgl. H. F. Müller, in: MüKo, GmbHG (Fn. 15), § 64 Rn. 159 m.w.N.

20 H. F. Müller, in: MüKo, GmbHG (Fn. 15), § 64 Rn. 166.

21 BGH NStZ, 2007, 643, 644. Krit. hierzu etwa Wegner, wistra 2007, 386, 387.

22 Hier greift Gesetzgeber das angloamerikanische Institut des „Solvency Test“ auf, vgl. Kleindiek, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 893, 906.

23 Statt aller H. F. Müller, in: MüKo, GmbHG (Fn. 15), § 64 Rn. 169.

24 K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG (Fn. 6), § 64 Rn. 84.

25 Ebenso H. F. Müller, in: MüKo, GmbHG (Fn. 15), § 64 Rn. 170. Andere fordern für die Solvenzprognose stattdessen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit: So etwa Knof, DStR 2007, 1536, 1540.

26 S. zum Evidenzkriterium im Rahmen der Pflichtwidrigkeit die Darstellung bei Saliger, in: SSW, StGB (Fn. 9), § 266 Rn. 42.

27 Ähnlich Schäuble (Fn. 18), S. 189.

28 BT-Drucks. 16/6140, S. 47.

29 Ein Geldabfluss wird dem Geschäftsführer auch dann zugerechnet, wenn er einen solchen anordnet, vgl. H. F. Müller, in: MüKo, GmbHG (Fn. 15), § 64 Rn. 162.

30 Haftung besteht nach § 64 S. 3 GmbHG, „soweit“ Liquidität der GmbH gemindert ist, H. F. Müller, in: MüKo, GmbHG (Fn. 15), § 64 Rn. 160.

31 K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG (Fn. 6), § 64 Rn. 85.

32 Haas, in: Baumbach/Hueck, Kommentar zum GmbHG20, 2013, § 64 Rn. 99.

33 Vgl. nur Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, Kommentar zum GmbHG7, 2012, § 64 Rn. 61.

34 Altmeppen (Fn. 33), § 64 Rn. 72; ebenso OLG München ZIP 2010, 1236 ff.

Klein, Untreue durch Verstoß gegen die Zahlungsverbote gemäß § 64 S. 1 und § 64 S. 3 GmbHG (BLJ 2014, 30)32

Auffassung ist jedoch abzulehnen, da Zahlungen auf fällige Gesellschafteransprüche zumindest in besonderen Konstellationen von § 64 S. 3 GmbHG erfasst sind:35 Vor der Zahlung hat die Gesellschaft liquide Mittel i.H.v. 990.000 € und Verbindlichkeiten i.H.v. 1 Mio. €. Tilgt der Geschäftsführer der GmbH nun Verbindlichkeiten gegenüber einem Gesellschafter i.H.v. 900.000 €, dann führt dies von einer unwesentlichen (< 10 %) zu einer für die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit wesentlichen (≥ 10%) Liquiditätslücke.36 Zwar verbleibt dadurch nur ein geringer Anwendungsbereich des § 64 S. 3 GmbHG für fällige Forderungen, doch entspricht dies gerade dem Willen des Gesetzgebers, der ausdrücklich von einem eng gefassten Anwendungsbereich ausgegangen ist.37

d) Verschulden und Exkulpationsmöglichkeit des Geschäftsführers

Außerdem setzt die Haftung Verschulden voraus, wofür einfache Fahrlässigkeit genügt.38 Die Ersatzpflicht des Geschäftsführers entfällt allerdings, wenn das Eintreten der Zahlungsunfähigkeit auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes nicht zu erkennen war. Der durch die Anklage zu erbringende Nachweis der Erkennbarkeit wird angesichts der hohen Anforderungen an die zuvor festgestellte Kausalität in den seltensten Fällen Probleme bereiten.39

2. Untreuetauglichkeit eines Verstoßes gegen § 64 S. 3 GmbHG?

Da bekanntlich nur zumindest mittelbar vermögensrelevante Pflichtverstöße eine untreuerelevante Pflichtverletzung begründen können, ist § 64 S. 3 GmbHG auf einen etwaigen vermögensschützenden Charakter hin zu untersuchen. Dies erfordert zunächst eine nähere Auseinandersetzung mit dem Normzweck.

a) Normzweck des § 64 S. 3 GmbHG

Nach allgemeiner Ansicht enthält § 64 S. 3 GmbHG ein Zahlungsverbot, welches das in § 30 Abs. 1 GmbHG enthaltene bilanzielle Ausschüttungsverbot um eine situative Ausschüttungssperre ergänzt.40 Auf diese Weise soll ein verbesserter Schutz vor Ausplünderungen der Gesellschaft zu Lasten der Gesellschaftsgläubiger gewährleistet werden.41

Allerdings könnte geltend gemacht werden, dass § 64 S. 3 GmbHG nicht allein dem Schutz von Gläubigerinteressen zu dienen bestimmt ist: Indem die Gesetzesbegründung klarstellt, dass sich § 64 S. 3 GmbHG gegen den Abzug von Vermögenswerten richte und dadurch das Institut des existenzvernichtenden Eingriffs teilnormiert worden sei,42 könnte verdeutlicht werden, dass über den Gläubigerschutz hinaus ein eigener Schutz der Gesellschaft vor ihrem Zusammenbruch gewährleistet werden soll.43

Um einen untreuerelevanten, durch § 64 S. 3 GmbHG gewährleisteten Existenzschutz annehmen zu können, muss jedoch grundsätzlich ein vermögensrelevantes Eigeninteresse der GmbH bestehen. Dies gilt es im Folgenden anhand der Rechtsprechung des BGH und des entwickelten Instituts des existenzgefährdenden Eingriffs eingehender zu untersuchen.

b) Das Institut des existenzgefährdenden Eingriffs und das Eigeninteresse der GmbH

aa) Entwicklung der Rechtsprechung des BGH zum Eigeninteresse der GmbH

Ursprünglich hatte der II. Zivilsenat die Frage nach einem Eigeninteresse der GmbH offengelassen oder verneint, da jedenfalls losgelöst von im Raum stehenden Gläubigerinteressen ein eigenes Gesellschaftsinteresse grundsätzlich nicht anzuerkennen sei.44

In der Strafrechtsrechtsprechung ist dagegen bereits seit einer grundlegenden BGH-Entscheidung aus dem Jahre 1988 anerkannt,45 dass die vermögensbezogene Dispositionsbefugnis der Gesellschafter nicht nur in § 30 f. GmbHG, sondern auch mit Blick auf eine Existenzvernichtung der GmbH eine Grenze findet und somit ein eigenes Bestandsinteresse der GmbH bejaht werden muss.46 Auch nach Aufgabe der Interessentheorie hält der BGH an der Untreuerelevanz eines existenzgefährdenden Eingriffs fest.47

Mit dem „Bremer-Vulkan“-Urteil hat sich die Zivilrechtsprechung nun ausdrücklich der Auffassung der Strafgerichte angenähert48 und bejaht einen GmbH-Bestandsschutz für den Fall, dass die GmbH aufgrund eines existenzvernichtenden Eingriffs durch den Alleingesellschafter ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann.49 Diese Sichtweise bekräftigte der BGH in seiner „Trihotel“-Entscheidung: Die nunmehr auf § 826 BGB gestützte Existenzvernichtungshaftung fungiere als ein unmittelbar auf das Überlebensinteresse und Vermögen der GmbH gerichtetes Schutzinstrument. Ein Gläubigerschutz erfolge nur „mittelbar, das heißt reflexartig“.50

Damit bleibt zunächst festzuhalten, dass auf Grundlage der Rechtsprechungsentwicklung der Straf- und Zivilsenate des BGH die Befürwortung eines „echten“ GmbH-Eigeninteresses als vorzugswürdig anzuerkennen ist.

bb) Dogmatische Grundlagen eines vermögenswerten Eigeninteresses der GmbH

Das Ergebnis eines vermögensbezogenen GmbH-Eigeninteresses findet darüber hinaus eine Stütze in der gesetzlichen Ausgestaltung der GmbH.


35 BGH GmbHR 2013, 31, 32.

36 Vgl. Schäuble (Fn. 18), S. 183.

37 BT-Drucks. 16/6140, S. 47.

38 Casper, in: Ulmer/Habersack/Winter, Großkommentar zum GmbHG, Ergänzungsband MoMiG, 2010, § 64 Rn. 121.

39 So auch K. Schmidt entsprechend für die wohl kaum gelingende Exkulpationsmöglichkeit des Geschäftsführers im Zivilprozess, KSchmidt, in: Scholz, GmbHG (Fn. 6), § 64 Rn. 88.

40 Vgl. nur Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 32), § 64 Rn. 2.

41 BT-Drucks. 16/6140, S. 46.

42 BT-Drucks. 16/6140, S. 46.

43 Vgl. K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG (Fn. 6), § 64 Rn. 65, der in § 64 S. 3 GmbHG im Wesentlichen einen Schutz vor dem Zusammenbruch der Gesellschaft sieht; so auch Kleindiek (Fn. 22), S. 893, 904.

44 Offengelassen etwa in BGHZ 31, 258, 278 f.; abgelehnt etwa in BGHZ 119, 257, 262.

45 BGHSt 35, 333 ff.

46 Radtke/Hoffmann, GA 2008, 535, 543; vgl. auch Tiedemann, in: Scholz, GmbHG (Fn. 6), Vor §§ 82 ff. Rn. 8.

47 BGHSt 57, 229; krit. hierzu Wessing/Krawczyk, NZG 2014, 59, 60.

48 BGHZ 149, 10, 17 f.

49 BGHZ 149, 10, 16.

50 BGHZ 173, 246, 257; vgl. dazu Goette, DStR 2007, 1593, 1594.

Klein, Untreue durch Verstoß gegen die Zahlungsverbote gemäß § 64 S. 1 und § 64 S. 3 GmbHG (BLJ 2014, 30)33

Zunächst ist zu konstatieren, dass nach ganz herrschender Ansicht das Vermögen einer GmbH dieser rechtlich zugeordnet ist.51 Zwar können die Gesellschafter etwa die Auflösung der GmbH beschließen, jedoch stoßen auch diese umfassenden Befugnisse auf Grenzen, nämlich (insbesondere) dort, wo – wie in § 30 GmbHG – der Gläubigerschutz beginnt.52 Daher ist eine weite, aber nicht unbegrenzte Dispositionsbefugnis der Gesellschafter und somit ein Eigeninteresse der GmbH anzunehmen.53

Damit ist allerdings noch keine Aussage hinsichtlich eines vermögensrelevanten Eigeninteresses der GmbH getroffen. Zunächst wird man konzedieren müssen, dass es mit einem vom Gläubigerschutz unabhängigen Eigeninteresse „nicht weit her ist“;54 hinter sämtlichen Haftungsvorschriften für Gesellschafter oder Geschäftsführer verbergen sich letztlich Gläubigerinteressen, sodass die Annahme eines „Etiquettenschwindels“55 in der Tat nahe liegt.56

Gleichwohl kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass GmbH-rechtliche Schutzvorschriften ausschließlich Gläubigerinteressen in den Blick nehmen. Die Art und Weise, in welcher der Gläubigerschutz dogmatisch verwirklicht wurde, streitet für eine darüber hinausgehende Schutzrichtung: Um einen hinreichenden Gläubigerschutz gewährleisten zu können, steht der GmbH ein eigenes, der Disposition der Gesellschafter entzogenes Vermögen zu. Darin kommt die für das Eigeninteresse konstitutive Funktion der GmbH zum Ausdruck, als „Haftungsträger“ den Gesellschaftern das wirtschaftliche Risiko abzunehmen, indem die GmbH die Haftung für begründete Verbindlichkeiten übernimmt.57 Als ein von den Gesellschaftern personenverschiedener Rechtsträger sitzt die GmbH damit gewissermaßen an der Schnittstelle zwischen Gesellschafter- und Gläubigerinteressen.58

Zwar mag der finale Zweck der Ausschüttungssperren darin liegen, einen ausreichenden Gläubigerschutz zu gewährleisten.59 Doch muss für das Erreichen dieses Ziels eine Vorstufe erklommen werden, nämlich die Bewahrung des Gesellschaftsvermögens. Dies wird mit einer Absonderung des Gesellschaftsvermögens, dessen Walter die GmbH ist, gewährleistet.60

Darin liegt ein vermögenswertes Eigeninteresse der GmbH, welches durch einen existenzgefährdenden Eingriff betroffen wäre.61

c) Ergebnis

Angesichts des dargelegten Vermögensbezugs der Existenzvernichtungshaftung muss dieser in Einklang mit der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Untreuerelevanz beigemessen werden. Ein existenzgefährdender Eingriff kann demnach pflichtwidriges Handeln i.S.d. § 266 StGB begründen. Da nach dem Willen des Gesetzgebers der „existenzvernichtende Eingriff“ in § 64 S. 3 GmbHG teilnormiert werden sollte,62 ist davon auszugehen, dass Verstöße gegen § 64 S. 3 GmbHG zur Untreuestrafbarkeit des Geschäftsführers führen können.63

III. Untreuerelevante Pflichtverletzung durch Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG

1. Die Merkmale des § 64 S. 1 GmbHG

Die Tatbestandsmerkmale des § 64 S. 1 GmbHG entsprechen weitestgehend denen des § 64 S. 3 GmbHG. Insoweit kann auf obige Ausführungen verwiesen werden.

§ 64 S. 1 GmbHG erweitert allerdings den Kreis kritischer Zahlungsmomente um den Zeitpunkt der Überschuldung der Gesellschaft. Diese beurteilt sich nach § 19 Abs. 2 InsO. Danach liegt eine Überschuldung dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.64 Da bisher kaum geklärt ist, wann die Fortführung überwiegend wahrscheinlich sein soll, äußert Altmeppen in diesem Zusammenhang zu Recht starke Bedenken hinsichtlich des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebotes.65

2. Untreuetauglichkeit eines Verstoßes gegen § 64 S. 1 GmbHG?

Auch hier wird für die Frage der Untreuerelevanz zunächst der Normzweck des § 64 S. 1 GmbHG in den Blick genommen.

a) Normzweck des § 64 S. 1 GmbHG

§ 64 S. 1 GmbHG zielt nach nunmehr allgemeiner Ansicht und ständiger Rechtsprechung des BGH alleine darauf ab, das verteilungsfähige Vermögen zugunsten der Gläubigergesamtheit zu erhalten bzw. wiederaufzufüllen.66 Dadurch werde auch sichergestellt, dass die Gläubiger eine gleichmäßige und ranggerechte Befriedigung in der Insolvenz erfahren.67 Mit Blick auf den Normzweck müsste eine Untreuetauglichkeit in Bezug auf § 64 S. 1 GmbHG konsequenterweise verneint werden. Dennoch wurde in der – soweit ersichtlich – einzig hierzu ergangenen obergerichtlichen Entscheidung betont, dass alleine ein Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG für die Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 266 StGB ausreiche.68 In dem dieser Entscheidung des OLG Stuttgart zugrunde liegenden Sachverhalt wurde Geschäftsführern einer GmbH vorgeworfen, Ansprüche von Gesellschaftern gegen die GmbH nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Wege einer Aufrechnung befriedigt zu haben.69 Ohne nähere Ausführungen stellte das OLG Stuttgart dabei gegen Ende der Urteilsbegründung fest, dass derartige Auszahlungen an Gesellschafter den Tatbestand des § 266 StGB erfüllten.70


51 Vgl. nur Perron, in: Schönke/Schröder, Kommentar zum Strafgesetzbuch28, 2010, § 266 Rn. 6.

52 Röhricht, in: VGR 2002, S. 3, 25.

53 So auch Röhricht, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 83, 103 ff.

54 K. Schmidt, NJW 2001, 3577, 3580.

55 Ransiek, in: FS Kohlmann, 2003, S. 207, 212.

56 Vgl. nur Labsch, JuS 1985, 602, 605.

57 Röhricht (Fn. 53), S. 83, 104.

58 Vgl. Hoffmann, Untreue und Unternehmensinteresse, 2010, S. 164.

59 Vgl. Gehrlein, NJW 2000, 1089, 1090, der von einer mittelbaren Förderung von Gläubigerinteressen spricht.

60 Ähnlich Ransiek (Fn. 55), S. 207, 213; Hoffmann (Fn. 58), S. 164.

61 So im Ergebnis auch Radtke, NStZ 2012, 89, 93.

62 BT-Drucks. 16/6140, S. 46.

63 Im Ergebnis auch Bittmann, GmbHR 2007, 70, 73 f.; Maurer, JR 2008, 389, 390.

64 Der Gesetzgeber hat sich mit dieser Regelung dem sog. modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff angeschlossen, vgl. H. F. Müller, in: MüKo, GmbHG (Fn. 15), § 64 Rn. 24.

65 Altmeppen (Fn. 33), Vor § 64 Rn. 88.

66 BGHZ 143, 184, 186; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG (Fn. 6), § 64 Rn. 6.

67 BGH NJW 2008, 2504, 2505.

68 OLG Stuttgart wistra 2010, 34, 37.

69 OLG Stuttgart wistra 2010, 34, 35.

70 OLG Stuttgart wistra 2010, 34, 36 f.; zustimmend Maurer/Wolf, wistra 2011, 327, 329. A.A. Weiß, GmbHR 2011, 350, 352.

Klein, Untreue durch Verstoß gegen die Zahlungsverbote gemäß § 64 S. 1 und § 64 S. 3 GmbHG (BLJ 2014, 30)34

Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn der verletzten Norm des vorgelagerten Rechts muss, wie oben gezeigt, zumindest mittelbar vermögensschützende Funktion zukommen. Dies ist in Bezug auf § 64 S. 1 GmbHG nach allgemeiner Ansicht jedoch gerade nicht der Fall. Zudem ist das Vermögen der GmbH in Krisensituationen des Unternehmens keineswegs strafrechtlich schutzlos gestellt: So kann etwa ein Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot des § 30 GmbHG, welcher bei Zahlungen an Gesellschafter zum Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit in der Regel neben § 64 S. 1 GmbHG in Betracht kommt,71 zur Untreuestrafbarkeit führen. Daher besteht mangels erheblicher Sanktionslücke keine Notwendigkeit, einem Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG – zumal auf einem dogmatisch fragwürdigen Weg – Untreuerelevanz beizumessen. Darüber hinaus kann die Untreuetauglichkeit auch nicht auf das Institut des existenzgefährdenden Eingriffs gestützt werden, da § 64 S. 3 GmbHG die Geschäftsführerhaftung für einen solchen Eingriff abschließend erfasst.72 Die Gesetzesbegründung verweist nur im Rahmen des § 64 S. 3 GmbHG auf dieses Institut.

Der Sichtweise des OLG Stuttgart kann somit nicht gefolgt werden. Auch wäre es wünschenswert gewesen, wenn das OLG Stuttgart näher auf die Anforderungen an die Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 266 StGB im Zusammenhang mit § 64 GmbHG eingegangen wäre. Stattdessen begnügte es sich mit einer kaum nachvollziehbaren Feststellung der Pflichtwidrigkeit.

b) Allgemeines Schädigungsverbot

Andere erachten, im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung, den schlichten Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG als untreueuntauglich, nehmen eine Pflichtverletzung i.S.d. § 266 StGB allerdings unter Rückgriff auf das allgemeine Schädigungsverbot an.73 Dieses Verbot untersage Geschäftsführern, Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem sicheren Vermögensschaden bei der Gesellschaft führen. Verstoße der Geschäftsführer nun gegen das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG, ergebe sich in Verbindung mit dem vermögensschützenden allgemeinen Schädigungsverbot eine untreuerelevante Pflichtverletzung.74

Fraglich ist dabei bereits, ob das allgemeine Schädigungsverbot überhaupt als Anknüpfungspunkt für eine Pflichtverletzung i.S.d. § 266 StGB dienen kann. Unabhängig davon, dass mit dem Schädigungsverbot dogmatisch unsauber von einem Schaden auf die Pflichtwidrigkeit zurückgeschlossen wird, muss diese Frage verneint werden.75 Denn auch nach Ansicht prominenter Befürworter des Schädigungsverbotes kommt ein Abstellen darauf nur in Betracht, wenn für den konkreten Fall kein deutliches Gebot feststellbar ist.76 Ein solches Verhaltensgebot kann für das hier in Rede stehende Verhalten des Geschäftsführers jedenfalls in § 64 S. 1 GmbHG erblickt werden.

Daher ist der Ansatz von Weiß, unter Bezugnahme auf das allgemeine Schädigungsverbot eine untreuetaugliche Pflichtverletzung zu begründen, vehement abzulehnen.

c) Sperrwirkung des § 283c StGB?

Sofern einem Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG Untreuerelevanz beigemessen wird, stellt sich die Frage, ob dieser Annahme nicht doch eine Sperrwirkung des Straftatbestandes der Gläubigerbegünstigung (§ 283c StGB) entgegensteht. Dies könnte der Fall sein, wenn § 283c StGB den Fall des § 64 S. 1 GmbHG strafrechtlich abschließend erfasse.77 Die überzeugenderen Gründe sprechen indes gegen eine Sperrwirkung:78 Zum einen dient § 266 StGB nicht dem Gläubigerschutz, sondern alleine dem Vermögensschutz des Treugebers und verfolgt somit eine andere Schutzrichtung als § 283c StGB. Zum anderen sind Fälle denkbar, in denen nur § 64 S. 1 GmbHG, nicht aber § 283c StGB tatbestandlich einschlägig wäre.79

3. Ergebnis

Demnach kann festgehalten werden, dass sich eine untreuerelevante Pflichtverletzung auf Grundlage eines Verstoßes gegen § 64 S. 1 GmbHG kaum annehmen lässt und eine Untreuestrafbarkeit des Geschäftsführers insoweit ausscheidet.

C. Vermögensnachteil in Folge eines Verstoßes gegen § 64 S. 3 GmbHG

Nachdem zumindest für § 64 S. 3 GmbHG eine Untreuetauglichkeit bejaht wurde, gilt es nun, einige sich in diesem Rahmen für den Vermögensnachteil ergebende Besonderheiten aufzuzeigen.80

I. Zahlungen auf eine fällige Gesellschafterforderung

Grundsätzlich führt die Begleichung einer fälligen Verbindlichkeit dazu, dass der Schuldner in gleicher Höhe von seiner Verbindlichkeit befreit wird und somit ein Vermögensschaden zu verneinen wäre.81 Allerdings begründet § 64 S. 3 GmbHG als echtes Zahlungsverbot nach h.M. ein Leistungsverweigerungsrecht des Geschäftsführers.82 Dieser hätte die Zahlung also aufgrund seines Verweigerungsrechts nicht nur verweigern können, sondern im Interesse der GmbH auch verweigern müssen.83 Zahlt der Geschäftsführer dennoch, verletzt diese Zahlung die GmbH in ihrem Vermögensinteresse.

Dabei besteht ein untreuerelevanter Nachteil nur in der Höhe, in welcher die GmbH ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann.84 Die Ansicht Ransieks, wonach die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit und darauf beruhende Vermögenseinbußen den Vermögensnachteil darstellen,85 ist mit der überzeugenden h.M. in der Gesellschaftsrechtsliteratur abzulehnen: § 64 S. 3 GmbHG begründet nämlich gerade keinen Schadensersatzanspruch, sondern lediglich eine Erstattungspflicht des Geschäftsführers.86


71 Vgl. nur Schäuble (Fn. 18), S. 166 f.

72 Casper, in: Ulmer, GmbHG (Fn. 38), § 64 Rn. 109.

73 Weiß, GmbHR 2011, 350, 352.

74 Weiß, GmbHR 2011, 350, 352.

75 So auch Saliger, in: SSW, StGB (Fn. 9), § 266 Rn. 43.

76 So noch Schünemann, in: LK, StGB (Fn. 1), 11. Auflage, § 266 Rn. 94.

77 Bittmann, wistra 2009, 102, 103.

78 So auch Maurer/Wolf, wistra 2011, 327, 334.

79 Zu denken wäre insbesondere an Fälle mit nur einem Gläubiger, für die § 283c StGB tatbestandlich ausscheidet, vgl. Heine, in: Schönke/Schröder (Fn. 51), § 283 Rn. 13.

80 Da sich § 64 S. 1 GmbHG nach hier vertretener Ansicht als untreueuntauglich erweist, beschränkt sich die Behandlung des Vermögensnachteils auf § 64 S. 3 GmbHG.

81 Vgl. hierzu Perron, in: Schönke/Schröder (Fn. 51), § 266 Rn. 41 f.

82 BGH NZG 2012, 1379, 1381; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG (Fn. 6), § 64 Rn. 91 A.A. Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 32), § 64 Rn. 107.

83 Vgl. Weiß, GmbHR 2011, 350, 356.

84 Vgl. BGHSt 49, 147, 165 f. A.A. Maurer/Wolf, wistra 2011, 327, 331, die den wirtschaftlichen Nachteil der Höhe der erfolgten Zahlung gleichsetzen.

85 Ransiek, in: Ulmer, GmbHG (Fn. 38), Vor § 82 Rn. 12.

86 Vgl. K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG (Fn. 6), § 64 Rn. 93 f.

Klein, Untreue durch Verstoß gegen die Zahlungsverbote gemäß § 64 S. 1 und § 64 S. 3 GmbHG (BLJ 2014, 30)35

II. Upstream Securities und schadensgleiche Vermögensgefährdung

Besondere Probleme für die Begründung eines Vermögensnachteils wegen eines Verstoßes gegen § 64 S. 3 GmbHG ergeben sich in Bezug auf – zivilrechtlich vielfach diskutierte87 – aufsteigend gewährte Kreditsicherheiten.

Nach der auch hier zugrunde gelegten h.M. in der Gesellschaftsrechtsliteratur besteht das pflichtwidrige Verhalten des Geschäftsführers schon in dem Abschluss des dinglichen Sicherheitenvertrages, wenn eine Inanspruchnahme daraus mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.88 Dabei stellt sich nun die Frage, ob die bereits mit dem Vertragsschluss drohende Inanspruchnahme der Tochter den Anforderungen an eine schadensgleiche Vermögensgefährdung i.S.d. § 266 StGB genügt.89 Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine schadensgleiche Vermögensgefährdung vor, wenn das Vermögen des Opfers dergestalt konkret gefährdet ist, dass mit wirtschaftlichen Nachteilen ernsthaft zu rechnen ist und somit der Vermögenswert aufgrund der konkreten Verlustgefahr bereits gegenwärtig gemindert wird.90 Demnach kommt bei einer Bestellung der Sicherheit, die mit hoher Wahrscheinlichkeit verwertet wird und damit zur Zahlungsunfähigkeit der Tochter führt, grundsätzlich eine schadensgleiche Vermögensgefährdung in Betracht.91 Zur Ermittlung einer hinreichenden Vermögensgefährdung könnte hierbei darauf abgestellt werden, ob die Sicherheitenbestellung in Form einer Verlustrückstellung bilanzwirksam werden muss. Dies wäre dann der Fall, wenn ausreichende Anhaltspunkte für die zukünftige Verwertung der Sicherheit vorliegen.92

Demnach muss ein Vermögensnachteil in Form einer schadensgleichen Vermögensgefährdung im Beispielsfall angenommen werden, da zum Zeitpunkt der Bestellung der dinglichen Sicherheit viele Anhaltspunkte für eine alsbaldige Inanspruchnahme der T vorlagen.

D. Neubewertung des Beispielsfalls nach aktueller Rechtslage

Abschließend wird der Versuch unternommen, die nun gewonnenen Erkenntnisse für eine kurze Neubewertung des „Bremer-Vulkan“-Falls in Form der hier entwickelten Abwandlung fruchtbar zu machen. Mit anderen Worten: Hätte sich G nach aktueller Rechtslage wegen § 266 StGB i.V.m. § 64 GmbHG strafbar gemacht?

G traf eine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich des Vermögens der Tochter.93 Als Anknüpfungspunkt für eine Pflichtverletzung i.S.d. § 266 StGB kommt nun § 64 S. 3 GmbHG in Betracht.94 Dazu müsste G eine Zahlung veranlasst haben, die zur Zahlungsunfähigkeit der T führen musste. Im Rahmen eines Cash-Pools angelegte Gelder bzw. gewährte Darlehen95 sind, wie gezeigt, als Zahlungen i.S.d. § 64 S. 3 GmbHG zu bewerten; die Zahlung geschah hier zudem auf Veranlassung des G. Zum Zeitpunkt der Aufnahme der T in den Pool war die M zwar wirtschaftlich angeschlagen, aber noch nicht illiquide. Die Illiquidität der M trat aber kurz darauf ein. Fraglich ist dabei, ob für G evident erkennbar war, dass die Einbindung der T zu deren Zahlungsunfähigkeit führen musste. Dabei ist der Zeitpunkt für diese objektive ex ante-Beurteilung entscheidend: Bei der Aufnahme war zumindest noch nicht evident erkennbar, dass die M ihren Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber der T nicht mehr nachkommen könnte und diese daher in die Insolvenz stürzen musste. Anderes muss indes für den Moment gelten, als sich die M bereits in der Illiquidität befand. Denn bei einer Fortsetzung des Cash-Pools unter diesen Umständen musste für G evident erkennbar sein, dass von der T an die M ausgereichte Darlehen keinesfalls zurückgezahlt würden.96 Das weitere Festhalten am Cash-Pool zu diesem Zeitpunkt war „schlechterdings unvertretbar“97 und entsprach auch nicht der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes. Damit liegt die untreuetaugliche Pflichtverletzung des G darin, dass dieser keine effektiven Sicherungsmaßnahmen ergriff bzw. den Liquiditätstransfer nicht insgesamt abbrach.98 Der „quasikausal“99 auf der Pflichtverletzung beruhende Vermögensnachteil in Form einer schadensgleichen Vermögensgefährdung besteht zumindest in der Höhe, in welcher die T – infolge des äußerst wahrscheinlichen Ausfalls der Rückzahlungen – ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Denn insoweit beruhen die Vermögenseinbußen der T auf dem pflichtwidrigen Handeln des G. Schließlich handelte G auch vorsätzlich hinsichtlich des objektiven Tatbestandes, insbesondere des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit der T.

Nach alledem kann im Beispielsfall eine Untreuestrafbarkeit des G wegen eines Verstoßes gegen § 64 S. 3 GmbHG bejaht werden. Würde der BGH heute über den „Bremer-Vulkan“-Fall entscheiden, hätte er – vorausgesetzt, es handelt sich bei der Muttergesellschaft an Stelle der AG um eine GmbH – eine Prüfung der Untreuestrafbarkeit wegen eines Verstoßes gegen § 64 S. 3 GmbHG in Betracht zu ziehen.

E. Fazit

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine Untreuestrafbarkeit des GmbH-Geschäftsführers wegen eines Verstoßes gegen § 64 S. 3 GmbHG – nicht aber gegen § 64 S. 1 GmbHG – in Betracht kommt. Entscheidend für die Annahme einer Untreuetauglichkeit des § 64 S. 3 GmbHG ist die Feststellung eines zumindest mittelbar vermögensschützenden Charakters der


87 S. nur Brand, NZG 2012, 1374, 1375 m.w.N.

88 Vgl. H. F. Müller, in: MüKo, GmbHG (Fn. 15), § 64 Rn. 159.

89 Zur Ermittlung eines Vermögensschadens bei Darlehensverrechnungen im Cash-Pool, vgl. Rönnau/Krezer, ZIP 2010, 2269, 2273 f.

90 BGHSt 48, 354, 357 f.; BGHSt 51, 100, 113.

91 Mahler, GmbHR 2012, 504, 507.

92 Rönnau/Krezer, ZIP 2010, 2269, 2274.

93 Vgl. BGHSt 49, 147, 160 f.

94 Andere Anknüpfungspunkte – etwa ein Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG – bleiben hier außer Betracht; § 30 Abs. 1 GmbHG und § 64 S. 3 GmbHG schließen sich nicht aus, eine Zahlung kann also Ansprüche gegen den Empfänger sowohl gemäß § 31 GmbHG als auch § 64 S. 3 GmbHG begründen, KSchmidt, in: Scholz, GmbHG (Fn. 6), § 64 Rn. 70. Da im Rahmen des § 30 GmbHG wie gezeigt eine bilanzielle Betrachtung anzustellen ist, verstößt eine Kreditgewährung mit voll werthaltigem Rückzahlungsanspruch nicht gegen § 30 Abs. 1 GmbHG. Ein Verstoß gegen § 64 S. 3 GmbHG als situative Ausschüttungssperre kommt dagegen in solchen Fällen – insbesondere in Cash-Pool-Situationen – in Betracht, vgl. Ekkenga, in: Münchener Kommentar zum GmbHG1, Band 1, 2010, § 30 Rn. 13, 267.

95 Das Anlegen von Geldmitteln im Cash-Pool bedeutet materiell eine Gewährung von Darlehen, BGHSt 49, 147, 160.

96 Einer Rückzahlung der Darlehen würde nun insbesondere § 64 S. 1 GmbHG entgegenstehen.

97 Rönnau (Fn. 7), S. 423, 441.

98 Vgl. dazu BGHSt 49, 147, 164. Zu möglichen Handlungsmöglichkeiten eines Geschäftsführers, den Vermögenstransfer im Cash-Pool zu unterbinden und zur Bedeutung der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen in diesem Zusammenhang ausführlich Rönnau (Fn. 7), S. 423, 438 ff.

99 Rönnau (Fn. 7), S. 423, 438.

Klein, Untreue durch Verstoß gegen die Zahlungsverbote gemäß § 64 S. 1 und § 64 S. 3 GmbHG (BLJ 2014, 30)36

Vorschrift. Dies lässt sich dogmatisch nur dann begründen, wenn mit der h.M. ein eigenes vermögensrelevantes Interesse der GmbH bejaht wird.

Die praktische Bedeutung des § 64 GmbHG ist aus gesellschaftsrechtlicher Sicht kaum zu überschätzen. Denn in Krisensituationen besteht ein besonderer Anreiz, Rückzahlungen von Darlehen oder sonstige Ausschüttungen an Gesellschafter vorzunehmen.100 Aber auch aus der untreuerechtlichen Perspektive darf § 64 S. 3 GmbHG nicht unterschätzt werden, da nach verbreiteter Auffassung ein von § 64 S. 3 GmbHG unabhängiges Abstellen auf den existenzgefährdenden Eingriff – für die Fälle des § 64 S. 3 GmbHG – ausscheidet.101 Somit ist für existenzgefährdende Eingriffe des Geschäftsführers insbesondere § 64 S. 3 GmbHG maßgeblich, wenngleich die (strafrechtlichen) Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestandes sehr hoch und nur in Ausnahmefällen erfüllt sind. Dennoch sprechen nach alledem gute Gründe dafür, dass auch Strafgerichte § 64 S. 3 GmbHG in Zukunft vermehrt in den Blick nehmen werden.


100 Vgl. Habetha, NZG 2012, 1134, 1138.

101 OLG Frankfurt, Urteil vom 22. Oktober 2010 – 10 U 144/09 –, juris Rn. 43. In diese Richtung auch Strohn, ZInsO 2008, 706, 709.